10. November 2022 13:00

Lernen, lachen und netzwerken Bitcoin im Ländle

Ein Hotel voller Bitcoiner und Psychopathen

von Sascha Koll

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Vom 4. bis 6. November 2022 fand zum zweiten Mal in diesem Jahr das Event „Bitcoin im Ländle“ in Plochingen bei Stuttgart statt. Veranstaltungsort war das familiengeführte Hotel Princess. Auf das Event aufmerksam gemacht hat mich Marc Guilliard, der das Hotel mit seiner Familie zusammen in das „No. 1 Bitcoin Hotel in Deutschland“ verwandelt hat. Marc Guilliard könnte einigen Lesern durch ein Ferngespräch auf dem Odysee-Kanal von eigentümlich frei bekannt sein.

Zusammen mit „Einundzwanzig Stuttgart“ hat das Team ein großartiges Programm für Einsteiger und Fortgeschrittene auf die Beine gestellt, das sich auf die drei Areale „Main Stage“, „Mining Tent“ und „DIY Area“ verteilte. Aber auch abseits der Stages ging es fast ausschließlich um eines: Bitcoin.

Nicht umsonst nannte sich das zweite Event dieser Art „Werkbank Edition“, denn neben klassischen Vorträgen gab es auch Gruppenarbeiten und einen Hardware-Workshop, der Bitcoin in die physische Welt brachte und ihn anfassbar machte.

Bitcoin zum Anfassen

Schon am ersten Tag startete der theoretische Teil zum „Bitcoin Switch“ Workshop. Der „Bitcoin Switch“ ist ein zweiteiliger Elektronikbausatz aus einem Microcontroller und einem Relais. Mithilfe dieser zwei Module ist es möglich, bei eingehenden Bitcoin-, genauer gesagt Lightning-Transaktionen eine Aktion auszulösen. So ist es etwa möglich, einen handelsüblichen Warenautomaten auf Bitcoin-Zahlung umzubauen. Als Anschauungsobjekt konnten die Teilnehmer des praktischen Teils selbst einen Microcontroller programmieren und eine selbst gebaute Zapfanlage in Betrieb nehmen. Diese basierte auf einem Fünf-Liter-Fässchen, einer lasergeschnittenen Metallplatte, die auf dem Fässchen angebracht wird, den Elektronikbauteilen und einem Aktor, der nach Eingang einer Zahlung den Mechanismus betätigte, der köstlich-kaltes Bier strömen ließ. Ein weiteres Stück Hardware, das für Begeisterung sorgte, war das Bitcoin PoS. Ein in einem 3D-gedruckten Gehäuse verbauter Microcontroller, ein Tastenfeld und ein Display sorgen dafür, dass praktisch jeder Bitcoin-Zahlungen annehmen kann. Wie bei einem handelsüblichen Kartenzahlungsterminal gibt man den Betrag in Euro oder Dollar über das Tastenfeld ein. Daraufhin kann der Kunde mit seiner Handy-Wallet einen QR-Code scannen und damit die Zahlung auslösen. Das Beeindruckende an dem Gerät ist, dass es zum Betrieb keine Internetverbindung benötigt. Lediglich der zahlende Kunde muss online sein. Es ist vermutlich das perfekte Gerät, um Händler in seiner Umgebung zu „orangepillen“, da man es ihnen nur in die Hand zu drücken braucht. Ein Vorschlag der Workshop-Leiter war, das Gerät samt einem Hundert-Euro-Schein zu überreichen. So kann der Händler Bitcoin als Zahlungsmittel entgegennehmen und muss sich nicht um die Buchung von Bitcoin-Eingängen kümmern. Er nimmt Zahlungen in Bitcoin entgegen und legt den entsprechenden Betrag in Euro in die Kasse. Wenn die hundert Euro aufgebraucht sind (der Eigentümer der Bitcoin-Node kann den Zahlungsverkehr einsehen), meldet man sich wieder bei dem Händler und fragt ihn, ob die Erfahrungen so positiv waren, dass er weitermachen möchte, oder ob er vielleicht sogar die Bitcoins, die er einnimmt, selbst behalten möchte. So ist ein barrierefreier Zugang zu Bitcoin für kleine Händler möglich. Das Ziel des Ganzen ist, Bitcoin im realen Leben nutzbarer zu machen und die Menschen von den Vorzügen zu überzeugen.

