13. Januar 2022 13:00

Sperre von Messengerdienst Regierung plant „Abschaltung“ von Telegram

Die Lösung liegt in dezentralen Systemen

von Sascha Koll

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Die Herrscher wollen mal wieder etwas verbieten. Konkret geht es um den Messenger Telegram. Dieser scheint den Machthabern ein Dorn in der Tatze zu sein. Tatze deshalb, weil es sich bei der Regierung um einen zahnlosen Tiger handelt, wenn es um Technologie geht. Aber dazu komme ich später.

Angeblich würden über Telegram Hassbotschaften und Mordaufrufe geteilt, aber auch Pläne für Anschläge geschmiedet. Überraschung: Das geschieht auch über die klassische Briefpost, und da ist es auch unmöglich, das vollständig zu verhindern. Statt aber an die Täter zu gehen, greift man lieber gegen den Vermittler der Nachricht durch. Und selbstverständlich geht es nur um die wenigen Einzelfälle und nicht um den freien und unzensierten Informationsaustausch, den Telegram ermöglicht.

Regierung will ihr „Recht“ in den Vereinigten Arabischen Emiraten durchsetzen

Telegram ist ein Messenger mit Sitz in Dubai, also in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Was irgendeine Politelite aus dem deutschsprachigen Raum da jetzt „zo kamelle“ hat, wie man so schön auf Kölsch sagt, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Deutsche Gesetze gelten in Deutschland und nicht weltweit. Soll ich auch einen islamisch geprägten Staat ernst nehmen, der auf die Idee kommt, in Deutschland Alkohol, Pornographie und Frauen am Steuer zu verbieten?

Die Innenministerin Nancy Faeser (51, SPD) bezieht sich jedenfalls mit ihrer Forderung, Telegram abzuschalten, wie selbstverständlich auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die Frage, welche Relevanz ein deutsches Gesetz in Dubai hat, klärt sie jedoch nicht. Selbst Justizminister Marco Buschmann (44, FDP) behauptet, dass unsere Gesetze auch für Telegram gelten. Noch mal: Wo kommen wir hin, wenn irgendein Imam in Saudi-Arabien behauptet, die Scharia gelte auch in Deutschland? Ich verstehe ja, dass Rechtspositivisten den festen Glauben daran besitzen, dass, wenn sie eine Forderung nur auf ein Blatt Papier schreiben und es dann als Gesetz veröffentlichen, das irgendetwas mit „Recht“ zu tun habe, und die ganze Welt müsse sich daranhalten. Aber so entstehen auch Kriege und andere Konflikte. Irgendwem passt irgendwas nicht, und der lässt dann seine Befehlsausführer in fremde Gebiete einmarschieren oder verhängt ein Embargo.

Die Bundesregierung befindet sich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten in ständigem Austausch. Mich würde nicht wundern, wenn sich diese vor Lachen nicht mehr einkriegten. Andererseits liefert das auch wieder Sprengstoff für Eskalation. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die deutsche Regierung versucht, die arabische unter Druck zu setzen, um ihr „Recht“ in einem fremden Land durchzusetzen. Denn die mächtige Bundesregierung sieht sich scheinbar ohne Hilfe nicht imstande, ein Dokument an Telegram zuzustellen. Mario Buschmann droht, sollte der nächste Zustellversuch scheitern, mit einer öffentlichen Zustellung. Danach könne ein Bußgeld in Millionenhöhe verhängt werden. Ich wünsche dann schon mal viel Spaß beim Eintreiben, wenn man schon zu inkompetent ist, einen Brief zuzustellen. Die Innenministerin strebt derweil eine europäische Lösung an, um Telegram zur Kooperation zu zwingen. Ich bin gespannt, wie diese aussehen soll.

Der zahnlose Tiger

Wie die Konsequenzen für deutsche Nutzer von Telegram aussehen sollen, ist offenkundig. Und damit komme ich auch zum zahnlosen Tiger. Die Innenministerin redet von „Abschaltung“. Unter Abschaltung könnte man verstehen, dass die Server des Betreibers heruntergefahren und beschlagnahmt werden, was sich aber als schwierig erweist, wenn man keinen Zugriff darauf hat. Daher würde man in Deutschland den Weg über die Provider der Nutzer von Telegram gehen. Man wird die Telekom, Vodafone, 1&1 und Co. dazu nötigen, eine sogenannte DNS-Sperre einzurichten. Technisch sieht das dann so aus, dass die Provider, die von Telegram genutzten Domains nicht mehr auf die IP-Adressen der Server auflösen. Diese Sperre lässt sich leicht umgehen, indem man einen anderen DNS-Server als den des Providers in seinem Heim-Router einträgt.

