02. September 2023 13:00

Inflation Was kosten uns die öffentlichen Güter?

Eine verzerrte Statistik

von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)

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Bildquelle: Medical-R / Shutterstock Preisinflation auch bei öffentlichen Gütern wie medizinische Versorgung: Wobei hier beispielsweise immer längere Wartezeiten noch nicht mal berücksichtigt sind …

Die offizielle Inflationsstatistik ist verzerrt. Substitutionseffekte und Qualitätsveränderungen sind Probleme, die die Statistik selbst mit den aufwendigsten Methoden nicht objektiv lösen kann. Es könnte sein, dass der harmonisierte Verbraucherpreisindex die Inflation überschätzt. Es gibt aber auch gute Argumente, die auf eine Verzerrung nach unten hindeuten. Vielleicht sind die Fehler bei der Messung der Konsumentenpreisinflation auch vernachlässigbar klein. Aber selbst, wenn wir annehmen, dass die amtliche Statistik eine unverzerrte Durchschnittsinflation für all jene Güter ausweist, die im Index enthalten sind, ergeben sich Probleme.

Die offiziellen Inflationszahlen sind keinesfalls repräsentativ für die allgemeinen Preissteigerungen in der Volkswirtschaft. Richtet man den Blick auf Güter und Dienstleistungen, die im Index gar nicht erst erfasst werden, so erscheint die Richtung der Verzerrung unstrittig. Und ihr Ausmaß ist erheblich. Die amtliche Statistik beschönigt das Inflationsproblem.   

Ein Beispiel liefern die sogenannten öffentlichen Güter. Sie werden vom Staat bereitgestellt. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) erfasst ausschließlich die Preisentwicklung von Gütern des privaten Konsums. Alle Ausgaben, die der Staat für Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Verteidigung und vieles mehr tätigt, bleiben unberücksichtigt. Zwar gibt es auch Unterkategorien wie „Bildung“ und „Gesundheit“ im HVPI. Hier werden aber nur die zusätzlichen privaten Ausgaben beachtet. All das, was der Staat für derartige Güter und Dienstleistungen ausgibt, wird ausgeklammert. Das erklärt warum „Bildung“ und „Gesundheit“ im Gesamtindex für Deutschland zum Beispiel nur 0,8 Prozent und 5,6 Prozent ausmachen. Gesamtgesellschaftlich geben wir deutlich mehr für beides aus. Der Großteil wird allerdings öffentlich finanziert und spielt deshalb keine Rolle für die amtliche Inflationsstatistik.

Wenn man die mögliche Preisinflation bei öffentlichen Gütern messen möchte, stellt sich ein Problem. Öffentliche Güter werden nicht wie andere Güter auf Märkten gehandelt. Es gibt keinen Marktpreis für das Studium an einer staatlichen Universität. Es gibt keine Marktpreise für die meisten medizinischen Dienstleistungen. Wie lassen sich also Preissteigerungen bei öffentlichen Gütern überhaupt messen?

Zwar bezahlen Haushalte nicht direkt für öffentliche Güter, aber sie zahlen indirekt über Steuern und Abgaben. Man kann also argumentieren, dass die Gesamtsteuerlast den Preis für alle vom Staat bereitgestellten öffentlichen Güter darstellt. Betrachtet man die Gesamtsteuereinnahmen des Staates als den Preis für das Gesamtpaket an öffentlichen Gütern, so erspart man sich auch die müßige Abwägung, wie einzelne öffentliche Güter zu gewichten sind.  

Betrachtet man die 19 Länder, die im Jahr 2022 Mitglieder des Euro-Raums waren, so stellt man fest, dass die Steuereinnahmen insgesamt deutlich schneller gestiegen sind als die Konsumentenpreise – genau genommen seit Einführung des Euros bis 2021 sogar mehr als doppelt so schnell. Der HVPI ist von 1998 bis 2021 insgesamt um 47 Prozent gestiegen, was einer durchschnittlichen jährlichen Inflationsrate von 1,7 Prozent entspricht. Die Gesamtsteuereinnahmen der Länder des Euro-Raums haben sich insgesamt um 99 Prozent erhöht, was einer überproportionalen Preissteigerung von durchschnittlich 3,0 Prozent pro Jahr bei öffentlichen Gütern entspricht.    

Nach dieser Berechnung liegt die Preisinflation bei öffentlichen Gütern also im Durchschnitt 1,3 Prozentpunkte über der Konsumentenpreisinflation. Hierbei wird die Qualität der öffentlichen Güter und Dienstleistungen gedanklich konstant gehalten, auch wenn man nicht selten Beschwerden über Qualitätsverluste vernimmt: abnehmende Qualität der öffentlichen Bildung und Infrastruktur, mangelnde medizinische Versorgung, längere Wartezeiten in Ämtern und Behörden. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Würde man diese Qualitätsverluste berücksichtigen, ergäbe sich eine noch deutlichere Diskrepanz zwischen der Teuerungsrate bei öffentlichen Gütern und der offiziell gemessenen Konsumentenpreisinflation.

Das Gewicht, das den öffentlichen Gütern bei den Gesamtausgaben der Haushalte zukommen müsste, ist zudem enorm. In den 19 Ländern der Euro-Zone machen die Steuereinnahmen mehr als 40 Prozent des Gesamteinkommens, gemessen am BIP, aus. Wir halten fest, dass die steuerfinanzierten öffentlichen Güter den mit Abstand größten Posten im Warenkorb eines durchschnittlichen Haushalts darstellen. Sie steigen überproportional im Preis, werden aber in der amtlichen Statistik nicht berücksichtigt.  


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