10. Januar 2024 19:00

Was ist Wahrheit? Wettbewerb produziert Wahrheit

„Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit kann von allein aufrecht stehen!“ (Thomas Jefferson)

von Markus Krall

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Bildquelle: FGC / Shutterstock Unvereinbar: Politik und Wahrheit

Der Satz „Was ist Wahrheit?“ wird im Neuen Testament einem Mann zugesprochen, der in der Passion Christi eine Schlüsselrolle einnahm: dem römischen Statthalter Pontius Pilatus. Er stellte die Frage, nachdem ihm der angeklagte Jesus erklärt hatte, dass er in die Welt gekommen sei, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Pilatus wartete aber die Beantwortung seiner Frage nicht ab, sondern wandte sich ab. Seine Aussage sollte wohl eher keine Frage sein, sondern eine Erwiderung, eine nur rhetorische Frage, sinngemäß zu übersetzen mit „Komm mir nicht mit der ‚Wahrheit‘, niemand kennt sie und wenn du an sie glaubst, bist du bestenfalls ein Spinner und schlimmstenfalls gefährlich.“

Die große libertäre Autorin Ayn Rand beschrieb diese arrogante Attitüde einmal mit den Worten: „Die Wahrheit ist nicht für alle Menschen da, sondern nur für die, die nach ihr suchen.“

Die Attitüde, die die Menschen zur Wahrheit einnehmen, sagt sehr viel über sie und ihr Denken aus. Meine persönliche Beobachtung ist, dass es dabei eine spezielle Form der inneren Widersprüchlichkeit gibt. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die Skeptizismus mit Nihilismus verwechseln. Das dahinterliegende Motiv ist Bequemlichkeit, meist gepaart mit Hedonismus. Insbesondere bei linken und sich gerne als „linksliberal“ gebenden Zeitgenossen ist es schick, in dieser Frage den Philosophen herauszukehren, der mit wissendem Blick vorträgt, dass es Wahrheit nicht gebe, wo doch Einstein schon bewiesen habe, dass „alles relativ“ sei, und damit auch zugleich zu Protokoll gibt, dass er keine Ahnung davon hat, was die Relativitätstheorie eigentlich besagt.

Angetrieben wird diese Attitüde von zwei Bedürfnissen:

Erstens ist es für den Hedonisten eine Supersache, wenn Wahrheit als Konzept nicht existiert. Ohne Wahrheit gibt es auch keine allgemeinverbindlichen Regeln, keine wirklich tiefe Moral und Ethik und also auch keine Einschränkungen des eigenen lustbetonten Tuns. Erlaubt ist, was gefällt oder wobei man sich nicht erwischen lässt.

Zweitens wird die intellektuelle Bescheidenheit der Wissenschaft, dass man die Realität nicht mit absoluter Gewissheit erkennen, sondern nur dauerhaft nach ihr suchen und sich ihr dabei annähern könne, überdehnt und der logisch daraus nicht herleitbare Satz postuliert, dass etwas, was man nicht finden könne, auch nicht existiere. Dem ist aber mitnichten so. Im Gegenteil. Wenn man die Wahrheit suchen, sich ihr annähern kann, basiert dies auf der Grundannahme, dass sie auch existiert, aber dass es der Mühe bedarf, sie aufzudecken. Die Suche nach Wahrheit ist wohl eine energieintensive Angelegenheit. Sie ist nicht für den bequemen, nicht für die „Couch-Potato“, nicht für den Selbstgewissen und schon gar nicht für den Leugner ihrer Existenz, damit er sich das dünne Mäntelchen des hedonistischen Wertenihilismus umhängen kann.

Die Frage ist, wie dieser Suchprozess vonstattengeht. Die meisten Menschen reduzieren diesen Prozess entweder auf die Wissenschaft, fragen nach deduktiver versus induktive Methode, Nachdenken, These, Theorie und Experiment oder sie verstehen die Suche nach Wahrheit als etwas Transzendentes, Religiöses, Metaphysisches. Die wenigsten Menschen verbinden die Suche nach Wahrheit mit den Rahmenbedingungen, welche die Suche nach ihr überhaupt erst ermöglichen.