Des Weiteren wäre es für die Provider möglich, den Netzwerkverkehr per „Deep Packet Inspection“ zu filtern und damit den Zugang zu Telegram zu sperren. Aber auch diese Sperre ist mit verschlüsselten VPNs (virtuelle private Netzwerke) kinderleicht zu umgehen.

Ähnlich zahnlos ist auch die Maßnahme, Telegram für deutsche Nutzer aus den großen App Stores von Google und Apple entfernen zu lassen. Zumindest für Nutzer des Google-Betriebssystems Android ist es ein Leichtes, Anwendungen auch von Quellen außerhalb des Google Play Store zu installieren. Für iPhone-Nutzer wird es durch die Notwendigkeit eines sogenannten Jailbreak ein wenig komplizierter, aber nicht unmöglich. Deswegen bin ich auch ein Freund von offenen Systemen, die ihren Nutzer nicht vorschreiben, was sie mit ihrer Hard- und Software machen dürfen und was nicht.

Lösungen für die Zukunft

Auch wenn die Maßnahmen, die die Regierung ergreifen will, eher ein Maunzen als ein Fauchen sind, sollte man sich Gedanken darüber machen, was passiert, wenn die Herrscher weiter aufrüsten. Vielleicht schaffen sie es tatsächlich in Zukunft, die Kommunikation über zentral betriebene Dienste zu unterbinden. Um dem als Nutzer entgegenzuwirken, denke ich an dezentrale Systeme, wie es Bitcoin heute schon ist. Selbst wenn sich alle Länder dieser Welt verschwören und Bitcoin „verbieten“, wäre es nicht möglich, Bitcoin abzuschalten. Mehrere Zehntausend Nodes (Knoten) in fast allen Ländern auf diesem Planeten müssten gleichzeitig offline genommen werden, um Bitcoin abzuschalten. Diese verbergen sich zu einem großen Teil im Tor-Netzwerk, was sie nur schwer auffindbar und damit für Regierungen unerreichbar macht.

Solche dezentralen Netzwerke, in denen die Nutzer selbst die Infrastruktur bereitstellen und sich nicht auf einen zentralen Anbieter verlassen müssen, können in Zukunft auch die Basis für unzensierbare Messenger sein. Erst die Notwendigkeit, dem staatlichen Fiat-Geld zu entkommen, hat Bitcoin den Weg geebnet und viele Unterstützer beschert. So wird es auch mit der Kommunikation sein. Wenn erst mal die Notwendigkeit besteht, ein dezentrales System zu bilden, wird es entstehen, und dann kann keine Regierung der Welt mehr etwas dagegenhalten.

Veränderungen durch eine Abschaltung?

Wird das Abschalten von Telegram überhaupt etwas ändern? Viele Nutzer verbreiten ihre Inhalte doch gerade erst auf Telegram, seitdem sie auf anderen Plattformen mit fadenscheinigen Argumenten verboten und gelöscht werden. Ist die Bundesregierung tatsächlich so naiv zu glauben, dass diese Nutzer nicht eine neue Plattform suchen und verwenden werden? Werden Personen, die Morddrohungen aussprechen und Anschläge planen, plötzlich damit aufhören, bloß weil Telegram nicht mehr verfügbar ist? Werden sie zu Messengern wechseln, die deutlich besser durch die Regierung überwacht und zensiert werden können? Das Gegenteil wird der Fall sein. Es liegt auf der Hand, dass diese Individuen noch weiter in den Untergrund gedrängt werden, wo ein deutlich größeres Potenzial der Radikalisierung besteht.

Dem forcierten technischen Fortschritt – durch jede neue Maßnahme zur Unterdrückung der Bevölkerung – sehe ich jedoch sehr positiv entgegen. Die Herrscher schaffen immer wieder Anreize, sich ihrer Herrschaft zu entziehen. Bitcoin war nur der erste Schritt einer friedlichen Revolution, und dezentrale Messenger werden der zweite sein.


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