07. August 2023 23:00

Evolutionspsychologie Die „Gegenkultur-Bewegung“ der 1960er Jahre (Teil 1)

…und wie sie auf Basis der r/K-Selektionstheorie verstanden werden kann

von Philipp A. Mende (Pausiert)

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Bildquelle: David Wilson / Wikimedia Commons / Public Domain Mehr Marxismus wagen oder: Die r-selektierte „68er-Bewegung“

Wikipedia beschreibt den Begriff „Gegenkultur“ als eine „bestimmte, längerfristig gesellschaftlich wirksame Untergruppe einer gegebenen Kultur.“ Darunter werde unter anderem auch „das Infragestellen von primären Werten und Normen der Mehrheitskultur verstanden“. Außerdem spielten „mitunter (gesellschaftliche) Visionen und Utopievorstellungen ebenfalls eine Rolle.“

Die Ideen und Erbe der „Gegenkultur-Bewegung“ sind, um es vorsichtig auszudrücken, bis heute in westlichen Gesellschaften spürbar. Obwohl die 1960er Jahre lange vorbei sind, haben viele der (fehlerhaften) Grundprinzipien und „Werte“ dieser Bewegung weiterhin eine nachhaltige Wirkung auf schier unzählige soziale Bewegungen und politische Diskussionen. In aktuellen „sozialen Bewegungen“ finden sich weiterhin Anknüpfungspunkte an die Ideale der „Gegenkultur-Bewegung“. Der Wunsch nach „sozialer Gerechtigkeit“ (von Hayek treffend als „Wieselwort“ bezeichnet) und einer „besseren Welt“ sind nach wie vor zentrale Anliegen vieler Aktivisten. Die Forderungen, vorgeblich für „Gleichberechtigung“, „Umweltschutz“ (jetzt „Klimaschutz“), „Antirassismus“ und dergleichen, knüpfen an die ursprünglichen Bestrebungen der „Gegenkultur-Bewegung“ an und spiegeln deren Streben nach einem radikalen Wandel wider.

Freilich, man könnte nun lange darüber streiten, dass es auf der grundlegendsten Ebene nur eine menschliche Kultur gibt (siehe meine Kolumne „Schock: Gibt es nur eine menschliche Kultur?“), wofür Evolutionspsychologen plausible Argumente hervorbringen. Demnach wäre etwas wie „Gegenkultur“, „Subkultur“ et cetera hinfällig, da tatsächlich nur unterschiedliche (Fortpflanzungs-) Strategien (!), die innerhalb derselben Kultur abwechselnd die Oberhand gewinnen und verlieren, beschrieben werden.

Aber darum soll es heute nicht gehen. Vielmehr möchte ich Ihnen, liebe Leser, auf Basis dessen, was ich im Zuge des Selbststudiums zur r/K-Selektionstheorie gelernt habe, einen evolutionspsychologischen Erklärungsansatz für die sogenannte „Gegenkultur-Bewegung“ oder auch „68er-Bewegung“ anbieten, welche in den Vereinigten Staaten (nicht zuletzt dank diverser, deutscher „Philosophen“ beziehungsweise „kritischer Theoretiker“) ihren Ursprung hatte und im Zuge dessen auch auf Deutschland überschwappte. Eine Bewegung, von der man beim Betrachten des aktuellen politischen Zeitgeschehens mit Fug und Recht behaupten kann, dass ihr politischer Destruktivismus nach einem langen Weg nunmehr flächendeckende Schäden in allen nur erdenklichen, gesellschaftsrelevanten Bereichen verursacht (hat). Allerdings fiel sie nicht vom Himmel. Hierfür muss zunächst ein wenig ausgeholt werden.

Es gibt zahlreiche Belege für eine gewisse Übertragbarkeit politischer Ideologien von den Eltern auf die Kinder. Viele Studien zeigen, dass es eine familiäre Tendenz zu einer politischen Ideologie gibt. In einer Zwillingsstudie wurde gezeigt, dass sowohl die Richtung der politischen Neigung als auch die Stärke des Festhaltens an einer Ideologie genetisch bedingt zu sein scheinen. Andere Studien deuten ebenfalls darauf hin, dass eine familiäre Tendenz zu einer bestimmten sozialen Einstellung oder die Stärke des Festhaltens an dieser Einstellung vererbbar sind.

