25. September 2023 23:00

r/K-Selektionstheorie Ein ignorierter Elefant im Raum

Linke und rechte Trends am Beispiel USA

von Philipp A. Mende (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock Gestatten: Der evolutionspsychologische Elefant im Raum

Diejenigen, denen es trotz der zwingenden Argumente, zahllosen Indizien und nicht zuletzt umfangreichen Belege nicht gefällt, evolutionär gewachsene Reproduktionsstrategien und Politik miteinander zu verbinden, werden immer auf ein Problem stoßen. Das Problem ist, kurz gesagt, dass dieses Konzept so erklärend ist. Ein „kleines“ Konzept, mit dem plötzlich so gut wie alles in der Politik einen Sinn ergibt.

Immer wieder wurde in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die K-Strategie (auch) spontan als Reaktion auf Signale der Ressourcenknappheit entsteht, zum Beispiel bei wirtschaftlichem Abschwung, Bedrohung der Sicherheit oder Krieg. Zudem wurde gesagt, dass „K-Wölfe“ in einer „K-Gesellschaft“ miteinander konkurrieren und Erfolg haben werden, was interessanterweise in der Regel dazu führt, dass die dadurch entstehende, florierende Gesellschaft, von der so gut wie alle profitieren, gleichzeitig den Grundstock für ihre spätere Korrumpierung legt, indem eine „r-Umgebung“ mit vielen Ressourcen geschaffen wird. Dies erzeugt r-Strategen, die sich dann vermehren, die Gesellschaft schrittweise kollabieren lassen, eine K-Umgebung mit K-Signalen wie Krieg und Bedrohung erzeugen, die wiederum K-Strategen hervorbringt, die den ganzen Zyklus von vorne beginnen und so weiter.

Vor kurzem stolperte ich zufällig über einen zehn Jahre alten Artikel der „Washington Post“ (siehe Link unten) mit dem Titel „Americans are more conservative than they have been in decades“. Auf Deutsch: „Die Amerikaner sind so konservativ wie seit Jahrzehnten nicht mehr“.

Dieser kurze Artikel faszinierte mich vor allem aufgrund von zwei Umständen. Zunächst einmal sieht man darin ein Diagramm mit dem Untertitel „Conservative Policy Mood, 1952-2012“, welches eindrücklich zeigt, wie sich steigende „linke“ und „rechte“ Trends kontinuierlich abwechseln, und zwar immer je nachdem, welche politische Zwangsherrscher-Clique gerade „in charge“, also „federführend“ war. Oder noch genauer: Hatten die „Democrats“ das Sagen, zeichneten sich steigende, konservative Trends ab, saßen hingegen „Republicans“ im Weißen Haus, stiegen die „liberals“ in den Trends. Für die meisten Menschen geschieht all das nach wie vor zufällig. Ist eben einfach so. Auch der Autor jenes Artikels konnte sich die gesamte Entwicklung nur mit „Veränderungen“ in der „öffentlichen Meinung“ erklären (und höchstwahrscheinlich ist dem immer noch so). Er bezog sich dabei auf das Buch „Public Opinion in America: Moods, Cycles, and Swings“ von James Stimson, aus welchem er auch das Diagramm entnommen beziehungsweise aus konservativer Perspektive umgestaltet hatte. Nun habe ich das Buch zwar nicht gelesen und kann mich natürlich irren, aber mit größter Wahrscheinlichkeit wird auch dieses irgendwo an der Oberfläche herumkratzen, was politische Trends betrifft, sprich: Alles irgendwo richtig, aber nicht wirklich eine Erklärung bietend, sondern vielmehr (einmal mehr) Beobachtungen.  

Und das, obwohl man anhand des eigenen Diagramms sowohl die politischen Anführer als auch die jeweilige Umwelt und ihre Auswirkungen auf einen Blick sehen könnte.

Auf die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs folgte unter dem Republikaner Dwight D. Eisenhower (1890–1969) eine längere Phase des Friedens und Wohlstands, was zur Folge hatte, dass die konservative, politische Stimmung („conservative policy mood“) rapide sank, bevor sie mit den Demokraten John F. Kennedy (1917–1963) und Lyndon B. Johnson (1908–1973) sowie dem Vietnam-Krieg wieder anstieg und im Zuge des wirtschaftlichen Ruins unter dem Demokraten Jimmy Carter (*1924) einen neuen Höhepunkt fand. Daraufhin folgte unter den Republikanern Ronald Reagan (1911–2004) und George H. W. Bush (1924–2018) erneut eine Phase des Friedens und Wohlstands, allerdings auch ein massiver Anstieg der „Staatsverschuldung“ (von der jeder Libertärer freilich weiß, dass es sich tatsächlich um eine Bürgerverschuldung handelt) und so weiter.

