11. Februar 2023 19:00

Demokratie-Kult Neue Herrscher für Berlin

Zur Wahl gehen oder zu Hause bleiben?

von Thorsten Brückner

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An diesem Sonntag wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Ich erspare mir an dieser Stelle die Zusammenfassung, was zu dieser außerplanmäßigen Neuwahl geführt hat, und vertraue darauf, dass Sie darüber bestimmt besser informiert sind als ich. Mich beschäftigt vielmehr die Frage, was einen Berliner bewegt, vor allem nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahre, sich an einem grauen und kalten Februartag in ein Wahllokal zu schleppen. Was versprechen sich die Menschen davon, Herrscher auf Zeit zu wählen und damit zu legitimieren, die es auf ihr Geld, ihre Gesundheit und nicht zuletzt ihre Freiheit abgesehen haben?

Etwa die vage Hoffnung, dass eine Große Koalition unter Führung der CDU sie etwas weniger drangsaliert als eine rot-rot-grüne Regierung? Wer die vergangenen drei Jahre nicht im komatösen Zustand verbracht hat und dennoch argumentiert, die CDU sei das kleinere Übel, dem ist tatsächlich nicht mehr zu helfen, Gleiches gilt für die FDP. Und die AfD hat sich in den mittlerweile zehn Jahren ihrer Existenz als Ground Zero für libertäre Prinzipien erwiesen. Nicht wenige, die einst als Libertäre in die Partei eintraten, sind mittlerweile zu Deutschlandfahnen schwingenden Nationalkonservativen mutiert.

Das Gefährliche an der Partei: Sie erzeugt die Illusion, dass innerhalb des bestehenden Systems Veränderung möglich sei, wodurch sie es stabilisiert. Wer in der AfD eine Alternative sieht, muss sich eigentlich bloß an das Verhalten der Partei in den ersten Monaten des Jahres 2020 erinnern, als die AfD noch nicht einmal die Rolle des Bremsklotzes spielte, während der Allparteienzug mit Volldampf in die Covid-Diktatur gerast ist.

Traditionell stark ist in Berlin der Stimmenanteil von Kleinparteien, die an der Fünfprozenthürde scheitern. Bei der vergangenen Wahl waren das immerhin über zwölf Prozent. Also warum keine Kleinpartei wählen, um so seinen Unmut auszudrücken?

Reden wir doch mit jemandem, der auf diese Frage ganz sicher eine Antwort weiß. Vor neun Jahren habe ich während der Europawahl in Berlin gelebt, war dort auch wahlberechtigt und bin tatsächlich an diesem Tag in mein Wahllokal in Schöneberg gepilgert. Sogar einen Wecker hatte ich mir früh gestellt, um an diesem terminreichen Sonntag meiner „Bürgerpflicht“ nachzukommen.

Was würde ich mein neun Jahre jüngeres Ich fragen, wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte? Ein fiktiver Dialog über Wahlen, Demokratie und die Rolle des Staates.

Berlin, Schöneberg, am Morgen des 25. Mai 2014, dem Tag der Europawahl.

Guten Morgen, so früh schon auf?

Klar, heute ist doch Wahltag! Und gerade bei der Europawahl kann man so viel verändern, sind ja schließlich nicht nur die Deutschen wahlberechtigt, und Sperrklausel gibts ja auch keine mehr. Sag mal, kennen wir uns?

In gewisser Weise schon, aber irgendwie sind wir uns auch ziemlich fremd. Heute ist Sonntag und es sollen 25 Grad werden. Willst du nicht lieber zum Wannsee oder zur Krummen Lanke fahren, anstatt vor einem Wahllokal anzustehen?

Der Sommer hat noch nicht mal begonnen, es gibt noch unzählige Gelegenheiten zum Baden. Heute geht es darum, ein Zeichen zu setzen.

Ein Zeichen?

Ja, um den Politikern in Brüssel und Berlin klarzumachen, dass sie keine Mehrheiten auf ihrer Seite haben.

Oh, du rechnest also mit völlig neuen Mehrheiten nach der heutigen Wahl?

Nein, natürlich nicht. Aber es wird eine deutliche Mandatsverschiebung hin zu jenen geben, die mehr Subsidiarität und Selbstbestimmung fordern.

Selbstbestimmung? Welche Parteien in Europa bringst du denn mit Selbstbestimmung in Verbindung?

Alles ist besser als die Altparteien.

Und Subsidiarität?

Na klar. Ob in Schottland oder Katalonien, regionalistische Parteien sind im Kommen und verändern die ganze politische Landkarte in Europa.

Wen wählst du denn?

Die Bayernpartei.

Aber die wird doch selbst ohne Sperrklausel kein Mandat gewinnen.

