08. Januar 2023 13:00

Christentum heute Wer Gott nicht erkennt, wird zu Götzen beten – Worte zum Dreikönigsfest

Die Kirche soll Christi Botschaft verkünden und muss endlich damit aufhören, den Staat zu vergöttern

von Reinhard Günzel

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Die Schriften der Bibel, in der wir am dritten Advent blätterten, wurden gegen Ende des vierten Jahrhunderts auf mehreren Konzilien der frühen Kirchen kanonisiert. Die Lehre Christi, niedergelegt im Neuen Testament, hatte sich bis dahin als äußerst wirkmächtig erwiesen, breitete sich trotz grausamer Verfolgung rasch im Römischen Reiche aus, verdrängte die alten Götter, wurde im Reich zur Staatsreligion erhoben und ward trotz des bald einsetzenden Zerfalls des Imperiums danach stärker als je zuvor. Denn auch wenn das Reich zerfiel, blieben die Kirchen und Klöster bestehen und nahmen, zumindest in Europa, nach und nach alle weltlichen Herrscher das Christentum an. Hier sei noch vorab festgehalten, dass es sicherlich in Christi Sinn war, dass auch weltliche Herrscher seine Lehre annahmen, aber das Christentum als staatliche Institution lag wohl kaum in seiner Absicht, denn ihm, dessen Reich nicht von dieser Welt war, wäre nie in den Sinn gekommen, Menschen anders als durch geduldige Überzeugung zur Annahme seiner Lehre zu bewegen. Folter, Inquisition, Kreuzzüge, Religionskriege, gewaltsame Bekehrungen: All das wäre ohne die Verbandelung der christlichen Oberhäupter mit der Staatsmacht und ihren weltlichen, oftmals unchristlichen und eigennützigen Zielen vielleicht auch über uns gekommen, dann aber unter einer anderen Überschrift und nicht im Namen Jesu. So viel gilt es an dieser Stelle einmal festzuhalten.

Der einzelne Mensch ist rational und lernfähig, vermag sich unterschiedlichen Bedingungen anzupassen, und es ist ihm auch seit Urzeiten geläufig, dass er im sozialen Zusammenwirken die Bedingungen seiner Existenz erheblich verbessern kann. Erprobt und eingeschliffen ist daher das soziale Verhalten in der Kleingruppe, wo jeder jeden kennt und das Miteinander durch ungeschriebene und eingeübte Verhaltensweisen bestimmt wird. Die moralischen Standards einer Kleingruppe taugen aber nur sehr bedingt, wenn die Kooperation in größeren Einheiten stattfinden soll. Hier kommt der Staat ins Spiel, gegen den und sein Wirken sich sehr viel einwenden lässt, der ganz offensichtlich aber auch Vorteile bietet, da sich andernfalls die Menschheit seiner längst entledigt hätte. Im freiheitlichen Staat – und nur der hat eine Zukunft – besitzt jeder Bürger unveräußerliche Rechte, wie Meinungsfreiheit, Redefreiheit und die Freiheit, über sein Eigentum selbst zu verfügen.

Garantiert werden die Freiheit von willkürlichen Zwängen und die Unverletzlichkeit der eigenen Person. Es sind diese unveräußerlichen Rechte, die der Staat dem Bürger nicht nehmen oder auch nur schmälern darf, soll er mit seinem Gewaltmonopol nicht ins Totalitäre abgleiten. Dem Staat fällt einzig die Aufgabe zu, das Zusammenleben der Bürger in seinem Hoheitsgebiet zu gewährleisten und dabei die Einhaltung der Bürgerrechte zu respektieren. Zur Aufrechterhaltung seiner Funktionen erhält der Staat angemessene Steuern.

Ja, ich weiß, klingt wie aus dem Märchen, die Realität ist eine andere, aber es war ja gerade Weihnachten.