Krieg scheint mit einem starken Anstieg des Konservatismus verbunden zu sein, aber nur, wenn er eine plausible Bedrohung für den einzelnen Bürger darstellt und die Amygdala stimuliert. Der elfte September führte zu einem entsprechenden Anstieg, der Irakkrieg nicht. Nur ein Krieg entlastete eine gestresste Amygdala direkt nach wirtschaftlicher Unsicherheit, direkter Bedrohung und einem gewaltsamen Angriff auf amerikanischem Boden. Der andere brachte eine bequeme Amygdala aus dem Gleichgewicht, da die Wirtschaft gut lief und sich fast jeder sicher fühlte. Konservative Auslandsinterventionisten, die Kriege ohne direkte, greifbare Bedrohungen für die Bevölkerung befürworten, schaden „der Sache“ der Konservativen wahrscheinlich immens und beschleunigen den Einzug des Sozialismus im Inland, selbst wenn man ihnen unterstellt, dass sie es strategisch gut meinen mögen. Wenn sie Krieg führen, um (angeblich) die Nation zu schützen, schaden sie ihr möglicherweise noch mehr als jeder potenzielle Angriff es könnte.

Beide Bushs hatten am Ende ihrer Amtszeit wirtschaftliche Probleme, die eine deutliche Trendwende einleiteten, bevor ihr Nachfolger sein Amt antrat. Diese Verschiebungen haben allerdings nichts mit Wahlen oder der Ideologie in Washington D.C. zu tun, wie in dem Artikel behauptet wird, sondern sind eher auf wirtschaftliche beziehungsweise ressourcenbezogene Faktoren zurückzuführen, kombiniert mit Frieden, Bequemlichkeit und fehlender Kampfbereitschaft der K-strategischen Republikaner.

Reagan war tatsächlich schlecht für den Konservatismus, obwohl ihn viele als brillanten Redner, erstklassigen Führer und Intellektuellen betrachteten. Erfolg, „freie“ Ressourcen, beispielsweise aufgrund massiver Geldzuflüsse in die Wirtschaft (vor allem durch die „Staatsverschuldung“) und Sicherheit führen dazu, dass sich der Konservatismus verflüchtigt – selbst bei einem ausgezeichneten Redner –, wenn es keine Signale der Bedrohung oder des Kampfes gibt, die die Amygdalae der Bevölkerung stimulieren. Dies stellt eine natürliche biologische Anpassung dar, die der Organismus eher in einer r-ähnlichen Umgebung empfindet. Nach etwa zwölf Jahren, in denen die „Staatsverschuldung“ in die Wirtschaft eingespeist wurde, beschleunigten sich die konservativen Trends, möglicherweise aufgrund der negativen Auswirkungen, die die Zahlungen für Kredite und Darlehen auf die Verfügbarkeit von Ressourcen haben. Je größer die Schulden werden, desto größer wird der Anteil der produzierten Ressourcen, der für den „Schuldendienst“ aufgezehrt werden muss. Nach dem anfänglichen Ansturm auf das „freie Geld“ schränken die geschuldeten Zinsen die Ressourcen künstlich ein, selbst wenn die Zeiten gut sind. Dadurch verschieben sich die Dinge in Richtung „K“. „Abhilfemaßnahmen“ wie die quantitative Lockerung sind nur kosmetischer Natur und haben keine Auswirkungen auf den zugrunde liegenden Mechanismus, nämlich die Höhe der greifbaren Belohnung, die man für eine x-fache Anstrengung genießen darf. Wie viel Geld man in der Tasche hat, ist bedeutungslos, wenn man damit nicht genug Dopamin und Freude „kaufen“ kann.

Bill Clintons erste Amtszeit war nicht von einer harten Kriegsdrohung oder einer Carter-ähnlichen Knappheit geprägt, vor allem nicht am Ende (Bushs milde Rezession ging gerade zu Ende, als er sein Amt antrat), und doch löste Clinton einen kriegsähnlichen Wandel bei den Konservativen aus. Dies ist wahrscheinlich zum Teil auf den „Schuldenerlass“ unter Reagan und Bush zurückzuführen, und die Zahlungen für den – nennen wir ihn – „Schuldendienst“ schränkten die Ressourcen ein. Die Kampfeslust der Republikaner unter Gingrich und Delay hatte wahrscheinlich ebenfalls dazu beigetragen.

Clintons „Dotcom-Blase“ hätte zu einem echten Einbruch des Konservatismus führen müssen, da es sich im Wesentlichen um eine riesige, „kostenlose“ Verfügbarkeit von Ressourcen in Friedenszeiten handelte, aber das war nicht der Fall. Sie hat den Aufstieg nur verzögert. Auch hier gab es einen stetigen Rückenwind, der die Nation schließlich in Richtung „K“ drängte.

Unter George W. Bush stieg der konservative Trend im Zuge der Rezession nach den Anschlägen vom elften September sowie aufgrund der Anschläge selbst. Als das Gefühl einer afghanischen und irakischen Bedrohung im öffentlichen Bewusstsein einigermaßen abklang und sich aufgrund von Steuersenkungen für Einkommen und Kapitalgewinne die Wirtschaft ein wenig erholte, sank er kurzfristig wieder.