Noch viel weniger wagen sie es, nach den wechselseitigen Einflüssen von Physik und Metaphysik zu fragen, weil sie die beiden Konzepte für antagonistisch halten. Man sucht entweder nach der Wahrheit als Ausdruck der Realität im Rahmen der Wissenschaft – dann betrachtet man die Religion bestenfalls als Parallelwelt, in der eben „andere Fragen“ gestellt werden als in der Wissenschaft – oder man lehnt die Religion grundsätzlich ab und setzt den Atheismus, mindestens aber den Agnostizismus als eine Randbedingung des Bemühens um Objektivität und somit als Voraussetzung für das Betreiben „ernsthafter“ Wissenschaft.

Es gibt aber ein Geflecht wechselseitiger Beeinflussung zwischen der Wissenschaft, der Religion, den gesellschaftlichen Bedingungen und damit im Ergebnis der Möglichkeit, die Suche nach der Wahrheit erfolgreich voranzutreiben. Ich möchte daher hier versuchen, diese drei Elemente als ein Gesamtsystem begreiflich zu machen, und ich bediene mich dabei einerseits den Überlegungen von Hayeks zur spontanen Ordnung und andererseits der gesellschaftstheoretischen Analyse Igor Schafarewitschs.

Beginnen wir mit der Frage der Objektivität. Wir dürfen aus gutem Grund annehmen, dass Objektivität im philosophischen Sinne etwas ist, über das wir als Menschen nicht verfügen. Das hat einerseits etwas zu tun mit der Struktur unseres Geistes, also mit der Art und Weise, wie wir „die Dinge“ betrachten. Denn das hängt von unserem Weltbild, unserer Erziehung, unseren Genen, unserer Umwelt und unseren Präferenzen ab. Wir sind keine objektiven Schiedsrichter der Realität, wie sehr wir uns auch darum bemühen mögen.

Und es hat andererseits handfeste physikalische Gründe, die seit der Entdeckung der Quantenmechanik Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt sind. In dieser Welt des Allerkleinsten besteht eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen dem Beobachter und dem beobachteten Gegenstand. Solange man als Beobachter eine Messung nicht durchführt, sind mehrere Zustände möglich, das System ist somit probabilistisch, also eines von Wahrscheinlichkeiten. Erst die Messung bringt die Wahrscheinlichkeitsverteilung zum „Kollaps“ und es stellt sich ein der makroskopischen Welt vergleichbarer Zustand des Entweder-oder“ ein. Die bekannteste Ausprägung dieses Phänomens ist Schrödingers Katze, die im Gedankenexperiment sowohl lebendig als auch tot zugleich ist, solange keiner in die hermetische Box hineinsieht.

Dieser Mangel an Verfügbarkeit einer wirklichen Objektivität weckt das Bedürfnis nach einem Ersatzmechanismus, und wir haben in Form der „intersubjektiven Vergleichbarkeit“ ein Surrogat gefunden. Mehrere Betrachter schauen unabhängig voneinander auf die gleiche Sache und ziehen dieselben Schlussfolgerungen. Umso mehr Menschen das tun, desto höher sehen wir die Wahrscheinlichkeit, dass diese Schlussfolgerungen eine weitere Annäherung an die Realität, mithin an die Wahrheit sind. Derzeit lernen wir aber, dass der daraus abgeleitete „Peer Review“, also die Prüfung von Forschungsergebnissen durch Kollegen der gleichen Fachrichtung der Massenpsychose und der Korruption zum Opfer fallen kann. Corona und Klima haben es bewiesen. Fast ist man versucht, den schwadronierenden „Experten“ den schwäbischen Komparativ zuzurufen: Ihr seid „gescheit, gescheiter, gescheitert“. Das sind sie wirklich, und der Grund dafür ist, dass sie den Raum der Bedingungen, in dem allein echte Wissenschaft funktioniert, verlassen haben.

Dieser Raum ist definiert von der Freiheit des Denkens, der Rede und vor allem dem Wettbewerb der Ideen. Monopolisiert man die Wissenschaft oder, wie in unseren aktuellen Problemfällen, „kartelliert“ man sie durch ihre totale Einbindung in ein zentral gesteuertes staatlich-akademisches System, dann fällt der Wettbewerb der Ideen weg. Die Monopolisierung erfolgt durch Denkverbote und Redeverbote, die Zentralsteuerung und Ausschaltung des Wettbewerbs durch staatliche Finanzierung. Die Wissenschaft sucht dann nicht mehr nach Wahrheit, sondern produziert Aussagen, die ihre Auftraggeber hören wollen. Diese werden dann als Wissenschaft camoufliert und dem Volk ruft man zu: „Folgt der Wissenschaft!“

