06. Dezember 2022 19:00

Erbschaftsteuer in Deutschland Wieso erben weder „leistungslos“ noch „ungerecht“ ist

Warum emotionieren politische Akteure einen „leistungslosen Anteil“ am Besitz anderer?

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Gemäß dem Entwurf zum neuen Jahressteuergesetz wollen die Politiker die Erbschaftsteuer durch eine Änderung der Bewertung von Immobilien im Ergebnis massiv erhöhen. Wie üblich wurden im Vorfeld die Rufe in den Leitmedien nach höherer Erbschaftsteuer lauter. Im Feuilleton der „NZZ“ ging es sogar um das Werk eines Autors, der die alte Forderung nach 100 Prozent Erbschaftsteuer wieder auf den Tisch brachte. Anna Schneider, Chefreporterin der „Welt“, twitterte hingegen, Erbschaftsteuer sei „Leichenfledderei“ – und erntete dafür selbstverständlich heftige Kritik. Bei den zu erwartenden Rationalisierungen der Proponenten der Erbschaftsteuer fand man die üblichen Schlagwörter wie „Leistungsgerechtigkeit“ und „leistungslos“ erlangtes Vermögen.

Da dies eine praxeologische (handlungslogische) Kolumne ist, wollen wir die Sache hier genauer betrachten. Praxeologisch kann Handeln a priori (von vornherein) kategorisiert werden in feindliches, freundliches oder zumindest friedliches Handeln in Bezug auf den Besitz einer Person an seinem Körper und seinen Sachen. Eine feindliche Handlung liegt a priori vor, wenn eine Person mit Drohung oder Zwang zu einer Handlung bewegt werden soll, die sie ansonsten nicht vorgenommen hätte, und dabei in ihrem Besitz geschädigt wird.

Vor dem Tod des Erblassers wäre es also a priori eine feindliche Handlung diesem gegenüber, wenn man ihn bedrohte, um an einen Teil seines Besitzes zu gelangen. Dabei spielt es handlungslogisch im Übrigen keine Rolle, ob die Drohenden in der Mehrzahl sind oder ob sie meinen, die Macht, diese Drohung durchzusetzen, gebe ihnen das Recht dazu. Schenkt der Erblasser sein Vermögen von Todes wegen einem anderen, ist dies hingegen keine feindliche Handlung. Erben ist also auch nicht ungerecht in dem Sinne, dass ein Dritter dadurch zu Schaden käme. Ob der Erbe oder Beschenkte das Vermögen „leistungslos“ erworben hat, ist natürlich ein subjektives Werturteil, das nur der Erblasser abgeben kann – und nicht ein links von ihm stehender Beobachter. Aber selbst wenn der Erblasser jemanden bedenkt, der es seiner Meinung nach vielleicht „nicht verdient“ hat – es ist keine feindliche Handlung, sondern eine freundliche. Der linke Beobachter hatte den Besitz des Erblassers vorher ja auch nicht, kommt also nicht zu Schaden. Ob sich „Leistung lohnen“ muss, beurteilen im Übrigen stets die Parteien einer Vereinbarung oder Zuwendung selbst und aus ihrer subjektiven Sicht. Es gibt kein objektives Kriterium für den Wert, den ein Leistender erbringt, sondern nur etwa acht Milliarden subjektive.

Das Bedrohen des Erben, etwas von dem Erbe abzugeben, ansonsten folgten Zwangsgeld, Zwangshaft oder – im Falle der Weigerung – unmittelbarer Zwang, sprich Gewalt, ist handlungslogisch a priori eine feindliche Handlung. A priori heißt auch, dass die empirischen Sozialwissenschaftler dies nicht mit Daten widerlegen können. Denn will ein Erbe besteuert werden, hätte er ohne die Drohung nicht anders gehandelt, sodass keine feindliche Handlung vorläge. Übrigens ist die Aussage „Ich will besteuert werden“ ungleich mit der Handlung, die Steuer auch dann zu entrichten, wenn kein Zwang eingesetzt würde. Talk is cheap. In vielen Fällen – das sagt jetzt die Erfahrung und nicht die Logik – wird einer, der vorher hinausposaunte, er würde gerne sein Erbe ganz oder teilweise an den Staat abgeben, dies nicht tun, wenn die Erbschaftsteuer wegfiele.

