02. Dezember 2023 22:00

Israelis bewaffnen sich Misstrauensvotum gegen den Staat?

Zahl der Anträge explodiert

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Barak Shacked / Shutterstock Ultrarechter israelischer Minister Itamar Ben-Gvir: Rät allen Bürgern zum Kauf von Schusswaffen

Seit dem 7. Oktober haben in Israel endgültig die Scharfmacher Oberwasser. Um einen solchen handelt es sich ganz klar auch beim Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Der fiel erstmals 1995 auf, als er sich im Fernsehen mit einer gestohlenen Cadillac-Kühlerfigur vom Wagen des damaligen Premierministers Yitzhak Rabin zeigte und dem wenige Wochen später ermordeten Unterzeichner des Oslo-Abkommens drohte: „Wir haben es bis zu seinem Wagen geschafft und wir werden es auch bis zu ihm schaffen.“ Kürzlich sagte Ben-Gvir in einem Interview, sein Recht, als Jude in Judäa und Samaria (der Westbank) zu leben, sei wichtiger als die dortige Bewegungsfreiheit der Araber. 

Die Schreckensbilder aus dem Süden waren für Ben-Gvir dann auch ein willkommener Anlass, eine seiner Herzensforderungen wieder hervorzuholen: die Todesstrafe für Terroristen. Bis zum 7. Oktober wollte es mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf seiner Otzma-Yehudit-Partei aber nicht so richtig vorangehen. Ben-Gvir weiß dabei eine Mehrheit der Israelis auf seiner Seite. Eine Erhebung von 2017 kam zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der jüdischen Israelis die Todesstrafe für verurteilte Terroristen befürworten. 

Dabei hat die Todesstrafe, anders als man annehmen könnte, in Israel so gar keine Tradition. Ganze zwei Todesurteile wurden in der Geschichte des Staates seit 1948 vollstreckt, das letzte bekanntlich 1962 gegen Adolf Eichmann. Nicht einmal für die beiden Itamar-Attentäter von 2011, Amjad Awad und Hakim Awad, forderte der Staatsanwalt damals im Prozess die Todesstrafe, was nach Militärstrafrecht eigentlich möglich gewesen wäre. Und das, obwohl die beiden Palästinenser eine ganze Familie, darunter auch ein drei Monate altes Baby und zwei Kinder, vier und elf Jahre alt, auf grausame Weise ermordet hatten. 

Zuletzt prahlte Ben-Gvir auf Twitter mit den inhumanen Haftbedingungen festgenommener Palästinenser, die, wenn man den Minister beim Wort nehmen darf, an Berichte aus Guantanamo erinnerten. Häftlinge würden in dunklen Zellen, auf eisernen Betten mit einem Loch im Boden als Toilette gehalten und ständig mit der israelischen Nationalhymne „haTikva“ beschallt. Die menschenrechtliche Problematik dabei einmal ganz außen vor gelassen: Entweder denkt Ben-Gvir nicht nach, bevor er sowas auf Twitter schreibt, oder er nimmt ganz bewusst in Kauf, das Leid der verbliebenen Geiseln in Gaza noch zu verschlimmern – eine andere Erklärung fällt einem dazu kaum ein.

Doch gegen die jüngsten Angriffe der linken israelischen Tageszeitung „Haaretz“ kann man Ben-Gvir nur verteidigen. Vergangenen Donnerstag skandalisierte das in Tel Aviv beheimatete Blatt die angeblich laxe Erteilung von Waffenscheinen durch Ben-Gvirs Ministerium. „Sie verteilen Waffen wie Süßigkeiten“, zitiert die Zeitung eine „hochrangige“ und wohlgemerkt anonyme Quelle aus dem Sicherheitsapparat. Damit sei „eine Katastrophe vorprogrammiert“, heißt es weiter. Ob die Zeitung auch so schreiben würde, wenn sie in Sderot erscheinen würde? Wenn ein Politiker bürokratische Hürden für den privaten Waffenbesitz beseitigt, freue ich mich darüber, ganz egal, ob er rechts oder links oder wie im Falle Ben-Gvirs ein eingefleischter Rassist ist. Und auch in dieser Frage weiß Ben-Gvir im Übrigen die Israelis hinter sich. Mehr als 236.000 Anträge auf Waffenbesitz haben die Behörden seit dem 7. Oktober registriert – so viele wie in den vergangenen 20 Jahren zusammen. Vielleicht auch ein Misstrauensvotum vieler Israelis gegen einen Staat, der je nach Interpretation der Ereignisse nicht in der Lage oder nicht willens war, sie zu schützen? 

Natürlich ist davon auszugehen, dass arabische Israelis nur in Ausnahmefällen in den Genuss einer solchen Erlaubnis kommen werden, was komischerweise auch von den linken Gegnern der Initiative kaum kritisiert wird. Dennoch geht der Vorstoß in die richtige Richtung. Auch die Geschichte des Zweiten Verfassungszusatzes in den USA ist geprägt von Diskriminierung, vor allem gegenüber Afroamerikanern. Für den damaligen Chefrichter am Obersten Gerichtshof, Roger Taney (im Amt von 1836–1864), war sogar der Haupteinwand gegen ein Bürgerrecht für Schwarze, dass dann „Personen der Negerrasse“ das Recht hätten, „Waffen zu besitzen und zu tragen, wo immer sie wollen“.

Dass arabische Israelis und Palästinenser durch das liberalere Waffenrecht in Israel nun stärker gefährdet seien, glaube ich übrigens nicht. Jüdische Gewalt gegen Palästinenser geht in der Regel von religiösen Siedlern aus, die ohnehin längst über Waffen verfügen, deren destruktives Potenzial sich allerdings meist darauf beschränkt, palästinensische Olivenplantagen abzufackeln. Und zur Wahrheit gehört einfach auch, dass jüdische Anschläge auf israelische Araber gegenüber palästinensischen Terrorakten zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Allerdings möchte ich auch nicht kleinreden, dass eine emotional aufgeladene Situation wie derzeit, in Verbindung mit einer stärkeren Zirkulation von Waffen, durchaus ihre Probleme mit sich bringt. Erst am Donnerstag kam ein Zivilist an einer Bushaltestelle in Jerusalem durch „friendly fire“ ums Leben, als zwei Soldaten außer Dienst und ein bewaffneter Zivilist das Feuer zweier Hamas-Terroristen erwiderten. Laut Aussage seiner Familie wurde der 37 Jahre alte Yuval Doron Castleman von seinen Landsleuten dabei regelrecht hingerichtet, während er sie anflehte, nicht zu schießen. 

Ich habe volles Verständnis für einen Israeli, der sich bewaffnen und seine Familie schützen will. Und ich verstehe auch nicht, wie nun viele deutsche Medien, die sich ansonsten ja momentan in Sympathiebekundungen für Israel geradezu überschlagen, gleichzeitig einem israelischen Familienvater das Recht absprechen wollen, sich in seinem eigenen Zuhause zu verteidigen. Natürlich muss ein arabisch-israelischer Familienvater dasselbe Recht haben. Seine Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe, die überproportional für Gewalttaten verantwortlich ist, darf dabei nichts zur Sache tun. 


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