Wenn es eine übertragbare Komponente politischer Psychologien gibt, dann könnte man davon ausgehen, dass historische Ereignisse, die das Überleben und/oder die Fortpflanzung von Wettbewerbsbefürwortern (Konkurrenten) oder Wettbewerbsgegnern (Antikonkurrenten) begünstigten, das Verhältnis von Konkurrenten des Typs K zu Antikonkurrenten des Typs r, die in diesem Zeitraum gezeugt wurden, verschieben, so wie Populationen tendenziell entweder r- oder K-selektiert sein können. Es wäre zu erwarten, dass dies die allgemeine Psychologie der betroffenen Generation in Bezug auf die grundlegenden Normen und Sitten ihrer Kultur verändert. Nach dieser Theorie würde dieser Effekt auch die politischen Ideologien dieser Generationen und ihrer Gesellschaften verändern. Dieses Szenario würde den Gruppen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, da es eine rasche psychologische Anpassung an die sich verändernden historischen und evolutionären Umstände ermöglichen würde. Ein solcher Mechanismus würde zum Beispiel das Fortbestehen einer Gruppe unter den Bedingungen einer Niederlage in Gruppenwettbewerben wie einem Krieg begünstigen. Sollten alle oder fast alle Konkurrenten einer Gesellschaft in einer Schlacht getötet werden, wäre es für das genetische Fortbestehen einer Population wahrscheinlich von Vorteil, wenn sich die Gesamtpsychologie dieser Population anpasst und von einer eher kriegerischen, konkurrenzbetonten Psychologie zu einer weniger bedrohlichen, pazifistischeren Psychologie wechselt, die einer Beherrschung durch Außenstehende tolerant gegenübersteht.

Mit anderen Worten: Sollte eine Bevölkerung einen Krieg verlieren, läge es im Interesse dieser Gruppe, sofort eine Mentalität und ein Verhalten an den Tag zu legen, das den Wünschen der Eroberer entgegenkommt oder sie sogar anstrebt. Sollte nach dieser Theorie jemals eine Form der r- oder K-Selektion auf eine menschliche Population angewandt werden, müssten sich ihre politischen Ideologien radikal ändern. Als Amerika während des Zweiten Weltkriegs so viele diensttaugliche Konkurrenten des Typs K wie möglich einsetzte (um zu gewinnen), könnte man die plötzliche und daraufhin eintretende Erschöpfung beziehungsweise Verringerung der körperlich leistungsfähigen, männlichen Konkurrenten des Typs K mit den Bedingungen vergleichen, die bei der r-Selektion einer Population eintreten würden. Durch die selektive Entfernung von K-Typ-Allelen würde dieser Effekt sogar noch über die „einfachen“ r-Selektionseffekte hinausgehen, die man in der Natur findet, sprich, das Ausmaß oder Level der nun eintretenden r-Selektion würde sich enorm intensivieren.

Diejenigen, die während des Krieges zurückblieben und zum Genpool der Anfang bis Mitte der 1940er Jahre geborenen Generation beitrugen, brachten eine Generation hervor, deren Psychologie so sehr gegen die traditionelle amerikanische Kultur des K-Typs gerichtet war, dass man sie 20 Jahre später als die Revolution der „Gegenkultur“ bezeichnete.

Die Revolution der „Gegenkultur“ wies viele thematische Einflüsse auf, die denen ähnelten, die aus evolutionspsychologischer Sicht mit einer antikompetitiven, r-selektierten Psychologie einhergehen würden. Sie strebten eine wettbewerbsfreie, kommunenähnliche Sozialstruktur an. Sie verunglimpften den Kapitalismus und den wirtschaftlichen Ehrgeiz, indem sie sich den Antimaterialismus zu eigen machten. Sie nahmen eine radikale Form der sexuellen Promiskuität an, die die Monogamie verunglimpfte und von Frauen „freie Liebe“ verlangte, ohne eine sorgfältige, auf Fitness basierende Auswahl der potenziellen Partner. Schließlich verbündeten sie sich in einer extremen Form der Toleranz gegenüber einer anderen Gruppe mit einem ausländischen Feind und protestierten im Namen dieses Feindes, als sich die Vereinigten Staaten gerade im Krieg mit eben diesem Feind befanden. Es gab sogar eine Feindseligkeit zwischen körperlich aggressiven Männern, die sich dem darwinistischen Wettbewerb verschrieben hatten, wie zum Beispiel Militärangehörige und Polizisten, und Mitgliedern dieser „Gegenkultur“, der wettbewerbsfeindlichen Generation.

Fortsetzung folgt.

Philipp A. Mende: Schock: Gibt es nur eine menschliche Kultur? (Freiheitsfunken)

Philipp A. Mende: Widerstand. Warum zwischen linker und rechter Politik eine Schlacht der Gene wütet.


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