Der Staat ist nicht dein Freund: Ist die libertäre Community zu passiv?
„Kriegt eure Ärsche hoch, verdammt“
von Sascha Koll
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Ursprünglich dachte ich mir, ich schreibe diese Woche über unseren Freedom Day, der nicht gefeiert wurde und vielleicht auch gar nicht feierwürdig ist. Oder aber über den Grund, nicht feiern zu können: die Impfpflicht ab 60 Jahre, die sich als Impfpflicht ab 18 Jahre herausstellt und von der man sich durch die Teilnahme an einem Beratungsgespräch befreien kann. Doch auch hier ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Möglichkeit zur Befreiung aus dem Gesetz gestrichen und die Impfpflicht ab 18 Jahre scharf geschaltet wird. Aber dann fand ich einen flammenden Appell auf Telegram, der mit „Kriegt eure Ärsche hoch, verdammt“ endete.
„Der Staat ist nicht dein Freund OFFICIAL #dsindf“ nennt sich ein Telegram-Kanal mit über 9.000 Abonnenten. Sein Betreiber schrieb zunächst eine Nachricht, die ich zu 100 Prozent unterschreiben kann: „Herrschaftsglaube hat das alles gemacht. Fürsprechung für Staat ist Fürsprechung für unmoralisches Verhalten (Eigentumsverletzung, Zwang und Gewalt). Welche andere Entwicklung sollte unmoralisches Verhalten sonst nehmen? Profiteure von unmoralischem Handeln werden alles tun, um unmoralisches Handeln zu relativieren. Der Staat ist nicht dein Freund und Moral ist objektiv. Schädigendes Handeln ist immer unmoralisch. Egal, wer es vollzieht.“
Darauf folgte eine Sprachnachricht in einer Länge von 18 Minuten. Er adressiert alle, die sich Libertäre, Anarchisten und Voluntaristen nennen. Er spricht seine Enttäuschung darüber aus, dass sich in den sozialen Medien den ganzen Tag über „Politik-Kotze“ aufgeregt wird und sehr viele aus der deutschen libertären Community das Kind nicht beim Namen nennen und stattdessen etatistisch herumschwurbeln. Das Kind heißt „Herrschaftsglaube“, wie im vorherigen Statement klar festgestellt wurde. Er will, dass wir das aussprechen. Um ehrlich zu sein triggert mich diese Anspruchshaltung schon etwas. Ich erinnere mich da an ein Bild von einem Graffiti das „Spread Anarchy“ aussagte, und von jemanden durchgestrichen und mit „Don’t tell me what to do!“ beantwortet wurde. Auch wenn der Sprecher der Nachricht sehr energisch dazu auffordert, kann man dies aber auch als Handlungsempfehlung auffassen. Denn wenn man das Ziel eines freiheitlichen Miteinanders verfolgt, sollte man auch klar kommunizieren, woran es tatsächlich scheitert: Der Staat setzt alles mit Zwang, Gewalt und deren Androhung um, er handelt stets unmoralisch. Dieser Fakt wird von vielen verdrängt oder verleugnet und die, die es verstanden haben, kommunizieren es nicht ausreichend.
Weiter spricht er diejenigen an, die von dem gewalttätigen Umstand, in dem wir uns befinden, profitieren: Unternehmer, die Staatsaufträge bekommen, und direkte Staatsangestellte, die zwar verstanden haben, dass Steuern Raub sind und dass sie eben von diesem Raubgeld leben, aber nicht aus ihrer Komfortzone herauskommen, auf ihre Privilegien nicht verzichten wollen und sich keinen neuen Job suchen. Das hört sich jetzt erst mal hart an, aber der Kanalbetreiber schildert, dass er selbst in der Situation gewesen sei und entsprechend konsequent gehandelt habe. Ich erinnere mich auch an einen Beitrag, den ich vor einer Weile begonnen und noch nicht fertiggestellt habe, der den Titel „Unterstützt auch du Raub, Mord und Unterdrückung?“ tragen sollte. Dieser hat nicht die Seite der Steuerempfänger, sondern die der Steuerzahler im Visier. Schlussendlich muss jedem, der Steuern zahlt, bewusst sein, dass er den Unterdrückungsapparat und damit seine eigene und die Unterdrückung anderer aktiv finanziert.