Ganz anders die Lehre der Bibel, die auch eine Menge Gebote und Verbote kennt. So beginnen die Zehn Gebote alle mit „Du sollst“, wobei bei einigen noch das Wörtchen „nicht“ nachfolgt, womit sie also überwiegend eine Abfolge moralischer Forderungen sind. Es sind aber wahrhaft göttliche Gebote, deren Befolgung ein friedliches, konfliktfreies Zusammenleben ermöglicht, und so stellt sich auch die Frage, wie wir erreichen können, dass möglichst viele oder, besser noch, alle Menschen diese Gebote befolgen, ihre moralischen Standards verinnerlichen und sie zur Richtschnur ihres Handelns machen. Jesus selbst kennt keine Zwänge zur Annahme der christlichen Religion und keine diesseitigen Sanktionen bei Fehlverhalten, Verletzung und Missachtung der biblischen Gebote. Er stellt lediglich eine Belohnung in Aussicht für all jene Menschen, die seine Lehre verinnerlichen und ihr folgen – eben die innere Überwindung des Weltlichen, Freiheit der Seele und Sicherheit des Leibes im Glauben. Für eine Reihe von Menschen ist das aber wenig Anreiz, um ein christliches Leben zu führen, denn zu reizvoll sind ihnen diesseitiger Machtrausch, irdische Reichtümer und so manches mehr von der Art, als dass sie bereit wären, zugunsten der christlichen Heilslehre darauf zu verzichten. Wäre hier nicht der Wunsch naheliegend, doch ein wenig nachzuhelfen und staatliche Unterstützung bei der Bekehrung des Menschengeschlechts einzusetzen, mithilfe eines christlichen Gottesstaates gleich zwei Ziele auf einmal zu erreichen, den besseren Menschen und die bessere Gesellschaft zu schaffen, was ja nicht der erste Versuch wäre?

Die Antwort ist ein klares und entschiedenes Nein, das sich sowohl vom Standpunkt der Religion als auch aus staatsphilosophischen Erwägungen heraus ableiten lässt.

Beginnen wir mit der Begründung aus der christlichen Lehre heraus. Die christliche Lehre mit staatlichem Zwang durchzusetzen, führt zu keinem besseren Menschen. Ein solches Vorgehen begünstigt lediglich die Heuchelei, macht eine Gesellschaft nicht besser, und die Überwindung des Weltlichen in der Hinwendung zu Gott kann niemals unter Zwang erfolgen. Es wäre ein Widerspruch in sich selbst. Die Trennung von Kirche und Staat liegt daher im ureigensten Interesse der Kirche selbst.

Doch auch der freiheitliche Verfassungsstaat kann in Glaubensfragen, die ja zu den unveräußerlichen Grundrechten gehören, keinerlei Partei ergreifen, es sei denn, er verletzt eben diese Grundrechte, zerstört also seine eigenen Grundlagen.

Und weiter wäre der freiheitliche Verfassungsstaat als Organisationseinheit einer offenen Gesellschaft, die grundsätzlich keine Ziele verfolgt, im Gottesstaat ja mit allen Konsequenzen keine offene Gesellschaft mehr oder, andersherum, könnte der Gottesstaat dann auch keinerlei religiöse Bekenntnisse zum Staatsziel erheben. Neben diesen Argumenten werfen wir noch einen Blick rundum und in die Geschichte: Unabhängig von der Konfession sind alle Gottesstaaten schon allein deshalb, weil sie ihre Staatsbürger in Gläubige und Ungläubige scheiden müssen, was in einem Gottesstaat weitreichende rechtliche Konsequenzen hat, immer totalitär und damit die Hölle auf Erden.

Es bleibt also dabei: Egal, wie man sich der Frage auch nähert, sind Staat und Religion strikt voneinander zu trennen.

Doch trotz aller erforderlichen Trennung bleibt das Verhältnis ambivalent, denn der freiheitliche Verfassungsstaat kann bekanntlich seine Existenz nicht aus sich selbst heraus behaupten. Er ist auf Akzeptanz und Stützung durch seine Bürger angewiesen und hier, bei der Stabilisierung eines freien Gemeinwesens, leistet das Christentum einen, wenn auch oft unterschätzten, so doch bedeutenden Beitrag.

