28. Juni 2022 08:00

Personalprüfung zu Stefan Blankertz In der Ruhe liegt die Kraft

Die Tiefenschärfe eines libertären Intellektuellen

von David Andres

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Mit meiner letzten Folge der Personalprüfung habe ich treue Stammleser dieses Mediums regelrecht erbost. Man müsse nicht auch noch hier über Männer wie Markus Lanz oder Richard David Precht lesen, schon gar nicht mit einem Hauch von wie auch immer begründeter Achtung vor Detailphänomenen in ihrem Denken und Handeln. Da mir das geistige Wohlergehen des Stammpublikums am Herzen liegt, rücke ich daher diese Woche eine Schlüsselfigur der libertären Lehre in Deutschland in den Fokus, einen Stammspieler „unserer“ Mannschaft, ein Antidot zu oben genannten medialen Lautsprechern – in jedweder Hinsicht.

Stefan Blankertz wird in den Interviews, Vorträgen und Gesprächen, die im Netz von ihm zu finden sind, meistens als „Deutschlands dienstältester Libertärer“ vorgestellt. Das stimmt, betrachtet man die Chronologie deutschsprachiger publizistischer Ereignisse und die Besetzung der ersten persönlichen Treffen und Zusammenkünfte erzfreiheitlicher Denker auf deutschem Boden Ende der Neunzigerjahre. Seither hat der Soziologe und Erziehungswissenschaftler mit den Spezialkenntnissen in der Gestalttherapie, der aus dem tiefen Westfalen stammt und heute Wahlberliner ist, eine erstaunliche und erwähnenswerte intellektuelle Spur hinterlassen, die an dieser Stelle ein frisches Scheinwerferlicht verdient.

Denn, ganz ehrlich, wer, selbst aus dem Stammpublikum dieses Magazins, hat jedes Buch des selbsternannten „Wortmetzes“ gelesen? Das libertäre Manifest, sicherlich, den Beginn von allem, die Bibel aller eigentümlich Freien, den Urknall hierzulande … und vielleicht auch noch seinen jüngeren Hit der provokanten Pointe namens „Mit Marx gegen Marx“, ein kolossales intellektuelles Vergnügen, auf das ich gleich noch mal zu sprechen komme. Zuvor kurz zurück ins Bücherregal und zu den Metern, die sich dort mit dem wohl produktivsten Buchautor des deutschsprachigen Libertarismus füllen lassen. Kennen Sie „Canetti Marinetti Onetti: Ein Triptychon“? Oder die Monographie zu Thomas von Aquin mit dem Untertitel „Die Nahrung der Seele“? Das ist eben das, was an Blankertz so fasziniert. Ja, er schreibt regelmäßig frische Manifeste des libertären Denkens wie „Anarchokapitalismus: Gegen Gewalt“ oder „Minimalinvasiv: Acht kritische Nachträge“. Aber er setzt sich eben auch einige Monate in seiner Altbauwohnung von Pankow hin und vertieft sich in den wichtigsten katholischen Theologen der Menschheitsgeschichte, um hernach allen Interessierten dessen Essenz zu kredenzen.

Blankertz’ Besonderheit liegt in der Gewissenhaftigkeit und Tiefenschärfe seiner Beobachtungen. Und vor allem in seiner radikalen Unvoreingenommenheit. Nur ihm gelingt es – da sind wir wieder beim oben genannten späten Pointenhit – ausgerechnet bei Karl Marx messerscharfe Kritik am Staat sowie Respektsbekundungen für den Kapitalisten zu finden, der den Mehrwert, den er abschöpft, überhaupt erst mal erzeugt … genauso wie den ganzen produktiven Fortschritt, der ohne ihn gar nicht möglich wäre. Blankertz schaut in die Texte der Frankfurter Schule von Adorno oder Marcuse, in Derridas Dekonstruktivismus oder in vermeintlich rein linke Anarchisten wie Bakunin oder Kropotkin. Und er findet überall Elemente, die sich ganz und gar nicht mehr so lesen, als taugten diese Köpfe nur als Feinde oder Stichwortgeber der Gegenseite. Ihn zu lesen, wie er sich in seinen aus Prinzip entweder in der eigenen edition g. oder bei Lichtschlag verlegten Büchern die Zeit nimmt, in aller Ruhe Unerhörtes zu denken und dabei stets libertär so rein und radikal zu bleiben wie kaum jemand sonst, ist allein schon formal ein Genuss. Seine Gespräche und Vorträge passen zu dieser Menge an Wissen und Argumenten. Sie sind immer ruhig, zugleich präzise, aber auch tastend, gespickt mit einem amüsierten, die kommenden Argumente einleitenden Lachen, das nicht dem Gegenüber gilt, aber offenbar den ganzen gedanklichen Vorurteilen und Einbahnstraßen, die andere nehmen, bevor Blankertz kommt und zeigt, dass aus der Sackgasse in Wahrheit sieben Wege herausführen.

Um abschließend doch noch mal Lanz und Precht zu erwähnen … es gehört zu den wohl niemals wahr werdenden Träumen, einmal einen Blankertz im intellektuellen Streitgespräch wenigstens mit einem überzeugten Etatisten wie Precht zu erleben, der mit ihm vom Temperament her immerhin die Ruhe teilt. Meine These: Selbst dabei würde es nicht laut, dafür fußnotenreich … und sehr, sehr lang bei Prechts Versuch, immer wieder frisches Land zu gewinnen, während Blankertz ihm einen staatstreuen Bootssteg nach dem anderen abmontiert.

Wer sich also selber sowohl freiheitlich ideologisch festigen und zugleich intellektuell anregen, fordern und ausbalancieren möchte, der sollte mal wieder Blankertz sehen, hören oder am besten gleich lesen.

Murray Rothbard Institut für Ideologiekritik (Autorenseite)

edition g.

Stefan Blankertz „Karl Marx der Anarcho-Kapitalist“ @ ESFL regional conference Cologne (Sons of Libertas)

Systemtheorie versus Feldtheorie – Vortrag von Stefan Blankertz im Rahmen des Berliner Gestaltsalon


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