13. Januar 2024 23:00

Schengenraum Reisefreiheit für Haki und Lule

Europa öffnet sich für Kosovaren

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: GagoDesign / Shutterstock Besser spät als nie: Ab dem 1. Januar 2024 dürfen auch kosovarische Bürger visumfrei in den Schengenraum einreisen

Seit dem 1. Januar können die Bürger des Kosovo visumfrei in die Schengenzone reisen. Endlich, möchte man sagen! Denn bereits 2018 erfüllte das Kosovo alle Kriterien, um beim visumfreien Reiseverkehr mit Mazedonien, Serbien und nicht zuletzt Albanien gleichgestellt zu werden. Dass so viele Kosovaren in den vergangenen Jahren versucht haben, sich albanische Pässe zu besorgen, braucht nun wirklich niemand verwundern und noch viel weniger empören. 

Auf die schwierige Situation von Kosovo-Staatsbürgern ohne Zweitpass bin ich zum ersten Mal in Albanien aufmerksam geworden. Kurz vor unserer Abreise dort verließ auch einer unser besten Freunde Tirana, um in Zukunft mit seiner Freundin in Pristina zu leben. Als ich ihn einlud, uns doch in Deutschland besuchen zu kommen, winkte er enttäuscht ab. Seine Freundin habe keinen albanischen Pass, nur den kosovarischen und könne damit fast nirgendwo ohne Visum hinreisen. Visaanträge von Bürgern des Kosovo für den Schengenraum seien zeit-, kosten und bürokratieaufwendig und würden auch dann nur selten bewilligt, meinte er damals.

Alle Argumente, die gegen die Visumliberalisierung vorgebracht werden, sind kollektivistischer Natur. Da ist Spanien darauf erpicht, in Sachen Sezession auch nur den Anschein eines Präzedenzfalls zu vermeiden, weswegen Madrid lange die Reisefreiheit für Kosovo-Bürger blockiert hatte. Bis zuletzt war nicht klar, ob Spanien ausschert und bei der Anerkennung von Kosovo-Pässen einen Sonderweg geht. Doch zu Jahresbeginn stellte Premierminister Pedro Sánchez klar, dass Bürger des Kosovo auch in Spanien willkommen seien. Allerdings natürlich nicht ohne, den Blick nach Barcelona gerichtet, wortreich zu betonen, dass damit keine Anerkennung der Republik Kosovo einhergehe. 

Frankreich und die Niederlande hingegen fürchteten eine neue Einwanderungswelle vom Balkan. Komisch, denn dieselben Bedenken hätten folgerichtig eigentlich auch das noch ärmere Mazedonien disqualifizieren müssen, in dem übrigens auch jeder vierte Einwohner Albaner ist – von der Republik Albanien ganz zu schweigen. Ähnlich wie die Regierungen in Paris und Den Haag argumentiert auch die AfD-Fraktion im Bundestag, die vor „einer Armutsmigration in die deutschen Sozialsysteme“ warnte, „weswegen die Beibehaltung der Visumpflicht im deutschen nationalen Interesse wäre“. Zunächst mal ganz grundsätzlich: Wer es nötig hat, seine Forderungen mit „nationalem Interesse“ zu begründen, hat selten die besten Argumente auf seiner Seite. Gott sei Dank konnte sich die Partei mit diesen Einwänden nicht durchsetzen. Dass vielleicht die Sozialsysteme das Problem sind und nicht die Einwanderung in diese, ist scheinbar eine Erkenntnis, die in der Partei ein immer stärkeres Schattendasein fristet. Ich frage mich, ob den Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion eigentlich klar ist, wie viele albanische Krankenschwestern und Ärzte bereits in deutschen Kliniken arbeiten und dort den Betrieb aufrechterhalten. So viele, dass sie zu Hause schmerzlich vermisst werden. Ich dachte immer, sowas fällt unter nationales Interesse für Leute, die ständig von nationalem Interesse quaken. 