Vorträge

Da mehrere Vorträge und Workshops parallel liefen, konnte ich leider nicht alle besuchen, doch die, die ich besucht habe, waren sehr lehrreich. Der Vortrag „24 Wörter im Kopf merken“ (Aus 24 Wörtern errechnet die Bitcoin-Wallet die privaten Schlüssel) behandelte die Merktechnik der Loci-Methode, die dazu gedacht ist, sich Wegpunkte in einem realen oder erdachten Raum zu merken und diese Wegpunkte mit jeweils einem Wort zu verknüpfen. Diese Methode war mir bisher nur aus Fernsehshows bekannt, in denen Gedächtniskünstler ihr Können unter Beweis stellen, doch die Nützlichkeit für das sichere Aufbewahren der eigenen Bitcoin („Brain Wallet“) war mir absolut neu. Auch der Vortrag zur Einführung in die Kryptographie in Bitcoin war sehr interessant und für Laien verständlich vorgetragen. Immerhin weiß ich jetzt, warum manche Bitcoin-Wallets in Zusammenhang mit den 24 Wörtern inkompatibel zueinander sind. Manche Wallets nutzen abweichende Ableitungspfade, um die privaten und öffentlichen Schlüssel zu generieren. Wer also schon mal das Vergnügen hatte, dass die eigenen Bitcoins in einer neuen Wallet nicht angezeigt werden, kann aufatmen: Sie sind nicht weg, sie sind nur in der Wallet nicht sichtbar, da ein anderer Ableitungspfad für die Schlüssel verwendet wird.

Ein Vortrag, den ich gerne noch besucht hätte, ist zum Beispiel „No KYC Coins“. In diesem Vortrag ging es darum, wie man KYC-freie Bitcoins bekommt. KYC steht für „Know Your Customer“, also das mittlerweile übliche Prozedere, das man an sämtlichen Börsen durchlaufen muss, um seine Identität zu bestätigen. Wer Bitcoins anonym kaufen möchte, sollte sich mit dem Thema „No KYC Coins“ beschäftigen.

Für Interessierte an Bitcoin-Nodes gab es die Vorträge „Full Node/Lightning Node für Einsteiger“ und „Advanced Lightning Node Management“.

Unterhaltung

Auch an Unterhaltung sollte es nicht fehlen. Das Abendprogramm des ersten Tages bestand aus „Bitcoin Plebtivity“ und einer „Meme Parade“. Vielleicht kennen Sie das Gesellschaftsspiel „Activity“, dessen Ziel es ist, Begriffe zu erraten. In der Originalfassung werden die Begriffe durch Zeichnen, Erklären oder Pantomime erraten. In einer großen Runde, wie in Plochingen, blieben jedoch nur Erklären und Pantomime für die Erklärung der Begriffe aus dem Bitcoin-Universum übrig, was die Stimmung jedenfalls nicht trüben konnte. Die „Meme Parade“ wurde von Leopold Mattes, der den Lesern der eigentümlich frei-Ausgaben 215 und 226 bekannt sein dürfte, angeführt. Der Saal grölte unaufhörlich, als Leo eine Stunde im Clown-Kostüm mit Witz und Wortgewandtheit von einem Meme zum nächsten leitete. Den Zuschauern des zweiten Abends heizten „cercatrova“ mit einem sehr unterhaltsamen Vortrag zum „Climacoin“ und „Loddi“ mit „Bullshit-Bingo – Maurice Höfgen Edition“ ein. Auch diesmal blieb kein Auge trocken.

Alles in allem war dieses Event großartig. Ich konnte lernen, lachen und netzwerken. Die Leute vor Ort waren offen und hilfsbereit, egal, ob es um Bitcoin und Politik ging. Auch einige Gespräche über Privatstädte, Libertarismus und Anarchismus konnte ich führen und die „Orange-Pillierten“ möglicherweise etwas „rot-pillieren“. (Die Redpill ist eine Anspielung auf die Pillen, die Morpheus Neo in Matrix anbietet. Die rote Pille zeigt Neo die ganze Wahrheit. Die blaue lässt ihn vergessen.) Ich freue mich schon auf das nächste Zusammenkommen, wenn es wieder „Let’s fucking go!“ heißt.


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