16. September 2023 23:00

Schulzwang Es geht um Kontrolle

Kollektivistische Argumente dominieren

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Pressmaster / Shutterstock Strenge Schulpflicht: Ausnahmen gibt es in Deutschland praktisch keine

Vergangenen Dienstag hat hier in Bayern das neue Schuljahr begonnen. Wenn ich nun wieder in der Früh die mit Schülern vollgepferchten Busse Richtung Stadt fahren sehe, denke ich oft mit sehr gemischten Gefühlen an meine eigene Schulzeit zurück. Sicher: Es hätte mich schlimmer treffen können. An meinem Gymnasium im ländlichen Mittelfranken war zur damaligen Zeit noch wenig zu spüren von der späteren Politisierung, die vor keiner staatlichen Bildungseinrichtung haltmachen sollte. 

Da ich noch jahrelang nach meinem Abitur Nachhilfe gegeben habe, konnte ich diese Entwicklung in der darauffolgenden Zeit sehr gut beobachten. Bei meinem bisher letzten Nachhilfeschüler vor einigen Jahren waren dann sogar die Mathematikbücher gegendert – für meinen Schüler das Normalste der Welt. Vom generischen Maskulinum hatte er (elfte Klasse) noch nie etwas gehört.

Mit den meisten meiner Lehrer hatte ich Glück. Doch das staatliche Schulsystem habe ich schon damals als etwas sehr Starres und Inflexibles empfunden  – etwa als ich in der zehnten Klasse lieber meine Freizeit damit verbrachte, Hebräisch zu lernen, statt für den Unterricht meine Spanisch-Vokabeln zu pauken. Spanisch sei doch so viel wichtiger als Hebräisch, hörte ich damals von Lehrern immer wieder. Tja, aber eben nicht für mich zum damaligen Zeitpunkt. Warum, dachte ich mir schon damals, zählen meine Interessen bei meiner eigenen Ausbildung so wenig?

Zumal man ja auch viel effizienter lernt, wenn man an einer Sprache wirklich interessiert ist. Spanisch habe ich später übrigens auch noch gelernt. Vor allem während meines zweimonatigen Aufenthalts in Kuba, aus dem ich mehr mitgenommen habe als in drei Jahren Spanischunterricht an der Schule. 

Ich weiß noch, wie ich damals in der Oberstufe dafür kämpfen musste, eine Genehmigung vom Direktor für einen Sprachschulaufenthalt in Malta während der heiligen bayerischen Schulzeit zu bekommen. Man sollte meinen, dass Lehrer es großartig finden, wenn Schüler Eigeninitiative zeigen und in einem Intensivkurs (der noch dazu ziemlich viel Geld kostet) eine Sprache, die an der Schule unterrichtet wird und die Schüler in der Regel bis zum Abitur begleitet, besser lernen wollen. Doch damals liefen tatsächlich weite Teile des Kollegiums Sturm gegen die schlussendliche Absicht des Direktors, mir eine Schulwoche für meinen dreiwöchigen Bildungsaufenthalt zu „schenken“. Von einem „problematischen Präzedenzfall“ sprach meine Lateinlehrerin und mein Deutschlehrer, den ich ansonsten wirklich sehr geschätzt habe, warf dem Direktor sogar vor, dadurch „die Schulpflicht zu unterminieren“. Natürlich macht dieses staatliche Bildungsmonopol auch etwas mit den Lehrern. In der Rückschau kann ich sagen, dass ich es größtenteils wie Mark Twain gehalten habe: „Ich habe nie zugelassen, dass meine Schulzeit meine Ausbildung beeinträchtigt.“

Viel schlimmer als die Rigidität des Curriculums ist aber natürlich der Schulzwang an sich, der es Eltern und Schülern unmöglich macht, diesem System auf legalem Weg zu entfliehen, es sei denn, sie verlassen das Land. Verschlimmert wird die Situation auch durch das deutsche Melderegister. In den USA etwa ist es deshalb, selbst in Freilernern wenig gewogenen Bundesstaaten viel schwieriger, eine Form der Schulpflicht durchzusetzen.

Als Journalist habe ich früher oft über das Schicksal deutscher Homeschooling-Familien geschrieben, die in die Mühlen staatlicher Verfolgung gerieten, bis hin zum Entzug des Sorgerechts und zur „Inobhutnahme“ der Kinder. Mit Ausnahme Schwedens geht kaum ein anderer europäischer Staat derart aggressiv mit Schulverweigerern um wie die meisten deutschen Bundesländer.

