21. Mai 2023

Volk und Staat Es ist leichter, über eine Bevölkerung als über ein Volk zu gebieten

Die bewusste Zerstörung des Zusammenspiels aus Sitten und Gebräuchen, dem christlichen Menschenbild und der Rechtsordnung

von Reinhard Günzel

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Bildquelle: Jojoo64 / Shutterstock Inschrift am Reichstag: Wer ist mit dem „deutschen Volke“ eigentlich gemeint?

Werbung, Werbung und wieder Werbung, dazwischen auch mal eine Rechnung – im Briefkasten findet sich im Zeitalter von Handy und Internet kaum noch ein persönlicher Brief, der mit einer schönen Briefmarke freigemacht ist. Doch das war, wie so vieles, früher auch anders, ohne Briefmarke ging nichts. Sie wurden bald zum Sammelobjekt, und für einige von ihnen, obwohl die meisten Sammlermarken praktisch nichts mehr kosten, müssen heutzutage Millionen hingeblättert werden.

Das Sammeln von Briefmarken führte in meiner Kindheit zu einem seltsamen Phänomen, das ich mir bis heute nicht erklären kann und zudem in Zeiten, in denen Geschlecht nur ein soziales Konstrukt ist und geschlechtsspezifisches Verhalten somit nur anerzogen sein kann, wohl auch niemand mehr wird erklären können. Jedenfalls in jenen Zeiten, als die Mädchen auf die Jungen zugingen und ihnen ihre Poesiealben mit der Bitte um Verewigung vorlegten, zu ebendiesen Zeiten und nur damals sammelten wir Jungen begeistert Briefmarken, wurden die Klassenzimmer während der Pausen zu Tauschbörsen, und ich konnte, nachdem ich Dachböden und Verstecke geplündert hatte, da auch gut mithalten. Unter meinen Briefmarken zeigten die meisten gekrönte Häupter oder auch nur Staatspräsidenten, etliche die Swastika, und viele meiner ältesten Marken zierte bei wechselnden Motiven ein Spruchband, immer mit den gleichen Worten: „Ein Reich, ein Volk, ein Gott“. Doch so schön sich das auch liest, war es lediglich eine Tatsachenbehauptung, die an der Wirklichkeit vorbeigeht, wobei mit „ein Gott“, das hatte schon seine Ordnung – denn wenn Gott existiert, kann es nur einen geben, darin sind sich die Offenbarungsreligionen einig, und es ist schließlich für den einen Gott völlig unerheblich, in welchem Namen die Gläubigen ihn anrufen.

Aber „ein Reich, ein Volk“, das war doch Propaganda, denn als Volk bezeichnet man Menschen mit etlichen Ähnlichkeiten – nicht nur von der Abstammung her, auch hinsichtlich der Sprache und Kultur und damit der Sitten und Gebräuche –, und so gesehen lebte ein bedeutender Teil des bis dahin sich als deutsch empfindenden Volkes nach der Reichsgründung in Österreich-Ungarn und andere waren noch weitergezogen, nach Russland oder Amerika beispielsweise.

Es war auch nicht nur ein Volk, das im Reichsgebiet lebte, denn die Sorben in der Lausitz, die Polen im Osten oder die Dänen im Norden, jeweils mit mehr oder weniger umrissenem Siedlungsgebiet, beanspruchten alle eine eigene Nationalität, was Loyalität zum Reich nicht von vornherein ausschloss. Es ist auch heutzutage eher die Regel als die Ausnahme, denn in den meisten Staaten wohnen mehrere Völker. In China sind es etwa 50 Völker und im Gebiet unseres neuen Erzfeindes, der Russischen Föderation, leben trotz des Zerfalls der Sowjetunion neben den Russen immer noch weitere 100 anerkannte Völker.