Wer beim Thema Einreise und Einwanderung den Blick auf das Individuum richtet, kann sich über die Visa-Liberalisierung eigentlich nur freuen. Erstmals können jetzt viele Kosovaren Familienangehörige in Europa besuchen, die Ende der 90er Jahre nach Europa geflohen sind. Viele werden sich den Traum erfüllen und einmal Paris oder Berlin besuchen. Und manche von ihnen werden versuchen, hier Fuß zu fassen, wobei vielen besonders die Sprache zum Fallstrick werden dürfte. Na und? Natürlich sollen sie es versuchen dürfen, auch wenn ich mit vielen Menschen auf dem Balkan nicht übereinstimme, dass das Leben in Deutschland besser sei als vor Ort in der Region. Aber wo jemand leben will, ist natürlich auch eine sehr persönliche Entscheidung, bei der Staaten den Menschen leider viel zu viele Steine in den Weg legen. Es ist übrigens ziemlich heuchlerisch, als Besitzer eines deutschen Passes anderen dieselbe Reisefreiheit vorenthalten zu wollen, die man selbst ab der Geburt genossen hat, weil man zufällig auf einem bestimmten Stück Land als Kind bestimmter Eltern das Licht der Welt erblickt hat, alles ganz ohne eigenes Zutun. Ein Pass, mit dem Sie visumfrei in über 170 Länder der Welt reisen können und der in der VisaGuide-Rangliste der besten Pässe auf Platz zwei liegt. Zum Vergleich: Der Kosovo-Pass stand vor der Liberalisierung auf Position 188 von 199 Staaten. Durch die neu gewonnene Freiheit, in den Schengenraum zu reisen, schoss der Pass dann zu Jahresbeginn in der Rangliste immerhin auf Platz 98. Zuvor konnten die Kosovaren nur in weniger als 20 Länder visumfrei reisen.

Nun sollen dieses Jahr auch Bulgarien und Rumänien der Schengenzone beitreten. Während bei den politischen Rechten dabei Bedenken hinsichtlich Einwanderung und Kriminalität laut werden, feiert die politische Linke dies als einen Meilenstein europäischer Integration und Erweiterung des freien Reiseverkehrs. Ich würde Ihnen gerne eine dritte Sicht offerieren. Die Schengenzone ist etwas ganz Tolles für alle, die den Pass eines Schengenstaates besitzen: Reisefreiheit von Spitzbergen bis Sizilien. Super! Doch für Nicht-EU-Ausländer erschwert Schengen die Situation erheblich. Denn die 90 Tage Aufenthaltsrecht gelten nicht mehr nur für ein Land, sondern für den gesamten Schengenraum. Und mit jeder Schengen-Erweiterung werden die Optionen für Nicht-EU-Bürger weniger. Das ist ein Grund, warum Sie am Balkan mittlerweile so viele US-Amerikaner treffen. Es ist die einzige verbliebene Region in Europa, wo sie, ohne kostspielige und zeitaufwendige Aufenthaltsgenehmigungen beantragen zu müssen, leben können. Eben weil sie 90 Tage Aufenthalt in Montenegro bekommen, 90 Tage in Bosnien-Herzegowina, 90 Tage in Serbien, 90 Tage im Kosovo und in Albanien sogar ein ganzes Jahr. Übrigens eine sehr intelligente Strategie der albanischen Regierung. Ansonsten ist mir nur noch Georgien bekannt, das nicht nur US-Amerikanern, sondern sogar EU-Bürgern unilateral einen Aufenthalt von einem Jahr gewährt. Entsprechende Alleingänge oder Visa-Ausnahmen sind Schengenstaaten gar nicht möglich. 

Ich habe keinerlei Bedenken hinsichtlich bulgarischer und rumänischer Einwanderung. Meine Frau hat jahrelang in Bulgarien gelebt und schwärmt mir jeden Tag von den Menschen dort vor, die sich auch während Covid nie in dem Maße haben gleichschalten lassen wie so viele Menschen in Deutschland und Österreich. Bulgarien und Rumänien haben mit die niedrigsten Covid-Impfquoten in Europa, die Menschen dort scheinen also zumindest in der breiten Masse stärker in der Lage zu sein, sich ihres gesunden Menschenverstandes zu bedienen als hier. Staatskritischer sind sie allemal. Bulgarische, rumänische und albanische Einwanderung würde Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell guttun. Doch die Öffnung innerhalb Europas scheint mir nicht genug, vor allem nicht, um die besten Expats ins Land zu holen. Ich sehe keinen Grund, warum Nicht-EU-Ausländer nicht auch in den Genuss von zumindest einem einjährigen Aufenthalt in der Schengenzone kommen sollten. Das gäbe einem Amerikaner oder Kanadier oder Australier dann auch die Chance, Europa einmal wirklich kennenzulernen – drei Monate in Deutschland zu leben, drei in Frankreich, vielleicht zwei in Italien und einen in Österreich. Danach hat man ja auch einen viel besseren Eindruck davon, wo man sich gern niederlassen möchte. Und vielleicht kehrt der ein oder andere danach ja auch desillusioniert von Europa ins jeweilige Heimatland zurück. 

