29. März 2022 08:00

Personalprüfung zu Christian Zuckermann Das magische Denken der bösen Zeichen

Betrachtungen zum Verkehrsdezernenten von Gießen

von David Andres

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Die Landschaftsgemälde an der Wand des ehemaligen Konferenzraums, den sich Christian Zuckermann mit seinen Büroleitern teilt, haben etwas Erbauliches. Eine Leichtigkeit und Unschuld, die dem Kreisbeigeordneten und Verkehrsdezernenten von Gießen selbst weniger gegeben ist. Der Grüne hat kürzlich entschlossen durchgegriffen und den Katalog verbotener Autokennzeichen um einige Kombinationen erweitert. Verboten in seiner Region sind fortan auch: HH, AH, BH und WP.

Dass andere Verkehrsteilnehmer beim Blick auf die ersten beiden Kürzel selbstverständlich sofort an den Hitlergruß sowie die Initialen des ehemaligen Diktators denken, liegt auf der Hand. Was kommt dem Durchschnittsbürger anderes in den Sinn, wenn er derlei Buchstabenfolgen auf dem Nummernschild seines Vormannes sieht. Oder seiner Vorfrau.

Aber BH? Und WP?

WP weise auf „White Pride“ hin und „BH“ nicht etwa auf den Büstenhalter, sondern auf das rechtsextreme Netzwerk „Blood and Honour“, wie die Kreisverwaltung mitteilt. „Das“, so zitiert die „Frankfurter Allgemeine“, „solle künftig im Kreis Gießen nicht mehr möglich sein, denn Rechtsextremismus und menschenverachtende(n) Ideologien […] müsse auf allen Ebenen entgegengetreten werden“.

Das Verbot von bestimmten Autokennzeichen als möglichen Symbolen einer sinistren Gesinnung offenbart ein zutiefst magisches Denken. Im Grunde folgt es der Überzeugung, dass mit der Verbannung der Zeichen selbst das Böse bereits aus der Welt getilgt werden kann. Dies umso mehr, als dass ein Verbot jener Kennzeichen ja unabhängig von der Absicht geschieht, die ein Kraftfahrzeugführer (noch so ein Wort …) beim Aussuchen des Kennzeichens haben mag. Selbst die Gießener Verwaltung wird ja kaum glauben, dass jeder, der sich ein BH oder WP aufs Blech prägen lassen möchte, damit tatsächlich „Blood and Honour“ und „White Pride“ meint. Das Verbot unterstellt also den Zeichen an sich eine böse Essenz; einen Schatten, der direkt aus der Unterwelt entfleucht. Man könnte sich den großen, kräftigen, interessanterweise Glatze tragenden Zuckermann auch im Gewand eines manischen Mönches aus einem Fantasy-Film vorstellen, der Schutzsiegel an Türen und Wände malt, um durch sie Dämonen zu bannen.

Wobei der konkrete Verkehrsdezernent Zuckermann in der heutigen Personalprüfung eher als Repräsentant eines allgemeinen Denkens zu werten ist, das sich in der vermeintlich sachlichen Verwaltungsseele breitgemacht hat. Wäre dieses Denken „nur“ magisch im oben beschriebenen und „gut gemeinten“ Sinne, bliebe es eine drollige Schrulle. Doch es offenbart ja neben der Aufladung von Zeichen mit magischer Potenz noch eine viel gefährlichere Haltung – die absolute Geringschätzung des Bürgers als willenlose Reiz-Reaktions-Maschine, als rein behavioristische Laborratte und vor allem eben als Faschismusträger.  

Wieso?

Nun, wenn ich als Politiker davon ausgehe, dass die Verkehrsteilnehmer beim Blick auf derlei Buchstabenkürzel augenblicklich an rechtsextreme Inhalte denken (was nebenher gesagt freilich nur offenbart, wer hier tatsächlich wie im Wahn diesem Fetisch anhängt), dann wäre das allein ja noch kein Grund, sie zu verbieten. Denn derlei Inhalte bloß zu erkennen, heißt ja noch nicht, sie deshalb gutzuheißen oder durch sie wieder daran erinnert zu werden, wie großartig man das eigentlich findet und dies nur leider kurz vergessen hatte.

Genau das muss aber das Bild des Zuckermann und anderer Zeichenstürmer sein, das diese von den deutschen Bürgern haben. In uns allen schläft der Nazismus wie ein inaktiver Herpesvirus, der jederzeit aktiviert werden kann – zum Beispiel durch ein Blick auf ein Kennzeichen mit dem Kürzel BH oder WP.

Die Kennzeichen HJ, NS und SA sind übrigens hessenweit und sicher auch bundesweit schon länger untersagt. Die Zahlencodes 88, 18 und 444 wiederum können laut Zuckermanns Kreisverwaltung „aus technischen Gründen […] noch nicht gesperrt werden. Sie stehen, wie natürlich jeder weiß, für „Heil Hitler“, Adolf Hitler und „Deutschland den Deutschen“. Besonders Letzteres war mir völlig neu. Ich habe bislang als audiophiler Mensch das Kürzel „DDD“ (also die Buchstabenversion von „444“) immer mit dem alten Aufdruck auf CDs verbunden, der einst stolz verkündete, dass eine Aufnahme digital aufgenommen, digital abgemischt und digital gemastert wurde.

Aber in der Decodierung von bösen Zeichen lernt man durch das Engagement einer guten politischen Verwaltung nie aus.

„FAZ“ – „Kreis Gießen verbietet Autokennzeichen mit rechtsextremen Kürzeln“

„Gießener Anzeiger“ – „Christian Zuckermann: Mit guter Laune an die Arbeit“

„Achse des Guten“ – „Kampf den sittenwidrigen Nummernschildern!“


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