Was motiviert nun die Verfechter einer Erbschaftsteuer, den Willen des Erblassers zu ignorieren und den des Erben mit Zwang zu beugen, um an einen Teil des Erbes zu gelangen? Praxeologisch folgt das Handeln aus dem Denken und Fühlen und dieses wiederum aus den – oft unbewussten – Haltungen zu sich selbst und zur Welt. Vom Verfechter der Erbschaftsteuer wissen wir, dass er eine feindselige Haltung seinen Mitmenschen gegenüber hat, sonst würde er keine feindlichen Handlungen gegen Erben emotionieren, die ihm selbst überhaupt nichts getan haben, ja, die er wahrscheinlich noch nicht einmal kennt. Solche Haltungen könnten etwa sein, die anderen schuldeten ihm etwas, auch wenn sie sich zu nichts verpflichtet haben. Oder „die Gesellschaft“ schulde ihm oder anderen etwas oder „man“ schulde „der Gesellschaft“ etwas. Dabei begeht er den Denkfehler der Hypostasierung, weil er einem imaginierten Konzept („die Gesellschaft“) eine unmittelbare Realität zuschreibt, die es so nicht gibt. Ein Handelnder aus Fleisch und Blut und ein vorgestelltes Konzept von einer selbständigen Wesenhaftigkeit einer Mehrzahl von Menschen sind etwas Unterschiedliches.

Wie kann man den Menschen helfen, die ungünstige Haltungen zu sich und der Welt verinnerlicht haben? (Und damit mittelbar auch denen, die unter den feindseligen Handlungen solcher Menschen leiden …) Man müsste sie emotional erreichen, um zu ihrer – oft unbewussten – Haltungsebene zu gelangen, also ihr Denken und Fühlen ansprechen. Aufklärung ist eben nicht bloß eine Angelegenheit des Verstandes und der Vernunft, sondern auch eine psychologische, wie Immanuel Kant schon wusste. Die Haltungen feindseliger Menschen sind ungünstig, nicht nur für die Opfer, sondern auch für sie selbst, weil diese Haltungen zu den Erkenntnissen der Praxeologie im Widerspruch stehen und damit im Widerspruch zur Lebenswirklichkeit handelnder Lebewesen. Die Haltung etwa, „die Wirtschaft“, zwischenmenschlicher Austausch sei ein Nullsummenspiel, bei dem die einen auf Kosten der anderen gewännen, ist logisch falsch.

Mit günstigeren Haltungen zu sich und der Welt kann der Betroffene seine Bedürfnisse erforschen, die er findet, sobald er die verinnerlichten Gefühle von Ungenügen, Schuld und Scham überwindet, die er mit seinen ungünstigen Haltungen – und Handlungen – zu kompensieren versucht. Hier kann man Angebote machen. In meinem Buch „Der Kompass zum lebendigen Leben“ beschreibe ich im Anhang günstige, weil mit der Lebenswirklichkeit des Handelns übereinstimmende Haltungen, und wie man solche Haltungen „verinnerlichen“ kann. Auf der sachlichen Diskussionsebene hingegen wird man die Erbschaftsteuer-Verfechter kaum überzeugen können, denn gemäß ihrer aktuellen Haltung ist ihr Ziel nicht Diskurs, sondern das Ausagieren eines tieferliegenden Bedürfnisses, sodass sie ihren Wunsch nach „leistungsloser Beteiligung“ am Besitz anderer diskursiv rationalisieren werden.

BR24: Erbschaftsteuer: Wird der Streit über Freibeträge gelöst?

„Neue Zürcher Zeitung“: Am liebsten möchte Lukas Bärfuss das Eigentum abschaffen. Vorerst sollen bloss die Erben enteignet werden

„Welt“: Ach und: Erbschaftsteuer ist Leichenfledderei.

Andreas Tiedtke: Politik, wie wir sie heute kennen, ist keine wohlmeinende Veranstaltung

Andreas Tiedtke: Nichts ist so eindeutig, dass es sich nicht umdeuten ließe

Andreas Tiedtke: Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter – zu Immanuel Kants 218. Todestag

Andreas Tiedtke: Der Kompass zum lebendigen Leben


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