Ich habe früher auch zu denen gehört, die sich Angst haben machen lassen vor Einwanderung. Heute sehe ich das wesentlich entspannter. Die überwältigende Mehrheit kommt nicht mit kriminellen Absichten oder um den Sozialstaat auszunehmen, sondern ist auf der Suche nach einem besseren Leben für sich oder die eigene Familie. Dass das oft nicht klappt, kann man niemandem zum Vorwurf machen, genauso wenig wie die Tatsache, dass der deutsche Sozialstaat in diesem Fall Anreize für den Verbleib statt für die Heimreise setzt. Einwanderung ist nichts Lineares, was manche suggerieren, die regelmäßig die demographische Katastrophe an die Wand malen. Noch vor 30 Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Amerikaner, Briten und Deutsche nach Bosnien, Albanien oder Mazedonien auswandern. Einwanderung ist keine Einbahnstraße mehr. Vielleicht werden schon in weiteren 20 Jahren mehr Deutsche in den Kosovo und nach Albanien auswandern als Albaner nach Deutschland. Ich könnte mir das jedenfalls gut vorstellen. Auch sei daran erinnert, wie US-Konservative es jahrzehntelang so dargestellt haben, als steige die mexikanische Einwanderung unaufhörlich weiter an, bis dann zwischen 2009 und 2019 eine ganze Dekade lang plötzlich mehr Mexikaner das Land verlassen haben, als neu eingewandert sind. Und ist es nicht super, dass sich heute so viele, auch dank der englischen Sprache, die die Menschen zusammenbringt und Kommunikation ermöglicht, aussuchen können, welcher Fleck auf Gottes schöner Erde ihnen am besten zum Leben taugt, ganz unabhängig von willkürlich gezogenen nationalen Grenzen? 

Das können jetzt, zumindest für 180 Tage pro Jahr, auch Kosovaren in Europa, zumindest wenn sie über das nötige Kleingeld verfügen. Nicht allerdings die Kosovo-Serben. Deren Pässe werden von einer speziellen Abteilung des Belgrader Innenministeriums herausgegeben, die von der Liberalisierung, anders als der reguläre serbische Pass, ausgenommen ist. Dass dies auch so bleiben soll, fordert jetzt ausgerechnet die kosovarische Regierung, die gerade eben noch dasselbe Recht für die albanische Mehrheit eingefordert hatte. Damit würde der kosovarische Pass umgangen „und die von uns gemeinsam unternommenen Integrationsbemühungen" beeinträchtigt, warnt der stellvertretende Ministerpräsident Besnik Bislimi. Nur um das für Sie zu dechiffrieren: Mit Integrationsbemühungen meint die kosovarische Regierung die Unterdrückung und Gleichschaltung der Kosovo-Serben und deren zwangsweise Eingemeindung in die Republik Kosovo.

Der Umgang der Regierung in Pristina mit der serbischen Minderheit ist schändlich – auch immer wieder ein Argument, das gegen die Liberalisierung angeführt wurde. Dieselben Autonomierechte, für die Kosovaren damals gegen Milošević aufgestanden sind, spricht die kosovarische Regierung nun einer anderen Minderheit ab. Das ist eine faire Kritik. Doch verantwortlich dafür ist nicht Haki aus Prizren oder Lule aus Gjilan, sondern das offizielle Pristina. Wenn man irgendjemand die Reisefreiheit aus politischen Gründen beschneiden sollte, dann bitte die von Vjosa Osmani, Albin Kurti und Besnik Bislimi. Und nicht die von Haki und Lule, die im Zweifel genauso unter ihrer Regierung leiden wie Goran aus Nord-Mitrovica.


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