Mit Barack Obamas Amtszeit führten konservative Trends nach und nach zu einem neuen Höhepunkt: Das Debakel im Gesundheitswesen („Obamacare“), um nur ein Beispiel zu nennen, rief Bedrohung, Angst, weitere Ressourcenbeschränkungen und Unsicherheit hervor. Das führte dazu, dass die konservative Linie immer schneller anstieg, je weiter die Ereignisse voranschritten. Die Lage erzeugte einen Stimulus, der die Bedrohung durch den Tod heraufbeschwor, wie es ein Krieg oder eine Hungersnot tun würde, und wir wissen mittlerweile, wie auch Professor Dr. Jost sagte, dass dies konservative Verschiebungen auslöst.

So gesehen war wiederum die Nachfolge durch Donald Trump nicht wirklich eine Überraschung. Trump, der im Vergleich zu seinen Vorgängern (zum Beispiel dem „Friedensnobelpreisträger“ Obama) keine neuen Kriege anzettelte, sondern stattdessen Konflikte beilegte oder zumindest dabei half (Nordkorea, Abraham-Abkommen, Serbien-Kosovo, Afghanistan) und dessen Wirtschaftspolitik aufgrund der Senkung von Unternehmens- und Einkommensteuersätzen sowie einer umfassenden Deregulierung ein starkes Wirtschaftswachstum verzeichnete (trotz protektionistischer Handelspolitik) und darüber hinaus historisch niedrige Werte bezüglich Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, kam aufgrund des Wahlbetrugs (siehe Link unten) nicht in eine zweite Amtszeit. Es wäre spannend gewesen zu sehen, inwiefern sich – bei entsprechender Fortführung – linke Trends in der zweiten Amtszeit Trumps weiter spürbar gemacht hätten, wovon ich nach allem, was man mittlerweile dank evolutionspsychologischer Untersuchungen wissen kann, überzeugt bin.

Man muss jedenfalls kein Genie sein, um im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Desaster in Gestalt des (r-strategischen) Biden-Clans einer erneuten republikanischen Machtergreifung 2024 realistische Chancen einzuräumen. Womöglich sogar wieder unter (K-) Trump.

Fazit

Der ignorierte Elefant im Raum besteht in dem Umstand, dass die Verbindung zwischen evolutionär gewachsenen Reproduktionsstrategien und politischen Trends nicht nur evident ist, sondern faszinierende Einblicke in die Dynamik der Politik bietet. Sehr viel spricht dafür, dass politische Trends nicht zufällig sind, sondern mit biologischen Anpassungen in Verbindung stehen.

Die Wechselwirkung zwischen K-Strategien und r-Strategien in der Politik, die von Bedrohungen, Ressourcenverfügbarkeit und wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst wird, bietet eine logische Erklärung für die Schwankungen in der politischen Stimmung im Laufe der Geschichte. Es wird deutlich, wie die politischen Anführer, die wirtschaftliche Situation und die öffentliche Wahrnehmung miteinander interagieren und die politischen Trends beeinflussen. Ein Blick auf die historischen Daten zeigt, dass Konservatismus oft mit Bedrohungen und Kriegen in Verbindung gebracht wird, die die Amygdala stimulieren. Auf der anderen Seite können Wohlstand, Ressourcenüberfluss und Sicherheit dazu führen, dass konservative Trends abnehmen.

Die Analyse legt nahe, dass politische Trends nicht allein auf Wahlen oder Ideologien zurückzuführen sind, da nicht die jeweilige politische Ideologie die Voraussetzung für diverse Entwicklungen ist, sondern Reproduktionsstrategien die Voraussetzung für Ideologien. Vielmehr geht es um tiefer liegende Faktoren wie beispielsweise wirtschaftliche Ressourcenverfügbarkeit und Schuldenlast, die wiederum aus dem jeweiligen evolutionspsychologischen Mindset resultieren. Diese Faktoren können die politische Landschaft beeinflussen und Veränderungen in der politischen Stimmung auslösen.

Schließlich zeigt die Geschichte, dass politische Trends oft in zyklischen Mustern verlaufen, die von den Wechselwirkungen zwischen K-Strategien und r-Strategien geprägt sind. Die Analyse wirft Fragen auf, wie politische Entscheidungen dann wiederum die evolutionären Anpassungen der Gesellschaft beeinflussen und wie diese Erkenntnisse in der Politikgestaltung berücksichtigt werden können. Doch dazu ein anderes Mal mehr.

Philipp A. Mende: Widerstand. Warum zwischen linker und rechter Politik eine Schlacht der Gene wütet.

Americans are more conservative than they have been in decades (The Washington Post)

James S. Stimson: Public Opinion In America: Moods, Cycles, And Swings

Wahlbetrug USA (Here is the evidence)

Was haben Trump und sein Kabinett erreicht? (Meinungsfreiheit 2.0 Blog)


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