09. September 2023 23:00

Ukraine fordert Auslieferung Mehr Empathie für Kriegsdienstverweigerer!

Leibeigene des Staates auf der Flucht

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Ermell / Wikimedia Commons / Public Domain In Stein gemeißelt: Opfer staatlicher Zwangsherrschaft

Wie viele ukrainische Männer im „wehrfähigen Alter“ das Land verlassen haben, lässt sich nicht genau beziffern. Schätzungen gehen von mehreren Hunderttausend aus. Wer es in die EU geschafft hat, ist vor den Zwangsrekrutierungen des Selenskyj-Regimes erst einmal in Sicherheit. Doch wie lange noch? Die ukrainische Regierung verlangt nun ihre Auslieferung. 

Rein rechtlich dürfte dies zwar nahezu unmöglich sein, doch was zählt am Ende schon das Recht, wenn der politische Wille da ist, es zu brechen? Polen könnte laut einem Bericht der Berliner Zeitung am offensten für das Gesuch sein. Selenskyj, der gleich zu Beginn des Krieges ein Ausreiseverbot für Männer im Alter bis zu 60 Jahren erlassen hat, wirft den Wehrzwangverweigerern „illegalen Grenzübertritt“ vor. Gibt es im Ukrainischen eigentlich ein Wort für Republikflucht?

Die Auslieferung von Wehrdienstverweigerern zu verlangen ist etwas, was noch nicht einmal der Staat Israel tut. Dabei geht man in Jerusalem ähnlich wie in Kiew oder Moskau davon aus, dass junge wehrfähige Männer (und im Falle Israels auch Frauen) zunächst mal Leibeigene des Staates sind. Viele junge jüdische Europäer könnten es noch bitter bereuen, dass sie neben ihrem deutschen oder französischen Pass auch noch den israelischen beantragt haben. Viele tun dies auch aus Angst vor steigendem, muslimischem Judenhass in Zentraleuropa. Israel sehen sie als Lebensversicherung für den Tag x, an dem der Alltag für Juden in Europa wieder unerträglich werden könnte, so die auf den ersten Blick verständliche Argumentation vieler. 

Doch der nächste Israel-Urlaub kann unter diesen Voraussetzungen möglicherweise ein ziemlich langer werden. Selbst wer seinen ständigen Wohnsitz im Ausland hat, noch nie in Israel gelebt hat und kein Wort Hebräisch spricht: Sobald jemand die israelische Staatsbürgerschaft besitzt und im wehrfähigen Alter ist, wird er eingezogen, notfalls auch direkt am Ben-Gurion-Flughafen. Rund 1.000 russische Juden, die auch aus Angst vor einer Einberufung nach Israel auswanderten, erhalten demnächst Musterungsbescheide der israelischen Armee. Nicht immer sind doppelte Staatsbürgerschaften eine gute Idee. Dass viele Israelis versuchen, an einen EU-Pass zu gelangen, kann ich da schon wesentlich besser nachvollziehen.

Fairerweise muss man sagen, dass in Israel, anders als in der Ukraine, in der Regel niemand gegen seinen Willen in kämpfenden Einheiten zwangseingesetzt wird. Im Gegenteil: Einzelkinder dürfen zum Beispiel generell nicht in kämpfenden Einheiten dienen, es sei denn sie können eine von den Eltern unterschriebene Erklärung vorlegen, die ihnen dies ausdrücklich erlaubt. 

Mich wundert, dass in der doch einst so antimilitaristischen BRD so gar keine Empathie für das Schicksal ukrainischer Kriegsdienstverweigerer aufkommen will. Sie sollen gefälligst nach Hause gehen und für ihr Land kämpfen, tönt es von Rechten und Linken plötzlich fast unisono. Von den Rechten, weil die meinen, es seien ohnehin schon zu viele Ausländer im Land und von den tagesschautumben Linken, weil die das für ein adäquates Opfer im Kampf gegen das fleischgewordene Böse im Kreml halten, zumindest solange es andere sind, die dieses Opfer bringen müssen.

Mit ganz anderen Problemen haben russische Wehrdienstverweigerer zu kämpfen. Während ukrainische Männer über die Massenzustrom-Richtlinie der EU geschützt sind, fällt es russischen Männern oft schwer, ein Land zu finden, das sie aufnimmt. Dass Wehrdienstverweigerung, vor allem für Personen aus Ländern, wo dies mit Freiheitsentzug bestraft wird, nicht automatisch vom Asylrecht miteingeschlossen ist, ist schon ein Armutszeugnis und zeigt auch, wie wenig individuell dieses angebliche Individualrecht (wie alle Gesetze natürlich) doch in Wirklichkeit gestrickt ist. Russischen Deserteuren hingegen hat der Bundestag ausdrücklich Asyl angeboten. Man muss also am besten erstmal in die russische Armee eintreten, bevor man ihr dauerhaft entfliehen kann.

Ich habe großen Respekt vor allen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, egal ob es um die ukrainische, russische, israelische oder welche Armee dieser Welt auch immer geht. Die jeweiligen Gründe halte ich nur für eine akademische Debatte für relevant, das Prinzip bleibt gleich: Nämlich, dass niemand, egal wo auf der Welt, gegen seinen Willen zu irgendeiner Arbeit gezwungen werden darf, und ganz sicher nicht, wenn es sich um Zwangsarbeit mit möglicher Todesfolge im Militär handelt, als humaner Kollateralschaden im vorgeblichen Kampf für Volk und Vaterland.

„Für Deutschlands Ehre und Freiheit fielen im Weltkrieg“ steht auf dem Gefallenendenkmal in meiner Heimatstadt Forchheim. „Sie ließen in jungen Jahren sinnlos ihr Leben für den nationalistischen Wahn“, wäre treffender. Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, die noch heute teilweise die Gräuel der Weltkriege mit nationalistischem Pathos bemäntelt. Ich würde mir bei uns in Forchheim stattdessen ein Denkmal wünschen für alle fränkischen Wehrdienstverweigerer und Deserteure. Natürlich nur, wenn es aus privaten Mitteln finanziert wird. Und daneben auch gerne eine Gedenktafel für alle ukrainischen und russischen Männer, die auf der Flucht vor dem Zwangsdienst an der Waffe hier bei uns in der Region eine neue Heimat gefunden haben.


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