20. April 2024 12:00

Ökonomie Die Langzeitfolgen von Inflation

Über Stagnation, Ungleichheit und Verdruss

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Melnikov Dmitriy / Shutterstock Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich: Schürt Neid und Unzufriedenheit

Wir leben im Zeitalter der Inflation. Zwar gibt es Inflation schon seit den Anfängen der Geldwirtschaft, aber kein Wirtschaftssystem hatte es bisher geschafft, die Entwertung des Geldes derart zu institutionalisieren und zu verstetigen wie das System, in dem wir heute leben. Nach den offiziellen Inflationszahlen des amerikanischen Bureau of Labor Statistics hatte ein US-Dollar im August 1971 die gleiche Kaufkraft wie 7,66 US-Dollar im März 2024. Andersherum entspricht die Kaufkraft eines US-Dollars heute der Kaufkraft von gerade einmal 13 Cent im Jahr 1971, als Präsident Richard Nixon die Golddeckung des US-Dollars aufhob.

Was bedeuten diese Zahlen? Der US-Dollar wurde über mehr als die Hälfte eines Jahrhunderts im Durchschnitt um fast vier Prozent pro Jahr entwertet gegenüber den üblichen Konsumgütern eines amerikanischen Haushalts. Es handelt sich hierbei um die offiziellen Inflationszahlen, die lediglich Konsumgüter in Betracht ziehen. Es gab aber mindestens seit den 80er Jahren zusätzlich eine überproportionale Vermögenspreisinflation, etwa bei Immobilien, Aktien und Gold.

Ähnliches lässt sich für Europa konstatieren. Seit der Einführung des Euros im Jahr 1999 haben wir eine durchschnittliche Konsumentenpreisinflation von ziemlich genau zwei Prozent pro Jahr. Damit hat die Europäische Zentralbank im Mittel ihr erklärtes geldpolitisches Ziel genau getroffen. Nebenbei hat man die Immobilien- und Aktienmärkte inflationär aufgeblasen, ohne dass es in der offiziellen Inflationsstatistik berücksichtigt wird. In Frankreich haben sich die Immobilienpreise fast verdreifacht, in Deutschland mehr als verdoppelt. Aktienkurse springen auf immer neue Rekordhochs und scheinen entkoppelt von den realwirtschaftlichen Gegebenheiten. Wir leben in der Tat im Zeitalter der Inflation.

Die langfristigen Folgen von stetiger Inflation sind zahlreich. Sie könnten ganze Bände füllen. Unter diesen Folgen erscheinen insbesondere drei von besonderer Relevanz.

Erstens: Inflation unterminiert das reale Wirtschaftswachstum.

Zwar stimmt es, dass wir kurzfristig durch Inflation die Wirtschaft stimulieren können. Aber was kurzfristig gut erscheint, kann langfristig erhebliche Schäden verursachen. Das weiß jeder halbwegs vernünftige Mensch. Allerdings weiß nicht jeder, dass diese Binsenweisheit auch für Inflation gilt. Innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsstruktur lässt sich durch zusätzliche Inflation fast immer zusätzliche wirtschaftliche Aktivität stimulieren. Ein Herabsenken der Zinsen und ein Ausweiten der Geldmenge vergrößern das Kreditvolumen, die Investitionen und den Konsum. All das beschleunigt kurzfristig den Wirtschaftsprozess. Allerdings verändert eine stetige Inflation über die lange Frist die zugrunde liegende Wirtschaftsstruktur. Investoren, die die Grundlage für Wirtschaftswachstum schaffen, werden ihr Verhalten an die neuen Gegebenheiten anpassen. In einer inflationären Wirtschaft herrschen oft chaotische Zustände. Produktive Investitionen in den Aufbau des realen Kapitalstocks sind deshalb mit größeren Risiken verbunden. Stattdessen kann man sich auf eine Sache verlassen: Die Preise werden steigen und die Preise für existierende Vermögenswerte, wie Immobilien, werden überproportional steigen. Es wird deshalb aus Sicht eines Investors sehr viel attraktiver, bestehende Vermögenswerte aufzukaufen, statt in die Produktion neuer Vermögenswerte zu investieren. Produktive Investitionen werden zunehmend verdrängt und durch spekulative Investitionen, die auf Preissteigerungen abzielen, ersetzt. Wenn die produktiven Investitionen ausbleiben, kann eine Volkswirtschaft real nicht mehr wachsen. Dann lebt sie von der Substanz herunter.