Es gilt: Wettbewerb produziert Wahrheit, die Abwesenheit von Wettbewerb, das Monopol, produziert die Lüge. Das Monopol ist also eine Maschine zur Unterdrückung der Wahrheit. Der größte Erschaffer von Monopolen ist der Staat. Daher gilt der Satz von Thomas Jefferson: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit kann von allein aufrecht stehen!“

Damit kommen wir zum nächsten, entscheidend wichtigen Schritt: Es gibt einen Ort, bei dem der Wettbewerb jedem, der sich dort aufhält, die letzte Ansage macht. Der Wettbewerb ist an diesem Ort der höchste Richter, die letzte Instanz, der endgültige Filter, der Wahrheit von Lüge trennt. Dieser Ort ist der Markt. Und auch wenn das für die meisten Ohren jetzt fremd, gar revolutionär klingen mag: Der Markt ist die Mutter aller Wissenschaft – von den kleinsten, frühesten Anfängen der prähistorischen Menschheit bis zum heutigen Tag.

Der Markt als Platz des freien Tausches kam vor vermutlich etwa 5.000 Jahren mit der Erfindung des Geldes in Gang. Ohne Geld in Form eines knappen Gutes, eines Tauschmittels, das jeder haben möchte, kommt keine systematische Tauschwirtschaft zustande. Dieses Tauschmittel muss knapp sein, muss eine Wertaufbewahrungsfunktion haben, muss teilbar und wägbar sein, es muss zugleich eine Güterfunktion haben, um evolutorisch in die Rolle des Geldes hineinzuwachsen. Weil Gold alle diese Bedingungen erfüllte, wurde es zu Geld.

Wir können an diesem Vorgang gleich zwei Ausprägungen spontaner Ordnung im Sinne von Hayeks erkennen: die Herausbildung des Marktes als System der Wahrheitsproduktion und die Erfindung des Geldes als Warengeld, nämlich als Gold. Was wir hier noch sehen können, ist, dass die spontane Ordnung selbst eine Metaebene hat, nämlich dass sie durch Versuch und Irrtum zur Wahrheitsfindung in einer gesellschaftlichen Erweiterung der biologischen Evolution beiträgt: Es überlebt nicht der Stärkste, sondern der am besten an die Umwelt Angepasste. Die Umwelt ist aber die Realität, mithin die Wahrheit. Die spontane Ordnung ist ein Anpassungsprozess an diese Realität und mithin an die Wahrheit.

In früheren Beiträgen („Was ist Geld?“) hier auf Freiheitsfunken habe ich den Prozess der sich immer weiter verfeinernden und verzweigenden Spezialisierung durch freiwilligen Tausch bereits herausgearbeitet.

Die Tauschwirtschaft ermöglicht Spezialisierung, diese wiederum steigert die Produktivität und setzt Ressourcen – Zeit, Mühe und Energie – frei, die nicht mehr für den reinen Überlebenskampf aufgewendet werden müssen. Das öffnet die Türe für die Muse zum Nachdenken, zum Forschen, zum Entwickeln und damit zur Verfeinerung der Arbeitsteilung, zu weiterer Spezialisierung und mündet in einen sich immer schneller beschleunigenden Kreis steigender Produktivität, der unsere ganze technologische Zivilisation in Gang gesetzt hat.

Entscheidend ist hier der Hinweis auf „Nachdenken, Forschen, Entwickeln“. Das ist letztlich Wissenschaft. Dieser Prozess ließ den Menschen die Keramik entdecken, die Bronzeherstellung, später das Eisen und den Stahl, die Architektur und das Bauingenieurwesen, den Beton der Römer, der ein ganzes Weltreich zusammengehalten hat. Der Prozess des Forschens und Entdeckens geht umso schneller, je höher die Anreize dafür waren, ihn zu betreiben, also je höher der Gewinn, der daraus resultiert. Das Gewinnmotiv als Urinstinkt der Marktwirtschaft ist also auch ein Schlüsselgen der Wissenschaft. Die Marktwirtschaft ist jedoch wiederum an Funktionsvoraussetzungen gebunden, die Igor Schafarewitsch in seiner Analyse des Sozialismus als Antimarktwirtschaft identifiziert hat: Die Individualität, also das Primat des Einzelnen vor der Masse, das Eigentum (als einzusetzende Ressource für die Forschung und als Medium der Belohnung bei Erfolg), die Familie als Hort sozialer Sicherheit für den Risiko tragenden Unternehmer und als Motivation für Höchstleistung aufgrund des genetischen Egoismus, den uns die Evolution eingepflanzt hat und der sich im Gewinnmotiv manifestiert, die Religion mit der Kernfunktion, diese Werte zu kodifizieren, mit dem Numinosen zu verknüpfen und so den Glanz des Heiligen auf die weltliche Ordnung des Fortschritts zu übertragen sowie Kunst, Kultur, Architektur, Musik und Literatur als Ausdruck des „Wahren, Schönen, Guten“, als emotionale Brücke zwischen Schöpfung und Schöpfer, sind ihre Elemente.