Abwarten! Und selbst wenn nicht, ich wähle ja bei Landtags- und Bundestagswahlen auch Parteien, die es nicht ins Parlament schaffen. Es geht doch um die Botschaft, die man damit aussendet. Und es geht ja auch ums Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung.

Du hältst die staatliche Parteienfinanzierung für etwas Unterstützenswertes?

Natürlich nicht, aber so ist das System nun mal strukturiert. Das wird niemand so schnell ändern. Warum sollen nur die großen Parteien die ganze Kohle bekommen?

Hast du jemals daran gedacht, dass du dich vielleicht durch deine Beteiligung an der Aufrechterhaltung dieses Systems mitschuldig machst?

Ich bin Minimalstaatler, mit diesem anarchistischen Geschwätz kann ich nichts anfangen. Ich kämpfe für weniger Staat und mehr Subsidiarität, aber ein Leben ganz ohne Staat ist weder möglich noch wünschenswert.

Du kämpfst? Das ist eine interessante Wortwahl. Ist dieser „Kampf“ denn deine Energie auch wert?

Um ehrlich zu sein, manchmal frage ich mich das auch, aber sich ins eigene Schneckenhaus zurückziehen, kann ja auch keine Lösung sein.

Denkst du, die Situation in Deutschland wird in zehn Jahren besser sein als heute?

Da bin ich mir sicher, zumindest im ländlichen Raum. Überall in Europa reüssieren derzeit Parteien, die eine Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene fordern. Zusammen mit dem Erstarken regionalistischer Bewegungen wird dies in der nächsten Dekade zu mehr individueller Freiheit und weniger Bevormundung aus Brüssel führen. Berlin mag vor die Hunde gehen, aber ich lebe in zehn Jahren eh wieder daheim in Oberfranken. Da ist die Welt nämlich noch in Ordnung.

Regiert da nicht die CSU?

Besser als Grüne und Linkspartei, oder?

Naja, ich weiß ja nicht. Und auch das Programm der Bayernpartei trieft vor Forderungen nach staatlichem Interventionismus.

Man kann nicht alles haben. Politik bedeutet, Kompromisse zu machen. Du solltest auch wählen gehen. Wer nicht wählt, der muss damit leben, dass andere über einen bestimmen.

Aber du gehst doch wählen, und trotzdem bestimmen andere über dich! Ich beteilige mich schon seit ein paar Jahren nicht mehr an diesem Zirkus und eine Abstimmung mit den Füßen ist im Zweifel ohnehin die effizienteste, um sich einer übergriffigen Regierung zu entziehen.

Du meinst auswandern? Etwas dramatisch, oder? So schlimm wirds schon nicht werden. Du tust ja gerade so, als ob wir in einem autoritären Staat lebten und hier in ein paar Jahren die Diktatur ausbräche.

Kommt darauf an, was du dir unter Diktatur vorstellst. Vielleicht sind Demokratie und Diktatur gar nicht so unterschiedlich, wie du denkst?

Es stimmt schon: Demokratie ist nicht perfekt, deswegen haben wir ja auch einen Rechtsstaat. Grundrechte dürfen niemals zur Abstimmung stehen.

Und dennoch steht das, was du „Grundrechte“ nennst, ständig zur Abstimmung.

Genau deswegen muss ich jetzt los zum Wahllokal. Um Demokratie und Rechtsstaat zu stärken und nicht denen, die mehr Sozialismus und weniger Freiheit wollen, das Feld zu überlassen.

Du willst mehr Freiheit dadurch erreichen, indem du einen Zettel in eine Urne wirfst, auf dem die Namen derer stehen, die in Zukunft über dich und alle anderen herrschen sollen und über deren Entscheidungen du in den nächsten fünf Jahren keinerlei Kontrolle hast?

Deswegen braucht es mehr direkte Demokratie, damit die Bürger direkt Einfluss nehmen können, etwa wie letztes Jahr im Tessin beim Burka-Verbot.

Sagtest du nicht gerade, Grundrechte dürften nie zur Abstimmung stehen?

Europa ist ein christlicher Kontinent, muslimische Masseneinwanderung ist eine Bedrohung für unsere Freiheit.

Du willst also einen stärkeren Staat, um Einwanderung zu begrenzen?

Es geht hier um illegale Einwanderung.

Und welche Einwanderung legal und welche illegal ist, soll deiner Meinung nach der Staat entscheiden?

Wer denn sonst?

Bist du dir eigentlich des Widerspruchs bewusst, Wählern linker Parteien vorzuwerfen, deine Freiheit zu beschneiden, während du mit deiner Stimme möglicherweise diese Menschen in ihrer Freiheit einschränkst?

Das kann man doch nicht vergleichen. Ich muss jetzt los, meine Stimme abgeben.

In Ordnung, dann gib sie mal ab, deine Stimme, wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder.


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