Ukraine: Erst die Bewaffnung der Bevölkerung und jetzt eine Steuerreform
Warum brauchte es ausgerechnet den Krieg für gute Reformen?
von Sascha Koll
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verkündete am Dienstag, den 15. März 2022, die Beschlussentwürfe der Regierung zur Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft. Diese sollen dazu dienen, Unternehmen und Beschäftigung vor Ort aufrechtzuerhalten. Mich erstaunt, was in Krisenzeiten möglich ist und unter normalen Umständen für unmöglich oder gar utopisch gehalten wurde.
Zunächst schlägt Selenskyj eine Steuerreform vor: „Anstelle der Mehrwertsteuer und der Einkommenssteuer geben wir einen Satz von zwei Prozent des Umsatzes und eine vereinfachte Buchführung vor. Für kleine Unternehmen […] führen wir die freiwillige Zahlung der Einheitssteuer ein. Mit anderen Worten: Zahlen Sie, wenn Sie können, aber wenn Sie nicht können, gibt es keine Fragen.“
Der zweitwichtigste Punkt ist die weitestgehende Deregulierung der Wirtschaft. „Wir heben alle Kontrollen für alle Unternehmen auf, damit jeder normal arbeiten kann, damit die Städte wieder zum Leben zurückkehren können, damit das Leben in allen Orten, in denen nicht gekämpft wird, weitergehen kann. Es gibt nur eine Bedingung: Sie müssen den normalen Betrieb ihrer Geschäfte im Rahmen der ukrainischen Gesetzgebung gewährleisten“, sagte Selenskyj.
Die ersten zwei Maßnahmen hin zu mehr freier Marktwirtschaft sollen erst der Anfang sein.
Warum brauchte es erst den Krieg, um eine solche Reform zu bringen? Wenn solch eine Reform in Krisenzeiten nützlich ist, müsste sie in guten Zeiten doch umso besser funktionieren. Dies ist doch ein Eingeständnis, dass die Belastungen eigentlich zu hoch und die Bürokratie zu aufwendig sind, um effizient zu wirtschaften. Liegt es daran, dass der Staat beziehungsweise die Bürokratie gerade handlungsunfähig ist, anderes zu tun hat und daher die Bevölkerung nicht effizient ausgeraubt und drangsaliert werden kann? Ist man sich doch dessen bewusst, dass Staatseingriffe in die Wirtschaft schädlich sind? Oder liegt es daran, dass die Bevölkerung gerade Waffen in die Hand bekommen hat? Wenn man Gutes unterstellen will, sieht die Regierung, dass die Menschen unter dem Krieg leiden, und will ihnen zusätzliche Lasten abnehmen. Über das „Warum?“ lässt sich viel spekulieren.
Die Wirtschaftsreform ist nicht die erste vernünftige Idee von Selenskyj. Gleich bei Ausbruch des Krieges wurden die Bürger bewaffnet. In Kiew wurden allein 25.000 automatische Waffen und zehn Millionen Schuss Munition ausgegeben. Auch die deutsche Presse feierte diese Nachricht, was ich bemerkenswert fand, denn für gewöhnlich ist man auf die Idee einer bewaffneten Bevölkerung nicht gut zu sprechen. Es scheint, als sei die Abwehr gegen einen anderen Staat als legitim anerkannt, aber solle die Wehrhaftigkeit gegen den eigenen Staat weiterhin verhindert werden.
Zur Bewaffnung durch die Regierung kamen für die Zivilbevölkerung noch weitere Handlungsempfehlungen zur Verteidigung. So sollten ukrainische Zivilisten Molotowcocktails herstellen, die sie gegen Aggressoren einsetzen könnten. Der Innenminister Denys Monastyrskyj sagte, er sei stolz, wenn er sehe, wie die Menschen ihre Städte, Dörfer, Straßen und Häuser verteidigten: „Sie organisieren sich selbst, es gibt keine Plünderungen oder Raubüberfälle.“ Im Überfall scheint die Regierung doch froh zu sein, wenn die Bevölkerung wehrhaft ist. Es zeigt sich ebenfalls, dass die Zivilbevölkerung durchaus in der Lage ist, sich vor Ort zu verteidigen, mit Schusswaffen, selbst gebauten Brandbomben und List. Sie entfernten Straßenschilder, um den Angreifern die Navigation zu erschweren. Ebenso ließen sie Truppen durchbrechen und verhinderten dann den Nachschub, wodurch die diese dann mittellos und leichter zu besiegen waren.
Ebenso zeigt Bitcoin mal wieder, dass es das bessere Geld ist. Während Bankfilialen teilweise keine Banknoten mehr ausgeben können, ist das Bitcoin-Netzwerk und damit die Zahlungsabwicklung von A nach B weiterhin verfügbar. Das Spendenaufkommen in Kryptowährungen liegt mittlerweile bei einer Summe von 40 Millionen Euro. Die Spenden kommen schnell, zuverlässig und unzensiert dort an, wo sie hinsollen, und das gänzlich, ohne darauf angewiesen zu sein, ob Banken in der Ukraine überhaupt noch handlungsfähig sind. Von den Spenden werden Medikamente, Lebensmittel, aber auch Drohnen und Helme für die Soldaten gekauft.
Ein weiteres Feld, auf dem die Privatwirtschaft punkten konnte, ist die Versorgung mit Netzzugängen. Wo die Infrastruktur am Boden zerstört ist, bietet Elon Musk seine Satelliten-Plattform Starlink an. Dazu brachte sein Unternehmen SpaceX fünfzig weitere Satelliten in den Erdorbit und passte die Firmware der Sende- und Empfangsstationen am Boden an, um den Spitzenstromverbrauch zu senken, sodass die Endgeräte an einem Zigarettenanzünder in Autos betrieben werden können.
Abschließend lässt sich feststellen, dass vieles möglich ist, wenn man nur will: Bürokratie abschaffen, Steuern senken und sogar freiwillig stellen, der Bevölkerung den Besitz von Waffen erlauben und ihnen Handlungsspielraum bei der Verteidigung lassen. Auch technische Innovationen wie Bitcoin und Starlink können wieder unter Beweis stellen, was sie zu leisten in der Lage sind. Warum also noch in zentralen Strukturen denken und nicht die Lösung in dezentralen Innovationen sehen? So auch in dezentraler Selbstregierung und Sezession bis hin zum Individuum. Separatisten wären gar kein Problem mehr, da ihnen freistünde, welcher Gesellschaftsordnung sie sich anschließen wollen, und keine Notwendigkeit für eine gewaltvolle Abspaltung bestünde. Einen Lichtblick in diese Richtung stellt Frankreich gerade dar, das sich nach schweren Unruhen auf der Mittelmeerinsel Korsika bereit zeigt, derselben ein richtiges Autonomiestatut zu gewähren.
Aber ohne Staat – wer verbietet mir dann die Flak auf meinem Hochhaus?
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