07. Juli 2023 14:00

Gesellschaft und Medien Alternativlos: Ein absolutes Zensurverbot

Selberdenken ersetzt Fremdlöschen

von Carlos A. Gebauer

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Bildquelle: TierneyMJ / Shutterstock Bei Mediennutzung den eigenen Verstand einschalten: Dann geht es auch ohne „betreutes Denken“

Ich habe in den vergangenen Wochen intensiv über Zensur nachgedacht. Anknüpfungspunkt war, dass ich namens der Hayek-Gesellschaft die Laudatio für deren Netzwerkpreis zugunsten des Senders Kontrafunk halten durfte.

In dieser Laudatio habe ich dargestellt, dass die Geschichte der Medien immer auch eine Geschichte der Zensur gewesen ist. Sobald Menschen eine neue Technik ersonnen hatten, um miteinander Informationen auszutauschen, folgte ein (machtpolitischen Kalkülen gehorchendes) erneutes technisch verfeinertes Zensurhandeln der jeweils herrschenden Eliten. Das Ganze mündete in Deutschland – vor ziemlich genau 100 Jahren – in dem bis heute prinzipiell verwaltungsrechtlich eingehegten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der im Jahre 1923 seinen Sendebetrieb aufnahm.

In der Vergangenheit hatte bei allem stets ein machtpolitisches Interesse daran bestanden, den Informationsaustausch der Regierten untereinander zu kontrollieren, um politische Kontrolle auszuüben. Die Exzesse, die mit dieser Zensur in Deutschland zwischen 1933 und 1945 getrieben worden waren, führten letztlich für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 dazu, dass es in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes unter anderem ebenso knapp wie deutlich heißt: „Eine Zensur findet nicht statt.“

Betrachtet man die gleichwohl immer wieder vorangetriebenen Versuche, dezentrale Kommunikationen unter staatlicher Kontrolle zu halten, mit dem argwöhnischen Auge desjenigen, der Bürgerrechte schützen möchte, bringt man sich selbst notwendigerweise in eine eher skeptische Position gegenüber jeder Art von Zensur.

Das allerdings ist realistisch betrachtet nicht die einzige Perspektive, aus der man das Phänomen „Zensur“ betrachten kann. Eine andere Perspektive ist die des Sicherheitsinteresses: Werden in den unübersichtlichen Weiten und Tiefen des Internets die legendären „Fake News“ verbreitet, besteht – wer könnte es bestreiten? – tatsächlich die Gefahr, dass sich unwahre Sachdarstellungen verbreiten und große Schäden anrichten könnten.

Das Feld möglicher Schädigungen aus falschen Informationen ist schier endlos. Eine von Fußgängern überlaufene Innenstadt infolge der „Ente“, in einem großen Supermarkt gäbe es an einem Nachmittag Freibier zu verschenken, ist hier noch die am wenigsten riskante Variante.

Postuliert man also die Möglichkeit, dass es tatsächlich einen „wohlmeinenden Zensor“ geben könnte, der aus der Vielzahl von Informationen im Internet nicht das löscht, was ihm weltanschaulich nicht gefällt, sondern wirklich nur das, was effektiv Schadenneigung hat, so wäre denkbar, dem Instrumentarium der Zensur in der Bewertung mit mehr Milde entgegenzutreten.

Genau diese Milde ist jedoch – bei nochmaligem Nachdenken – nicht angezeigt. Und das folgt aus dieser weiteren Überlegung:

Menschen erzählen bewusst oder unbewusst Wahrheiten und Unwahrheiten. Und sie stellen diese in das Internet. Das Potenzial der unrichtigen Nachrichten im weltweiten Netz ist folglich geradezu unbegrenzt. Demgegenüber muss jedes (staatliche oder nichtstaatliche) Bemühen, in dieser Informationsflut Weizen von Spreu zu trennen, immer endlich sein. Die Ressourcen zur Überprüfung und Löschung sind stets begrenzter als die Ressourcen zur Sendung von Unwahrheiten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Auch dem emsigsten Zensor müssen zwangsläufig immer wieder gefährlich-unwahre Informationen „durchschlüpfen“, die er nicht erkannt oder aus dem Netz herausgefischt hat.

Damit nicht genug. Die Empfänger von Nachrichten aus dem Internet leben – unter der Herrschaft eines Zensurregimes – grundsätzlich in der Annahme, dass im Internet nur zutreffende Nachrichten verbreitet würden. Immer dann also, wenn sie einer „durchgeschlüpften“ Falschnachricht begegnen, glauben sie diese unkritisch und richten ihr Handeln nach diesen Nachrichten aus. Das kann fatal sein.

Erkennt man an, dass das potenzielle Handlungsinstrumentarium eines Zensors immer kleiner ist als das potenzielle Maß unwahrer Informationen und Nachrichten, lässt sich kaum zu einem anderen Schluss kommen als zu diesem: Zensur muss absolut unterlassen werden. Es muss kommuniziert werden, dass niemand anderer Nachrichten im Internet auf deren Wahrheitsgehalt überprüft. Infolge dieser Konstellation wird nur und ausschließlich jeder Empfänger von Nachrichten im Internet selbst zwangsläufig in die Position gebracht, bei jeder Information darüber nachzudenken und zu prüfen, ob das, was er dort liest, zutreffen kann oder nicht. Die „Zensurbehörde“ verschiebt sich auf diese Weise aus den staatlichen und parastaatlichen Organisationen in das Hirn des jeweiligen Rezipienten. Damit schützt sich jeder mit seinem eigenen Hirn vor Unsinn. Folglich kann er dann aber auch niemandem den Vorwurf machen, dass dieser andere gewisse „Fake News“ nicht rechtzeitig aus dem Netz herausgefiltert habe.

Gesamthaft ist festzuhalten: Der jüngste kommunikative „Sprung“ der Technik weg von Radio und TV hin zu Internet-Formaten hat die historische Idee möglicher Zensur endgültig obsolet gemacht. Es bleibt nur, die Zensur jedem Einzelnen zu überlassen und jeweils individuell als Nachrichtenempfänger selbst zu entscheiden, ob das, was dort verbreitet wird, richtig und wahr oder unrichtig und falsch sei. Will man also das Risiko von massenhaftem Fehlverhalten auf Basis unrichtiger Nachrichten bannen, bleibt nur, Zensur insgesamt und absolut zu verbieten.

Nachtrag: Einen ähnlich umfänglichen Schutz vor Zensur hält die US-amerikanische Bundesjustiz seit dem 4. Juli 2023 für geboten.


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