23. September 2023 23:00

Fränkische Wirtshauskultur Gerstensaft und freie Rede

Die Wut ist spürbar

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: berni0004 / Shutterstock Gelungene Verbindung von Wirtshaus und Bier: So kommen d’Leut zam …

Immer häufiger versuche ich es einzurichten, an alte Zeiten anzuknüpfen und auf das ein oder andere Seidla in einer Brauerei bei uns in der Nähe einzukehren. Natürlich könnte ich mein Bier zu Hause billiger trinken. Aber es geht mir dabei auch nicht in erster Linie um den Gerstensaft, obgleich dessen gute Qualität natürlich die Vorbedingung für mein Kommen ist. Interessiert lausche ich den Gesprächen, die so durchs Wirtshaus wabern und beteilige mich auch gern hin und wieder selbst daran.

Und jedes Mal denke ich mir dabei wieder: Vollkommen nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen des Covid-Wahnsinns zu Beginn gleich mal die Wirtshäuser geschlossen haben. Denn was da gesprochen wird, lässt sich nicht so einfach kontrollieren wie ein Post in den sozialen Netzwerken. Viele Stammgäste sind wütend. Wütender als sonst. Wütender als vor drei Jahren. Das ist so der Eindruck der Wirtshausbesuche seit meiner Rückkehr nach Franken. 

Besonderes Reizthema scheint einmal mehr der Umgang mit Migranten im Allgemeinen und ukrainischen Flüchtlingen im Besonderen zu sein. Vor allem die Bürgergeld-Fraktion, der der gestiegene Bierpreis am meisten zu schaffen macht, kann nicht so recht nachvollziehen, warum sie nach 40 Jahren Steuerzahlens nun das Gleiche bekommen soll wie ein gerade eingewanderter Ukrainer. Wegen eines Krieges, dessen Hauptschuld die meisten hier an den Tischen nicht bei Russland sehen. Und das bei Lebenshaltungskosten, die man im einstigen Niedrigpreisland Oberfranken mittlerweile mit Sozialhilfe kaum noch stemmen kann. 

Natürlich sind da auch mal Rassisten darunter. Aber ist das nicht am Ende auch das Schöne am Wirtshaus? Ein Ort, wo sich die Leute noch zu sagen trauen, was sie denken, weil sie wissen, dass sie ihre Meinung in einem relativ sicheren Raum äußern, wo sie nicht gleich soziale Ausgrenzung oder gar eine Anzeige fürchten müssen? Und wie sollen diese Leute ihr rassistisches Weltbild jemals hinterfragen, wenn ihre Standpunkte im Dunkeln bleiben und nicht argumentativ erwidert werden. Mir ist ein bekennender Rassist, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält, jedenfalls lieber als der Typus des schmierigen CSU-Lokalfunktionärs, der seine Vorurteile gegenüber Ausländern hinter einem vermeintlich koscheren Parteibuch versteckt und dann im kleinen Kreis bierselig auf die braune Pauke haut.

Nicht alles, was im Wirtshaus etwas polemisch oder verallgemeinernd rüberkommt, ist auch immer so gemeint. Fragt man beispielsweise beim Thema Ausländer etwas genauer nach, wird schnell klar: Die meisten haben grundsätzlich kein Problem mit Migranten. Ihre oft spitzen und manchmal auch recht derben Kommentare beziehen sich auf die Zuwanderer, mit denen sie konkret vor Ort Erfahrungen gemacht haben – und das sind leider nicht immer gute. Liegt das auch an einer mangelnden Offenheit gegenüber Ausländern? Bestimmt, allerdings ist Offenheit keine Einbahnstraße. Warum, frage ich mich jedes Mal, sehe ich eigentlich so gut wie nie Migranten bei uns im Wirtshaus? Wäre das nicht ein großartiger Ort, um sich gegenseitig kennenzulernen, ins Gespräch zu kommen und Vorurteile abzubauen? Als ich mit meiner Frau nach Albanien gezogen bin, hat es keine zwei Wochen gedauert, bis ich eine Stammkneipe gefunden hatte, die ich bis zuletzt mehrmals in der Woche besucht habe. Die meisten Albaner, die ich kenne, habe ich in dieser Kneipe kennengelernt. Etwa 90 Prozent aller albanischen Wörter, die ich kann, habe ich dort aufgeschnappt.

Wären in Bayern nur regelmäßige Wirtshausbesucher wahlberechtigt, könnten sich SPD und Grüne für alle Zeiten aus dem Maximilianeum verabschieden. Der größte Unterschied im Vergleich zu früher ist nach meiner Wahrnehmung aber sicher eine allgemeine Resignation mit dem politischen System, die über die Frustration mit bestimmten Parteien oder Personen hinausgeht. „Das sind doch alles Verbrecher, die machen doch eh, was sie wollen“, hört man immer öfter. Wenig differenziert natürlich, aber doch für mich ein Zeichen, dass diese oftmals recht einfach gestrickten Menschen auf einer intuitiven Ebene sehr genau verstanden haben, dass die Abgeordneten in Berlin und München nicht sie vertreten und ihre Stimmabgabe an diesem Umstand keinen Unterschied machen wird. 

Neben Ausländern, Ukraine-Krieg, Klimaklebern und Teuerung habe ich in den vergangenen Wochen vergeblich auf Gespräche über Covid und die Aufarbeitung gewartet. Einig ist man sich, was ich so rausgehört habe, dass es keine neuen „Schutzmaßnahmen“ im Winter geben werde und dass man sich anderenfalls diesmal auch ganz sicher nicht dranhalten würde. Naja, da wäre ich dann mal gespannt.

Natürlich darf man nicht den Fehler machen und dem Mikrokosmos Wirtshaus zu viel „Bellwether“-Potenzial beizumessen. Aber überzeugte CSU-Wähler, die man hier noch vor fünf Jahren nicht lange suchen musste, sind deutlich weniger geworden. Ein Hoffnungsschimmer ist das noch nicht. Die Veränderungsresistenz in Bayern ist groß. Und nicht, dass andere Parteien es besser machen würden oder auch nur ein Jota mehr Legitimation besäßen, über freie Menschen zu herrschen. Aber dass ausgerechnet die beiden Parteien, die den Covid-Terror in Bayern zu verantworten haben, stabil in allen Umfragen über 50 Prozent liegen, löst bei mir schon manchmal Kopfschütteln aus. 

Politische Debatten ermüden mich heute oft viel schneller als früher. Und das ist auch etwas, was ich an unseren fränkischen Wirtshäusern so mag. Man kann sich an Unterhaltungen beteiligen, zuhören oder einfach in seinen Bierkrug starren und unbehelligt seinen Gedanken freien Lauf lassen. Das ist der Moment, wo die Unterhaltungen an den Nachbartischen zu einer vielstimmigen Geräuschkulisse verschmelzen, die man leicht ausblenden kann. Und plötzlich ist man ganz allein in einem Raum voll mit lauten und betrunkenen Menschen. Ich habe es vermisst, das fränkische Wirtshaus. Und auch die Menschen, die hier in Gemeinschaft ihr Bier trinken und für die Political Correctness Gott sei Dank ebenso eine Fremdsprache geblieben ist wie Hochdeutsch.


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