02. September 2023 23:00

Flugblattaffäre Kein Mitleid mit Aiwanger

Medienkampagne, Denunziantentum, Kommunikationsdesaster

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Flickr Politzirkusprofi Aiwanger: Nun ein „unschuldiges“ Medien-Opfer?

Immer wieder aufs Neue fassungslos macht es mich, wenn Opfer des Covid-Terrors nun in einer scheinbaren Mischung aus Amnesie und Stockholm-Syndrom ihre Peiniger von einst verteidigen. Das ist mir schon in der Causa Boris Palmer aufgefallen. Wie sehr der Tübinger Oberbürgermeister im totalitären Gedankengut verhaftet ist, offenbarte er (wenn auch nicht zum ersten Mal) im Covid-Winter 2021/22, als er nicht nur einen Impfzwang forderte, sondern sogar die Idee einer Beugehaft für „Impfverweigerer“ ins Gespräch brachte. Doch das war spätestens im Frühjahr dieses Jahres vergeben und vergessen, als Palmer wegen der Benutzung des N-Wortes im Zentrum der öffentlichen Kritik stand. Auf denselben Accounts in den sozialen Netzwerken, die eben noch gegen „Impf-Apartheid“ und „Hygienediktatur“ angeschrieben haben, las man plötzlich „Solidarität mit Boris Palmer“.

Dabei kann man Palmer ja in der Sache recht geben, ohne dass man sich gleich mit diesem Kotzbrocken solidarisieren muss. Wer austeilen kann, sollte jedenfalls auch einstecken können. Und dass sich der Berufspolitiker Palmer der Problematik des Wortes „Neger“ im öffentlichen Diskurs nicht bewusst gewesen sein will, glaube ich nicht für eine Sekunde. Manchmal ist es eben die eine Provokation zu viel. Mitleid? Keine Spur!

Ähnlich ungläubig sehe ich momentan der öffentlichen Debatte inner- und außerhalb der sozialen Netzwerke über den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger zu. „Wer kritisch ist, wird aus dem Weg geräumt“, las ich erst heute Morgen in einem Text, der sich mit der Medienkampagne gegen Aiwanger auseinandersetzte.

Scheinbar haben nicht nur in Bayern viele Menschen tatsächlich Aiwangers eigene Propaganda geschluckt, wonach es sich bei dem niederbayerischen Schweinebauern um einen kritischen Geist handele, der den Finger in die Wunde lege und Sand im Getriebe des Systems sei; jemand, der ohne ideologische Scheuklappen Politik zum Wohle der kleinen Leute im ländlichen Bayern mache. Es ist dieses von Aiwanger selbst gepflegte Image des Volkstribuns, das viele offenbar blind macht für die Realität eines knallharten Machtpolitikers mit geringem Respekt vor individuellen Freiheitsrechten.

Das zeigte sich noch mal verstärkt in den vergangenen dreieinhalb Jahren. Aiwanger ist ein Meister der Inszenierung und dabei bauernschlau bis ins Mark. Er hat ein Radar dafür, was die Leute hören wollen. Und wenn sich die öffentliche Meinung dreht, erzählt er auch schon mal das genaue Gegenteil dessen, was er noch zuvor mit Inbrunst gefordert hatte. Oft spielte er dabei die Populismuskarte, zeigte sich scheinbar standfest gegenüber Forderungen, sich impfen zu lassen. Dass er sich dann doch impfen ließ … – geschenkt, das ist eine persönliche Entscheidung, wie Aiwanger auch immer wieder betonte. Doch wie ist das dann zu vereinbaren mit einer Pressemitteilung der Freien Wähler aus dem November 2021, in der die Regierungspartei unumwunden fordert: „Vieles spricht für eine allgemeine Impfpflicht, wenn wir nicht jeden Herbst aufs Neue ein Ansteigen der Inzidenzen und folgend die Überlastung unseres Gesundheitswesens – allein durch eine einzige Krankheit – riskieren wollen.“ Appelle allein reichten nicht mehr aus. Wer sich etwas mit der Führungsstruktur der bayerischen Regionalpartei auskennt, weiß: Partei und Fraktion sind Aiwanger treu ergeben.

„Aiwanger habe während der Covid-Jahre nur Schlimmeres verhindert“, höre ich dann oft als Entgegnung. Das sah dann in der Praxis so aus: Die CSU fordert im März 2022 die Beibehaltung des FFP2-Maskenzwangs im öffentlichen Nahverkehr. Aiwanger kontert. Doch nicht etwa mit der Forderung nach freiem Atmen für freie Bürger. „Beim ÖPNV sollte in Bayern auch wieder auf die OP-Maske gesetzt werden, besonders wenn es wärmer wird.“ Über Zwangsimpfungen für Kinder sagte Aiwanger im Dezember 2021: „Da bin ich heute noch kein Fan davon.“ Danke für nichts, Hubsi.