Deshalb kodifiziert der Dekalog, die Zehn Gebote, die privaten Eigentumsrechte (Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut), den Schutz der Familie (Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib), den Schutz des Individuums (Du sollst nicht töten), und deshalb musste der Gott Israels ein eifersüchtiger Gott sein, der keine anderen Götter neben sich duldet, denn es war klar, dass diese Götter dämonischen Ursprungs waren und sind und dass sie sich gegen diese natürliche Ordnung der Dinge, gegen dieses Naturrecht wenden.

Die Rolle der Religion ist also nicht darauf beschränkt, durch das Studium der Theologie oder durch Meditation und Gebet nach geistiger Wahrheit zu streben. Sie perpetuiert vielmehr durch die Heiligung des Individuums, der Familie und des Eigentums die Rahmenbedingungen des wissenschaftlichen Fortschritts durch das ultimative System des Wettbewerbs, die Marktwirtschaft und die freiwillige Kooperation freier Individuen. Kunst, Musik und Kultur erhöhen die Religion emotional und öffnen unser Herz für ihre Botschaft. Alles ist so mit allem auf ganz wunderbare Weise verbunden. Jedes Puzzlesteinchen hat in dieser Ordnung seinen Platz.

Und dieses sich wechselseitig befruchtende System schafft sowohl den Raum für die Millionen kleinen Schritte der Wahrheitssuche im täglichen Tun und Streben als auch den Raum für die bahnbrechenden, zunächst nur scheinbar materiell nutzlosen Erfolge der Wissenschaft in Astronomie, Physik und Kosmologie. Und kein Peer Review reicht dabei an die Stringenz, ja die Gnadenlosigkeit des Wettbewerbs und des Marktes heran. Eine Theorie, die falsch ist, kann kein funktionierendes Produkt hervorbringen, das Nutzen stiftet. Es wird also keinen Markt finden, jedenfalls nicht auf Dauer. Der Markt sortiert die Lüge aus. Der Markt ist der ultimative Test einer Theorie, auf deren Grundlage ein Produkt entsteht, ihr härtester Peer Review.

Und der Markt ermöglicht jedem Menschen die Teilhabe an der Suche nach Wahrheit. Ein Handwerker, der eine kleine Lösung für ein Problem findet, das viele Menschen haben, wird damit nicht nur wirtschaftlichen Erfolg haben, sondern er ist unmittelbar an der gewaltigen Reise der Menschheit auf der Suche nach Wahrheit beteiligt. Er hat der gewaltigen Kette von großen und kleinen Erfindungen und Entdeckungen ein kleines Wegstück hinzugefügt und ein Stück Wahrheit entdeckt. Und umso mehr kleine Stücke der Wahrheit wir finden, desto größer werden die Möglichkeiten auf der Suche nach mehr Wahrheit. Ein einstmals kleiner Handwerker namens Zeiss schuf die Optiken, die erforderlich waren, um die allgemeine Relativitätstheorie und ihre Schlussfolgerungen der Beugung der Raumzeit als Erklärungsmodell der Schwerkraft zu beweisen, indem man bei einer Sonnenfinsternis Sterne am Rand der Sonne beobachten konnte, die eigentlich hinter ihr verborgen sein sollten.

Und welche Rolle spielt der Staat? Sie ist einfach zu erkennen an einem Triumph der Wissenschaft: der Entdeckung der Atomenergie. Entdeckt wurde sie von freien Individuen. Der Staat nutzt sie, um eine Bombe zu bauen, eine Massenvernichtungswaffe. Die Privatwirtschaft baut Kraftwerke damit. Damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Religion, Wissenschaft und Marktwirtschaft sind keine Antagonisten. Sie sind verbundene Teile einer gewaltigen, immer weiterwachsenden Maschine für die Suche nach Wahrheit. Wir müssen sie nur machen lassen und den Staat draußen halten.


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