So hängen wir bei der Frage nach Volk und Staat schon gleich am Anfang fest, denn das Volk ist begrifflich nicht so leicht zu fassen, und obendrein steht jedwede Erörterung der Problematik wegen der Nähe zum verfemten Völkischen unter Generalverdacht der Tugendwächter, droht der Vorwurf der Homophobie. Auch die ähnliche gemeinsame Abstammung führt bei der Klärung des Volksbegriffs nicht so richtig weiter, denn bei den genetischen Unterschieden zwischen einzelnen Völkern haben wir es mit äußerst geringen Differenzen zu tun, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass Mensch und Schimpanse vom Erbgut her zu fast 99 Prozent identisch sind und es demzufolge auf dieses reichliche ein Prozent ankommt, das den Schimpansen vom Menschen trennt. Und wer um die Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschen weiß, den wird es vielleicht wundern zu erfahren, dass diese von der Genetik her etwa genauso groß sind wie zwischen Polen und Deutschen. Hinzu kommt, dass der Mensch Gene aktivieren und deaktivieren kann.

Ähnlich ist es mit den sprachlichen Gemeinsamkeiten, die zwar durchaus eine Rolle spielen, aber keineswegs ein klar definiertes Kriterium sind, da doch oft völlig verschiedene Völker die gleiche Sprache sprechen oder ein Volk, wie die Kurden, mehrere Sprachen spricht.

Bleiben die kulturellen Gemeinsamkeiten zur wechselseitigen Abgrenzung der Völker, also die nicht selten unterschätzten Gemeinsamkeiten in Sitten und Gebräuchen – unterschätzt deshalb, weil uns diese eigentlich unbewusst sind, doch sie tragen in entscheidendem Maße zu einem konfliktfreien Zusammenleben bei, eben weil die Regeln des Zusammenlebens nicht täglich neu ausgehandelt werden müssen, sondern über Jahrtausende herausgebildet, erprobt, tradiert und eingeübt sind, dabei praktisch aus dem Unterbewusstsein heraus befolgt werden. Und gerade hier unterscheiden sich die Völker durchaus voneinander. Es beginnt mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft: Hat diese außerhalb der Küche überhaupt etwas zu melden, darf sie sich ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen, bleibt sie beim Manne, wenn Besuch kommt, darf sie Verträge abschließen, einen Beruf ausüben oder erben? Es gibt eine Reihe von Kulturen, in denen all diese Fragen ausnahmslos mit Nein zu beantworten sind und Frauen, die diese Regeln verletzen, als Freiwild gelten.

Aber es ist nicht nur das Verhältnis der Geschlechter zueinander, das zu Abgrenzungen zwischen Völkern führt, sondern auch das Verhältnis der Völker zueinander – begegnet man sich unter Anerkennung der Unterschiede auf Augenhöhe oder wird, wer nicht dazu gehört, verachtet, bestenfalls ignoriert?

Und bevor wir uns dem Verhältnis von Volk und Staat zuwenden, müssen wir auch noch der Frage nachgehen, welchen Umgang die Angehörigen eines Volkes selbst untereinander pflegen: Unterwerfen sie sich bei Streitigkeiten unabhängigen Richtern oder lassen sie das Recht des Stärkeren sprechen und welches Verhältnis haben sie zum Privateigentum?