Doch am schlimmsten wiegen die Schreibtischtaten. Bei jeder Kabinettssitzung hob Aiwanger die Hand, egal ob für 2G, Ausgangssperren, Testzwang an Schulen und Kindertagesstätten, Quarantäneschikanen oder Gesichtslappen ab dem Alter von sechs Jahren. 

Doch gibt es zumindest inhaltliche Gründe, Aiwanger in der Flugblattaffäre zu verteidigen? Ich weiß nicht so recht. Klar, was die „Süddeutsche Zeitung“ hier veranstaltet hat, hat mit Journalismus wenig zu tun. Der „Spiegel“ etwa hatte sich aus gutem Grund gegen eine Veröffentlichung entschieden. Bis jetzt hat mir auch noch niemand erklären können, was an diesem ekelhaften, vom deutschnationalen Ungeist geprägten Flugblatt genau „antisemitisch“ sein soll. Und der Lehrer, der Aiwanger denunziert hat, sollte sich mal fragen, ob sein Verhalten nicht mehr an finstere Zeiten erinnert als irgendwelche Äußerungen, die Aiwanger als 17-Jähriger getätigt haben soll.

Wie die Brüder Aiwanger habe ich bis zum Abitur ein Gymnasium im ländlichen Bayern besucht. In meinen neun Jahren an dieser Schule gab es nicht einen auch nur annähernd vergleichbaren Vorfall. Für ein solches Flugblatt wäre jeder, der auch nur entfernt damit zu tun gehabt hätte, sofort von der Schule geflogen. Mit einer aggressiv-deutschnationalen Einstellung, wie sie offenbar in der Familie Aiwanger üblich war, kam ich in meiner ganzen Jugend nicht in Berührung. Zu sagen, so rede man halt in der Provinz, ist wirklich Unsinn. 

Am Ende geht es mir bei Aiwanger wie bei Palmer. Aiwanger hat sich für den parasitären Beruf des Politikers entschieden – mit allen Konsequenzen. Er kennt die Regeln des Systems und hat diese auch wiederholt gegen politische Gegner eingesetzt und einsetzen lassen, wie etwa als Björn Höcke es im Sommer 2020 wagte, die bayerische AfD-Fraktion in München zu besuchen.

Aiwangers Freie Wähler kommentierten dies wie folgt: „Ein Mann mit der Gesinnung Höckes steht gegen alles, was dem Bayerischen Landtag und unserer offenen, pluralen Gesellschaft heilig ist.“ Deswegen empfinde man es als „unerträglich, wenn eine solche Person das Maximilianeum heimsucht und als rechter Ungeist dem Bayerischen Rundfunk exklusiv Interviews gewährt“.

Aiwanger musste wissen, welcher Sturm losbrechen wird, sollte das Flugblatt, ganz egal, wer es nun geschrieben hat, jemals öffentlich werden. Und dass es so kurz vor der Wahl passiert ist? Ja mei, so geht Politik, ein richtig dreckiges Geschäft eben, wie Aiwanger bestens weiß.

Umso verwunderlicher ist es, dass Aiwanger von der Veröffentlichung offenbar kalt erwischt wurde und nicht schon vorab eine Krisen-PR-Strategie entwickeln ließ. Aiwangers Medienkommunikation ist katastrophal. Vieles hat er dadurch noch schlimmer gemacht. Er sei „auf alle Fälle seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte“ kein Antisemit und kein Extremist. Wer um alles in der Welt hat ihm nur zu diesem Statement geraten? Und dann noch obendrauf eine kleine Mielke-Assoziation: „Ich bin ein Menschenfreund.“ 

Sollte Hubert Aiwanger am Ende gehen müssen, war es keine Schmutzkampagne, die ihn zu Fall gebracht hat, sondern seine desaströse Kommunikationspolitik. Er ist nicht das unschuldige Opfer, der Märtyrer, als den er sich jetzt, gewohnt selbstgerecht, inszeniert. Selbst wer sich im politischen Prozess aufreiben will mit dem nicht sehr ambitiösen Ziel, etwas weniger unfrei zu leben, sollte eines verstehen: Aiwanger ist bei diesem Ziel kein Verbündeter. Im Gegenteil.


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