Zweitens: Inflation vergrößert die Ungleichheit.

Die wachsende Nachfrage nach langfristigen Vermögenswerten, die vor Inflation schützen, kann als eine Art Selbstverteidigungsmechanismus verstanden werden. Bei anhaltender Inflation setzt ein kultureller und gesellschaftlicher Lernprozess ein. Die einfachste Form des Sparens ist, etwas Geld auf die hohe Kante zu legen. Je mehr Menschen verstehen, dass diese Strategie nicht mehr fruchtet, desto stärker geraten wir gesamtgesellschaftlich in den Strudel der Vermögenspreisinflation. Immer mehr Menschen kaufen zum Beispiel Immobilien – jedoch nicht, um in ihnen zu wohnen oder sie zu vermieten, sondern schlichtweg, um Ersparnisse zu parken und sie vor Inflation zu schützen. Dies erklärt den großen Wohnungsleerstand in Städten wie London, Paris oder New York City. Die immer größer werdende Nachfrage nach langfristigen Vermögenswerten sorgt dafür, dass Vermögenspreise immer schneller ansteigen und die Einkommen der Menschen hinterherhinken. Vermögende Schichten entfernen sich immer weiter von den unvermögenden Schichten der Gesellschaft. Die stetige Inflation, selbst wenn sie im Durchschnitt moderat ist, jagt einen Keil zwischen Arm und Reich.

Drittens: Inflation fördert Verdruss.

Für Durchschnittsverdiener ohne bestehende Vermögen wird der soziale Aufstieg angesichts einer überproportionalen Vermögenspreisinflation immer schwerer. Zwar stimmt es, dass eine Inflationswirtschaft dem Einzelnen auch viele Chancen bietet. Der Habenichts kann, wenn er nur auf das richtige Pferd setzt, schnell zu großem Reichtum gelangen. Auf das richtige Pferd setzt aber per definitionem niemals die Masse der Menschen. Ihnen hilft die Inflation nicht. Im Gegenteil, der einzelne Glückspilz gelangt ja gerade deshalb zu großem Reichtum, weil die breite Masse innerhalb des Inflationsprozesses verliert. Diese Tendenz hat gravierende Folgen für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. In der Inflationswirtschaft kann der Einzelne auf Kosten anderer reich werden, also ohne, dass er irgendetwas produziert, das aus Sicht anderer einen Wert hat. Dieser Umstand, den viele Menschen intuitiv erahnen, schürt Neid, Missgunst und Verdruss. Diese niederen Gefühle richten sich in der Tendenz allerdings gegen alle, die es zu Vermögen bringen, auch gegen jene, die ihr Vermögen zum Großteil aus produktiver Tätigkeit erlangen. Es ist oft unmöglich zu erkennen, wie viel eines Vermögens aus produktiver Tätigkeit entspringt und wie viel aus inflationärer Umverteilung. Neid, Missgunst und Verdruss richten sich undifferenziert gegen alle Vermögenden. In der Gesellschaft werden die selbstzerstörerischen Kräfte gefördert, die über die Politik zu voller Entfaltung gelangen.    

Karl-Friedrich Israel (2023): Die Geldpolitik erschwert den Vermögensaufbau: Wie können wir dem trotzen? Vortrag auf der ef-Lebensunternehmerkonferenz.       


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