Die letzten Fragen zu Vertragstreue, unabhängiger Gerichtsbarkeit und der Achtung des Privateigentums sind die Kriterien, die darüber befinden, ob der Zusammenschluss von sich ansonsten fremden Individuen zu irgendwelchen wirtschaftlichen Zwecken überhaupt möglich und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man zusammen erfolgreicher als allein wirtschaftet. Nur unter der Wahrung der Vertragstreue und der Achtung des Privateigentums ist es darüber hinaus auch möglich, hochriskante, aber prinzipiell erfolgversprechende Unternehmungen anzugehen, indem Kapital zusammengelegt wird, die Einlagen an Gewinn und Risiko der Unternehmung teilhaben. Ganz offensichtlich waren diese Bedingungen in Europa im 17. Jahrhundert bereits gut ausgeprägt, denn hier wurden die ersten Aktiengesellschaften gegründet, die genau dies ermöglichten: anteilige Risikostreuung und Gewinn bei geschäftlichen Unternehmungen nach Höhe der Geschäftsanteile. Es war dieses Zusammenspiel aus Sitten und Gebräuchen, dem christlichen Menschenbild und der Rechtsordnung, dem Europa seinen beispiellosen Aufstieg in den vergangenen Jahrhunderten zu verdanken hatte, und es ist die bewusste Zerstörung dieses Zusammenspiels in der gegenwärtigen Phase der Überwindung des parlamentarisch-demokratischen Systems, des Systems, wie wir es bisher kannten, hin zu einem woken Sozialismus, dem Europa seinen immer offensichtlicher werdenden Abstieg zuzuschreiben hat. Die für sakrosankt erklärte massive Einwanderung aus allen Weltgegenden – Kritik daran wird als antiislamischer Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit recht hart strafbewehrt – löst bekanntlich nicht unsere, der eigenen Gesellschaft inhärenten Probleme, sondern schafft vielmehr neue, ist aber nicht ursächlich für das sich abzeichnende Desaster. Die Mutter unserer Probleme, die Ursache für Europas schleichenden Abstieg, des Westens insgesamt, die USA eingeschlossen, sind zuallererst die anhaltende Aushöhlung unserer Freiheitsrechte und die Zerstörung des Privateigentums durch parasitäre Profiteure des sich ausbreitenden Sozialismus.

Das lässt sich bereits leicht anhand der unkontrollierten Immigration belegen, die ja immer noch überwiegend unter Missbrauch der Asylforderung stattfindet. Dabei wäre es ein Leichtes – wenn der entsprechende politische Willen vorhanden wäre –, diesen Missbrauch bei Wahrung des Asylrechts zu unterbinden. Er ist aber nicht vorhanden, weil es zu viele sind, die eine Alimentierung durch den Steuerzahler dem Broterwerb am Markte vorziehen und sich allem widersetzen, was diese Alimentierung gefährden könnte, und die unkontrollierte Einwanderung wird immer noch als ein Vehikel gesehen, den Marsch in die neue sozialistische Wunderwelt mit Daueralimentierung zu verfestigen, denn Herrschern fällt es leichter, über eine Bevölkerung als über ein Volk zu gebieten. 

Wenn sich die Herrschaften da nur nicht täuschen – auch wenn eine in Interessengruppen aufgespaltene Gesellschaft durch einen Apparat oder andere Machtzentren leichter zu beherrschen ist als ein starkes, selbstbewusstes Volk! Gerade die Tatsache, dass es doch nur eine Minderheit ist, die zentrale staatliche Dogmen, wie Einwanderung, Gendern, das Verbrenneraus und dergleichen Quatsch befürwortet und dem Rest auf die Nase drückt, zeigt doch, dass es in einer Demokratie ohne Weiteres möglich ist, Politik selbst gegen eine Mehrheit durchzusetzen. Aber man kann nicht auf immer dieser Mehrheit ein X für ein U vormachen. Früher oder später, spätestens jedoch in einer veritablen Krise, zusammengebraut durch anhaltende Unfähigkeit verrührt mit ideologischer Verblendung und den Verstand betäubendem Sendungsbewusstsein, wird es das gewesen sein, und etwas Neues, Zukunftsfähiges wird sich durchsetzen. Es ist keineswegs bereits ausgemacht, dass wir demnächst wieder in einer schamlos offenen sozialistischen Diktatur mit irgendeiner neuen Verkleidung landen werden.

Es ist ganz gut möglich, dass sich nach der ausstehenden Katharsis die Gesellschaft mehr Freiheit, mehr Eigentum zutraut. Dann wüchse eine Bevölkerung auch sehr schnell zu einem Volk zusammen, zu dem Souverän, der sich, soweit nötig und willens, eine schlanke, dienende Staatsmacht zulegte und die Herrscher über eine Bevölkerung zu Dienern des Volkes transformierte.

Diese Transformation, und nicht die in den Sozialismus, steht noch aus – und sie wird kommen.


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