Ich kann seinen harten Standpunkt sehr gut nachvollziehen. Für mich sind Wähler Anstifter, Steuerzahler Finanzierer der Unterdrückung und Profiteure des Systems Moralverweigerer. Ebenso kann ich seine Enttäuschung darüber verstehen, dass lieber nur mit Lach-Emojis statt mit klaren Worten der Ablehnung kommentiert wird. Ihm würde es schon reichen, wenn einfach mal 20.000 Freiheitsgeister unter jedem Betrag oder Video „Herrschaftsglaube hat das gemacht“ kommentierten.
Der Betreiber ist sich nicht sicher, ob man einfach zugucken kann, wie das System ökonomisch vor die Wand fährt und danach die Freiheit ausbricht. Den Eindruck teile ich. Ich denke, dass die Herrscher noch den ein oder anderen Bullshit aus dem Ärmel schütteln werden, um das System, von dem sie profitieren, künstlich am Leben zu halten. Wenn man sich den täglichen politischen Mist schon antut, kann man doch mal die Finger über die Tastatur gleiten lassen und die Menschen über das aufklären, was gerade vonstattengeht. Nur so schafft man eine Basis für eine freiheitlichere Welt. Wer nur zuschaut und nicht aufklärt, ebnet den Weg für die Tyrannen, die medial präsenter sind und damit die Meinungshoheit stellen.
Außerdem stellt er noch mal heraus, dass es vielleicht unser Ziel sein sollte, nicht den Bäcker, den Bauarbeiter oder den Kassierer, sondern die Leute, die in ihren Amtsstuben sitzen, von ihrem unmoralischen Handeln zu überzeugen. Sie werden versuchen, es zu verdrängen, da sie unmittelbar betroffen und Profiteure der Unterdrückung sind, aber nur sie sind in der Lage, das System von innen zerbrechen zu lassen. Man stelle sich mal vor, diese Leute würden der Reihe nach aufhören, für den Staat zu arbeiten. Sie würden ihn handlungsunfähig machen. Hier verweise ich noch mal auf meinen Beitrag „Wenn wir die Nachfrage geändert haben – Wie bekommen wir Polizisten dazu zu desertieren?“ vom 24. Februar. Wir müssen diesen Menschen vermitteln, dass es scheiße ist, von erpresstem Geld zu leben, und dass unmoralisches Verhalten wie Gewalt und Raub nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass man davon eine Straße oder einen Kindergarten bauen will. Der Sprecher sagt absolut richtig: „Es ist so absurd zu sagen ‚Wir müssen Gewalt anwenden, um Gewalt zu verhindern‘ oder ‚Ich muss Leute ausrauben, damit keine anderen kommen und Leute ausrauben‘.“
Ich sage: Es ist sinnvoll, den Menschen, die sich tagtäglich für moralisch halten, weil sie diese oder jene Partei gewählt haben oder „the current thing“ unterstützen, die Unmoral ihres gottgleich angebeteten Systems immer wieder vor Augen zu führen. Diese Leute sollten sich schlecht fühlen, wenn sie die Steuerabzüge auf ihrem Lohnzettel sehen, und die, die kein Gehalt oder keinen Lohn, sondern einen Sold erhalten, sollten sich umso schlechter fühlen für jeden Euro, der auf ihrem Bankkonto landet. Denn alles, was sie besitzen, ist geraubt. Eine Gesellschaft, die sich in Moral gebettet fühlt und ihre eigenen Unterdrücker huldigt, muss klargemacht werden, dass sie es sind, die sich absolut unmoralisch verhalten.
Abschließend stelle ich die Frage: Ist unsere Community zu inaktiv und, wenn ja, wie kann man sie zum Mitmachen animieren? Für die, die behaupten, für sie stehe zu viel auf dem Spiel, die haben das Spiel bereits verloren. Ich würde mich in einer Staatsanstellung nicht nur mies, sondern auch nicht mehr sicher fühlen. Auch für die, die sich noch sicher fühlen, steht schon jetzt alles auf dem Spiel. Ohne unser Zutun, ohne unser Handeln wird sich unser Zustand nicht bessern. Wer jetzt noch schweigt, relativiert oder gar als Unterstützer des Systems auftritt, wird die Kosten für sein (unterlassenes) Handeln früher oder später tragen müssen.
Und jetzt kündigt eure Staatsjobs, vermeidet Steuern, klärt eure Mitmenschen auf und kauft Bitcoins.
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