Der sich seit dem Ausgang des Mittelalters beschleunigende Aufstieg Europas ist ohne die Lehren Christi, die zusammen mit dem noch immer lebendigen Römischen Recht das Leben der Europäer regulierten, schwer vorstellbar. Die im Christentum verbürgte Gleichheit aller Menschen vor Gott, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Aussehen oder sozialem Status, fand in den sich entwickelnden modernen Rechtsordnungen ihre weltliche Entsprechung in der Gleichheit vor dem Gesetz. Der Mensch, geformt nach dem Abbild Gottes, hat auch eine innere göttliche Würde, die ihm von keinem Sterblichen genommen werden kann. Ausgehend von dieser Würde ist die Erkenntnis naheliegend, dass allen Menschen angeborene, unveräußerliche Rechte eigen sind, und Gott als höchste Instanz, vor der sich der gläubige Mensch für sein Tun verantworten muss, findet seine Entsprechung im Rechtsgrundsatz der Gewissensfreiheit. Deshalb darf eine irdische Rechtsordnung zwar Verbote aussprechen, aber sie darf niemanden dazu zwingen, gegen Gewissensentscheidungen zu verstoßen. Basierend auf diesen aus dem Christentum entwickelten Rechtsgrundsätzen, zusammen mit dem immer noch fortwirkenden Römischen Recht, war es den Europäern möglich, über die eigene Familie oder Sippe hinaus miteinander zu kooperieren, was bis heute noch nicht in aller Welt selbstverständlich ist. Der Aufschwung auf allen Gebieten, den Europa noch vor der Industrialisierung nahm, war beachtlich. Die Erde wurde umsegelt, die nun keine Scheibe mehr war, die Wissenschaften entwickelten sich, brachten neue, bis dahin ungeahnte Erkenntnisse hervor und bedeutsame Erfindungen, wie den Buchdruck und nicht zuletzt das Pulver.

Wir hatten allen Grund, Weihnachten eine Kirche aufzusuchen und feierlich des Gottessohns und seiner Botschaft zu gedenken.

Doch die Kirche ist auch nicht mehr das, was sie einst war, denn allzu viele ihrer Vertreter reden der Obrigkeit wieder nach dem Munde, biedern sich an, anstatt freudig Christi Botschaft zu verkünden. Man durfte daher auf Enttäuschungen gefasst sein – eine gegenderte Predigt oder der Priester mit einer Stola in den Regenbogenfarben sind heute üblich. Die Gleichheit aller Menschen vor Gott ist vielfach Geschichte von gestern, sie wird kaum mehr gepredigt, an ihre Stelle sind Wokismus, Schuldzuweisungen an ethnische Gruppen, Genderei, Enteignung, wo Barmherzigkeit draufsteht, getreten, denn nichts anderes ist die sogenannte Solidarität mithilfe von zuvor unter Zwang eingetriebenen Steuergeldern und so vieles mehr aus dem Werkzeugkasten des Teufels zur Verderbnis des Menschengeschlechts. Wann haben Sie jemals in der Kirche gehört, dass der Staat die weltlichen Dinge zwar regeln soll, sich dabei aber jeden Zwangs in moralischen Fragen zu enthalten habe, moralische Fragen, zu deren Entscheidung ausschließlich der Mensch an sich, in Befragung seines Gewissens unter Gott, zuständig ist? Hier, und nicht in der Anbetung des Klimagötzen, liegt der Acker, den die Kirche bestellen muss, den sie nicht länger brachliegen lassen darf.

Und erst recht, wie war es während der Pandemie, als Ungeimpfte wie Aussätzige behandelt wurden, ihnen der Zutritt in die Gotteshäuser verwehrt, ihnen weder in den Pflegeheimen noch in den Krankenhäusern beim Sterben Trost gespendet wurde? Ich weiß, die Gesetzeslage … aber gilt nicht auch, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg?

Da fragt man sich doch, ob Jesus noch seinen Platz in unseren Gotteshäusern hat oder sein Kreuz bald verschwinden und in irgendwelche Kammern eingelagert wird, wie es im Münsteraner Rathaus bereits geschehen ist.

Ja, all das mag passieren, aber das Christentum hat auch nach 2.000 Jahren nichts von seiner Kraft eingebüßt, Christi Botschaft ist heute genauso aktuell wie zur Zeit ihrer ersten Verkündigung – sie muss nur wieder gepredigt werden, in Reinform, ohne modischen Schnickschnack.

Es lässt sich nicht leugnen, dass den Kirchen die Gläubigen davonlaufen, und Ursache dafür ist die Anbiederung der Kirchen an den Zeitgeist – doch der ist ein unsteter Geselle.


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