Nach meiner Erfahrung sind es übrigens in der Regel die Kinder und nicht die Eltern, die den Wunsch äußern, zu Hause unterrichtet zu werden. Die Gründe dafür sind sehr verschieden. Es sind nicht nur die religiösen Eltern, die ihr Kind nicht in die „gottlosen staatlichen Bildungseinrichtungen“ schicken wollen, damit sie nichts über Evolution lernen. Selbst in vielen evangelikalen Homeschooling-Familien spielen religiöse Gründe manchmal nur eine untergeordnete Rolle. Jedes Jahr brechen 1,2 Millionen amerikanische Jugendliche die Highschool ab. Einer der genannten Hauptgründe: Langeweile. Ich kann das gut nachvollziehen. Bei den meisten Fächern in der Schule bin ich oft gleich zu Beginn der Stunde in die innere Emigration gegangen, weil ich am Stoff nicht die Bohne interessiert war. Zeit, die ich so viel besser damit hätte verbringen können, meinen eigenen Interessen nachzugehen, eigenständig zu lernen. 

Es ist wahr, wenn zahlreiche Homeschooling-Eltern den Vorwurf äußern, die heutigen Schulgesetze der Länder seien dem Reichsschulgesetz von 1938 näher als der vergleichsweise liberaleren preußischen Schulpflichtregelung. Im „Schulzwang“-Artikel 118 des bayerischen Schulgesetzes heißt es etwa, Schulverweigerer würden „der Schule zwangsweise zugeführt“. Was für eine Sprache! Übrigens im Wortlaut dieselbe wie im entsprechenden Paragraphen aus dem von Rust und Hitler unterschriebenen Dokument.

Mit Deutschen über Homeschooling zu reden, gestaltet sich seit den vergangenen drei Jahren noch schwieriger. Denn der Begriff hat eine Umdefinierung erfahren. Für die meisten bedeutet Homeschooling heute: Das Kind sitzt vor dem Computer, lernt aber nach staatlichem Lehrplan von staatlichen Lehrern. Als ob der Lernort den großen Unterschied macht und nicht, wer über den Lehrplan bestimmt. Nicht, dass man vorher mit Argumenten für selbstbestimmten Heimunterricht hierzulande einen leichten Stand gehabt hätte. Spannend finde ich, dass für die Beibehaltung des Schulzwangs immer kollektivistisch argumentiert wird. „Wie sollen wir denn sonst die ausländischen Kinder integrieren“, heißt es da oft von rechts. Und von links fürchtet man natürlich um die Deutungshoheit. Um solche Ammenmärchen wie den menschengemachten Klimawandel verkaufen zu können, braucht es Indoktrination von klein auf. Nichts macht den Grünen in allen Parteien mehr Angst als Jugendliche, die selbständig denken können, anstatt nur ideologische Satzfragmente nachzuplappern

Auch deswegen teile ich ganz und gar nicht den Optimismus vieler, dass ein legaler Heimunterricht mit selbstbestimmtem Curriculum in nächster Zeit Realität werden könnte. Es geht um Kontrolle! Der Staat wird den Teufel tun und dieses Instrument der Indoktrination zur Formung gehorsamer stromlinienförmiger Staatsbürger aus der Hand geben. Ich denke, dass für Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen, realistischerweise der Gang ins Ausland der beste Weg ist. Will man seine Kinder wirklich dem Behördenterror und der staatlichen Willkür aussetzen, die mit der Weigerung zum Schulbesuch in Deutschland fast immer einhergeht? Andererseits: Mein früherer Pastor hat in Berlin zusammen mit seiner Frau jahrelang alle seine vier Töchter zu Hause unterrichtet, bei heruntergelassenen Jalousien, sodass die Nachbarn nichts mitbekamen. Er wurde nie von den Behörden behelligt und die Familie ist mittlerweile wieder zurück in den Vereinigten Staaten. 

Doch wohin können Freilerner auswandern? Dabei sollte man vielleicht nicht nur auf die rechtliche Situation schielen, sondern sich auch mit der Praxis im Land vertraut machen. Aus vielen Jahren im Ausland weiß ich, wie groß in manchen Ländern teilweise die Diskrepanz zwischen geschriebenem Gesetz und staatlicher Durchsetzung ist. Rechtlich auf der sichersten Seite ist man sicher in vielen Bundesstaaten der USA, wo es zwar überall (wie auch in den meisten EU-Ländern) eine Bildungspflicht gibt, aber eben auch das Recht auf Heimunterricht und selbstbestimmtes Lernen. Doch das ist nicht für jeden eine Option. Im Übrigen ist es ein Mythos, dass so viele amerikanische Jugendliche zu Hause unterrichtet werden, weil das staatliche Schulsystem jenseits des Atlantiks so schlecht sei. Die Qualität des staatlichen Schulsystems ist von County zu County verschieden. Oft sind es gerade Familien in den reichen Countys mit durchaus passablen Schulen, die sich für den Weg des Heimunterrichts entscheiden.

Ich denke nicht, dass mein Sohn einmal eine deutsche Schule von innen sehen wird. Wir werden ihn nicht dem System der Zwangsbeschulung aussetzen. Heißt das, dass wir ihm den Schulbesuch verbieten würden? Ganz sicher nicht. Aber wir wollen zum Zeitpunkt, an dem er das „schulpflichtige Alter" erreicht, gerne an einem Ort sein, wo er tatsächlich eine Wahl hat. 


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