21. September 2023 13:00

Werbung für uns Freiheitsfreunde „Das wollen Libertäre“

Ich habe mir die Kommentare angeschaut

von Sascha Koll

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Bildquelle: Sunny studio / Shutterstock Libertarismus: Nur wenige wollen sich wirklich von ihren (staatlichen) Fesseln befreien …

Der öffentlich-rechtliche Youtube-Kanal „Die da oben!“ veröffentlichte am Montag das Video „Das wollen Libertäre“. Mittlerweile hat die meiner Meinung nach gute Werbung für die Libertären 72.000 Aufrufe zu verzeichnen. Ich möchte hier aber gar nicht auf den Inhalt, sondern vielmehr auf einige Äußerungen in der Kommentarsektion eingehen. 

Mir fällt dabei auf – und das betrifft nicht nur dieses Werk –, dass einige überhaupt nicht verstanden haben, worum es beim Libertarismus geht. Manche scheinen den Eindruck zu haben, dass wir nicht daran interessiert seien, für Dienstleistungen, die wir in Anspruch nehmen, zu bezahlen, und machen sich daraufhin darüber lustig, dass man in einer Privatstadt auch für seine Kosten aufkommen müsse und eine Privatstadt nur ein Staat mit Extra-Zwischenschritten sei. Vermutlich projizieren diese Kommentarschreiber ihre „Ich will free stuff“-Mentalität auf uns. Sie sind es doch, die kostenlos Bahn fahren, möglichst kostenlos wohnen und Kulturveranstaltungen gratis besuchen wollen. Uns geht es eben nicht darum, kostenloses Zeug zu bekommen, und wir beschweren uns nicht darüber, dass man für Dienstleistungen und Waren zahlen muss. Libertäre prangern den Umstand an, dass es für „staatliche Dienstleistungen“, wie Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Geld und so weiter, keinen Markt gibt. Es gibt ausschließlich ein Zwangsmonopol, das uns diese Dienstleistungen, ungeachtet ihrer Qualität und Erwünschtheit, ungefragt in Rechnung stellt, indem es uns einen großen Teil unseres Einkommens raubt. Der immer häufiger werdende Zuspruch für uns Libertäre ist nicht nur der gesellschaftlichen Freiheit, die wir fordern, geschuldet, sondern auch den grottenschlechten Leistungen des Staatsmonopols zu verdanken. Kritiker kommen auch nie zu der Erkenntnis, dass die Regeln, Steuern und Abgaben im Staat nicht festgeschrieben sind. Sie können praktisch willkürlich, durch Mehrheitsbeschluss der Parlamentarier, geändert werden. Auch das ist in einer Privatstadt nicht so ohne Weiteres möglich, denn das dortige Zusammenleben basiert auf Verträgen, die nicht einseitig änderbar sind. Verträge, die ohne Einwilligung des Vertragspartners änderbar und darüber hinaus unkündbar sind, würde niemand bei Verstand freiwillig unterzeichnen, doch in der Demokratie sind einseitig veränderbare Verträge zulasten Dritter der Goldstandard. 

Weiter fällt mir immer wieder der Neid auf, der sich aus jedem dritten Kommentar herauslesen lässt, und auch die Angst, dass die Zahlschweine verschwinden könnten, sollte die Idee der Privatstädte nun endlich mal Realität werden. Die bösen, raffgierigen Kapitalisten müssen praktisch davon abgehalten werden, sich einen neuen Lebensmittelpunkt zu suchen. Wer soll sonst die ganzen Gender-Studiengänge bezahlen, wenn nicht der selbst ernannte Feind? Manche sind sogar bereit, „kill the rich“ umzusetzen, wenn eine solch „dystopische Zukunft“ eintreten sollte. Man stelle sich vor, so ein menschenfeindlicher Kommentar stünde nicht unter einem Video des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und bekäme über 100 Likes, sondern unter einem Video der Opposition: Es gäbe Tag und Nacht Sondersendungen in der ARD und im ZDF. 

Aber auch wohlgesonnene Kommentare finden sich unter dem Video. So merkt jemand an, dass der Spitzensteuersatz in Deutschland schon ab 62.000 Euro im Jahr greift. Das sei für einen Softwareentwickler fast das Einstiegsgehalt nach dem Bachelorabschluss. Einige würden auch gerne mal eine Privatstadt in Form eines Experiments betrachten – manche, um zu schauen, wie es funktionieren kann, und manche, um uns scheitern zu sehen. 

Ein Kommentator findet es „super“, dass sich „Die da oben!“ des Themas angenommen haben, bemängelt aber, dass es in der libertären Szene zu viele konservative Ansichten gebe: „Ich finde es schade, dass die Leute, die heute libertäre Standpunkte vertreten, sozialpolitisch sehr konservativ sind, dabei geht es ja eigentlich darum, dass es halt niemanden was angeht, was du privat machst.“ Ich weiß nicht, ob es der Tatsache geschuldet ist, dass Progressive meist auch eher wirtschaftlich autoritär eingestellt sind oder dass sich die Anhänger der freien Liebe und des guten Kiffgrases bei uns nicht so häufig zu Wort melden. Ich denke, da haben Libertäre tatsächlich noch etwas mehr Toleranz zu üben. Nicht jeder wirtschaftlich freiheitlich Eingestellte muss auch ein bibeltreuer Kirchgänger sein. 

Der vermutlich beste Kommentar ist der, der den Status quo, den aktuellen Zustand beschreibt, den er befürchtet, sollte es zu einer freien Welt kommen: „Alles lustig, bis wir für Gewaltfreiheit zahlen müssen.“ Ich zahle bereits für Gewaltfreiheit. Ich überweise dem Staat mehrfach pro Jahr Geld, damit er mir keine Gewalt antut. Das ist doch buchstäblich genau das, was er befürchtet. Versteht jemand diesen Menschen? Warum beschreiben Antikapitalisten und Etatisten ständig, was wir bereits dank des Staates haben, kritisieren dies und meinen dann, damit einen Punkt machen zu können? 

Ansonsten arbeiten sich viele an den Charakteren in der Reportage ab. Wer ist eigentlich Karl Ess? Und warum habe ich von ihm noch nie gehört, wenn er doch scheinbar ein Aushängeschild der Libertären ist? Ich verstehe nicht, was so schwer daran sein kann, Libertäre zu finden, bei denen vielleicht auch mal 50 Prozent der Libertären zustimmen würden, dass diese Person tatsächlich libertär sei. Immerhin scheint man ja auch etwas tiefer in den Kaninchenbau vorgedrungen zu sein, wenn „Die Marktradikalen“ mehrfach erwähnt und deren Memes eingeblendet werden. Aber man arbeitet sich lieber wieder an irgendwelchen Dahergelaufenen ab, denen irgendein linker Soziologe mal libertäres Gedankengut unterstellt hat. 

Wie dem auch sei, gönnen Sie sich den Beitrag doch gerne selbst einmal, aber lassen Sie sich nicht beim dauerhaften Kopfnicken erwischen …

Das wollen Libertäre (Youtube) 


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