15. September 2023 13:00

Juristische Grundlagen Respektsphären im Rechtsstaat

Keine Macht ohne Zurückhaltung

von Carlos A. Gebauer

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Bildquelle: Vasilyev Alexandr / Shutterstock Ohne Bindung an das Recht droht der Staat zu einer mächtigen Räuberbande zu werden: Die ist dann jedoch leider nicht ganz so niedlich wie diese hier …

„Vieles ist ungeheuer, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.“ Diese alte griechische Weisheit gilt erst recht für das Zusammenwirken von Menschen. Hochkomplex sind ihre wechselseitigen Erwartungshaltungen, ihre Handlungsnormen und die Institutionen, die sie sich schaffen, um friedlich zu koexistieren.

Blickt man auf den Staat, fällt dem Bundesrepublikaner zuerst sein Rechtsstaat ein. Doch, Vorsicht: Ein Rechtsstaat ist nicht einfach nur ein machvoller Staat! Er ist eine menschliche Organisation, die in das Recht gebunden ist. Verliert der Staat diese Bindung an das Recht, steht er in der Gefahr, zu einer mächtigen Räuberbande zu verkommen. So jedenfalls zitierte Papst Benedikt XVI. den Kirchenvater Augustinus anlässlich seiner legendären Rede vor dem Deutschen Bundestag.

Der übliche Blick des Bürgers richtet sich in der Frage des Respekts, den ein Staat vor seinen Bürgern zu haben hat, üblicherweise nur auf die Grundrechte und deren Wahrung durch den Machtmonopolisten. Greift der Staat hier illegitim oder übermäßig in die Schutzbereiche der Bürger ein, sprechen wir von verfassungswidrigen Akten.

Es gibt jedoch – gleichsam hinter den Kulissen des Rechtsstaates – noch eine ganz andere Sphäre, in der staatliche Akteure Respekt vor gesellschaftlichen Gruppen zu zeigen und zu wahren haben: Das ist der Raum, in dem Gesetze entstehen. Hier werden zur Sicherstellung gesellschaftlicher Akzeptanz Verbände in den Normsetzungsprozess einbezogen. Hier werden Anhörungen durchgeführt und Vorhaben vorab publik gemacht, um externen Sachverstand in die Normwerdung einzubeziehen.

In jüngerer Zeit häufen sich die Beschwerden darüber, dass kompetente Kreise im Rahmen dieser informellen Voranhörungen nicht hinlänglich Zeit erhalten, mit ihren Bedenken Einfluss zu finden. Der in der Gesetzes- und Rechtswerdung übergangene Bürger erleidet somit an einer ganz anderen als der prominent beobachteten Stelle außen schon im frühen Inneren der Normentstehung Rechtsverletzungen: Seine Sachkenntnis und seine Erwartungshaltung werden übergangen.

Die dadurch übergewichtete Machtposition des förmlichen Gesetzgebers in der Normwerdung mag auf ersten Blick dem Apparat dienen. Aber sie höhlt die Akzeptanz der Bürger gegenüber den Regelwerken kontinuierlich aus. Ein Gewaltmonopolist, der seinen machtvollen Handlungsvorteil überstrapaziert, spielt mit dem Regelbefolgungsgehorsam seiner Bürger. Respektieren die formalen Gesetzgeber nicht die Teilhabe- und Mitwirkungsansprüche der Gesellschaft in der rechtsstaatlichen Normformulierung, verkümmert ihre Regelsetzung zur staatlichen Normgebung. Das Band zwischen positivierten Anordnungen und freiwillig gelebtem Recht zerreißt. Konsequenz sind nicht nur Ungemütlichkeiten für die Normunterworfenen. Konsequenz ist – mit Zweitverzögerung – auch das Erodieren der Macht. Eine weiser König ist ein zurückhaltender, respektvoller Herrscher. Auch das wussten schon die alten Griechen.


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