10. Februar 2024 23:00

Forderung nach Einreiseverbot Offene Grenzen auch für Carlson und Sellner

EU-Politiker drohen US-Journalisten

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: L.E.MORMILE / Shutterstock Ob im Gespräch mit Trump oder Putin: Der US-Journalist Tucker Carlson polarisiert gewaltig

Tucker Carlson ist kein Libertärer. Im Gegenteil. Für eine „libertäre Phase“, die er einmal in seinem Leben hatte, schäme er sich heute zutiefst, so der ehemalige Fox-News-Moderator. Staatlichem Dirigismus in der Wirtschaftspolitik ist Carlson nicht abgeneigt. Autonomes Fahren von Lastkraftwagen möchte er zum Beispiel am liebsten ganz verbieten – nicht aus Sicherheitserwägungen, sondern weil dadurch amerikanische Arbeitsplätze verloren gingen. 

Dennoch legt Carlson oft den Finger in die Wunde und tut das, was für einen Journalisten eigentlich selbstverständlich sollte: Er stellt Fragen. Und oft die richtigen. Die vielen Löcher, die er in das bizarre offizielle Narrativ des „Sturms auf das Kapitol“ vom 6. Januar 2021 bohrte, führten schließlich auch dem letzten nicht völlig Verblendeten vor Augen, dass es sich eben nicht um einen Putschversuch, sondern um eine große staatliche Inszenierung handelte. Deren Opfer Carlson auch gebührend zu Wort kommen ließ, wie etwa den Witwer der an diesem Tag im Kapitol von einem schießwütigen Polizisten ermordeten unbewaffneten Trump-Anhängerin Ashley Babbitt. Dass Carlson dabei auch nicht vor deutlicher Kritik am größten Idol seiner Zuschauergemeinde, Donald Trump, zurückschreckt, verleiht ihm noch zusätzliche Glaubwürdigkeit. 

Und auch außenpolitisch sagt Carlson Dinge, die vor allem im Kontrast zu den vielen Wortmeldungen durchgeknallter Kriegstreiber im politisch-medialen Washington wohltuend abwägend und rational klingen. Nach seinem erzwungenen Abgang bei Fox News im April 2023 steht Carlson nun erneut im Zentrum der Aufmerksamkeit. Grund: Ein Interview mit dem „Gott sei bei uns“ Vladimir Putin. Seinen Gang nach Moskau begründete Carlson mit den Worten: „Wir sind Journalisten. Es ist unsere Pflicht, die Menschen zu informieren.“ Hillary Clinton nannte Carlson daraufhin „einen nützlichen Idioten“.

Carlsons Ankündigung rief freilich dann auch in Europa gleich jene auf den Plan, die schon bisher nicht unbedingt mit Respekt vor Meinungs- und Pressefreiheit aufgefallen sind. Der frühere belgische Premierminister und langjährige EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt etwa forderte als Konsequenz ein EU-Einreiseverbot für Carlson, den er gegenüber „Newsweek“ als „Sprachrohr Putins“ bezeichnete. „Da Putin ein Kriegsverbrecher ist und die EU alle sanktioniert, die ihn dabei unterstützen, erscheint es mir logisch, dass der Auswärtige Dienst auch seinen Fall untersuchen sollte.“ Ähnlich argumentiert der frühere estnische Außenminister Urmas Paet, der ebenso wie Verhofstadt derzeit EU-Abgeordneter ist. „Für solche Propaganda eines kriminellen Regimes“ könne man auf der Sanktionsliste landen, drohte er Carlson, noch bevor dieser das Interview auf der Plattform „X” öffentlich gemacht hatte.

Um sich dabei selbst noch für liberal, tolerant und pluralismusbejahend zu halten, müssen Verhofstadt und Paet natürlich einige Verrenkungen unternehmen und sich auf den Standpunkt stellen, Carlson sei in Wirklichkeit kein Journalist, sondern ein rechter putinhöriger Aktivist. Aber das ist ein persönliches Werturteil. Genauso wie ich niemanden als Journalisten bezeichnen würde, dessen Arbeitsverständnis sich darin erschöpft, unreflektiert Regierungspropaganda für eine stetig schrumpfende und alternde Leser- und Zuseherschaft wiederzukäuen. Und dennoch würde ich nie ein Einreise- oder Berufsverbot für diese Leute unterstützen wie Verhofstadt und Paet es tun, nur weil jemand Dinge sagt, schreibt oder Interviews mit Menschen führt, die mir vielleicht nicht passen. Und schließlich hat ja auch niemand Einreiseverbote für jene Journalisten gefordert, die 2003 George W. Bush, Dick Cheney und Donald Rumsfeld „eine Plattform geboten“ haben.  

Inhaltlich ist ein Großteil der Kritik an Carlsons Putin-Interview berechtigt. Es war geradezu peinlich, wie sich Carlson von Putin vorführen ließ und gleich zu Anfang einem halbstündigen Monolog des Kreml-Despoten wie ein Schuljunge lauschte, nur unterbrochen von seinem aufgesetzten amerikanischen Show-Grinsen. Danach wurde es zwar etwas besser, aber dennoch: Eine journalistische Sternstunde war das nicht. Das von der „Bild“-Zeitung herbeigeredete „Skandal-Interview“ allerdings auch nicht. 

Am Ende kommt es nicht darauf an, ob jemand in einer Branche arbeitet, die in westlichen Verfassungen noch mal ausdrücklich erwähnt und geschützt wird oder ob jemand mit einem offiziellen Presseausweis durch die Gegend rennt. Auch ein politischer Aktivist, der im Ausland für seine Sache werben will, muss dies tun können, ohne mit Zensur und Einreiseverboten belegt zu werden. Schockiert war ich in diesem Zusammenhang vor allem über die Häme, mit der die Debatte über ein mögliches Einreiseverbot für Martin Sellner im Zuge der lächerlichen Wannsee-Medienposse begleitet wurde. Wer sich in diesem Moment in der Sache nicht mit Martin Sellner solidarisieren kann, nur weil ihm dessen migrationskritische Ansichten nicht passen, muss sich als Liberaler oder gar Libertärer schon einen Mangel an Prinzipientreue vorwerfen lassen. Genauso wie die Grenzen für einen friedlichen Syrer auf der Suche nach einem besseren Leben offen sein sollten, müssen sie auch für Tucker Carlson, Martin Sellner oder andere rechte Regierungskritiker offen sein. Einreiseverbote, um unliebsame Regierungskritiker fernzuhalten, sind immer ein gefährlicher Präzedenzfall, ganz egal, wer davon betroffen ist.


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