Libertarismus in Deutschland: Zwei Jahre „Die Marktradikalen“
Eine Erfolgsgeschichte
von Sascha Koll
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Am 13. Juli 2020 um 18:43 Uhr, als die Maßnahmenpandemie gerade richtig ins Rollen gekommen war, die Enttäuschung der liberalen Twitter-Blase über die FDP immer größer wurde und endgültig die Zeit für eine konsequent liberale Partei gekommen war, erblickte ein neues Twitter-Konto das Licht der Welt. Doch niemand hatte tatsächlich die Absicht, eine Partei zu gründen, man entschied sich also bloß, eine zu mimen und ihr den Namen „Marktextremistisch-Libertäre Partei Deutschlands (MLPD)“ zu geben. Angelehnt war dieser Name an die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ und sorgte damit für viele Lacher, aber auch für Verwirrung. Um klarzumachen, dass dieses satirische Projekt nichts mit den Leninisten gemein hat, bestand der erste Beitrag aus den magischen drei Worten: „Steuern sind Raub.“ Dass aus diesem Spaß später ein Zusammenschluss vieler bis dahin noch nicht organisierten Libertären werden sollte, konnte damals niemand ahnen.
Die Geschichte der MLPD entwickelte sich anfänglich rasant. In zwei Stunden erreichte das Twitter-Konto 100 Anhänger und innerhalb von nur vier Tagen konnte die „wahre MLPD“ die Marxisten mit 1.220 Followern überholen. Noch am ersten Tag ging eine Website online und der erste Podcast wurde veröffentlicht. Dieser hatte als einzigen Inhalt eine computergenerierte Stimme, die acht Minuten ununterbrochen „Steuern sind Raub“ wiederholte und mit 846 Aufrufen ein ungeahnter Erfolg wurde. Doch die größte Aufmerksamkeit erreichten wir mit den unzähligen Memes und auf Liberalismus umgemünzte Wahlplakate der Sozialisten.
Da eine Partei ohne Beschlüsse und Kernthemen keine echte Partei ist, war es an den frühen Mitgliedern der MLPD, etwas zu erarbeiten. Die Hauptziele waren Drogenlegalisierung, Errichtung einer Mises-Statue in Gelsenkirchen und die Privatisierung von Nordrhein-Westfalen. Das kapitalistische „Dezentralkomitee“ fasste folgenden ersten Beschluss: „Unsere Partei ist nicht peinlich und löst keine Fremdscham aus.“ Der Name der „Partei“ wurde zügig in „Marktradikal-Libertäre Partei Deutschlands“ geändert, da „extremistisch“ doch etwas zu extrem klang.
Zur Gründung einer Online-Community, die etwas auf sich hält, gehört auch eine Plattform für den Austausch. Ich fragte in die Runde, ob es auch einen Discord-Server geben wird, und wurde wenige Minuten später mit einem Einladungslink beglückt. Auf diesem Server tauschen wir uns bis heute fast täglich über das tagesaktuelle Geschehen aus und planen unsere Projekte. Formate wie „Nur kurz …“, das libertäre Positionen in der Länge einer Zigarettenpause erklärt, „Spektrum“, unser Gesprächsformat mit wechselnden Gästen, und der allsonntägliche Wochenrückblick „Jung Brutal Marktradikal“ wurden in Zusammenarbeit mit der Community entwickelt und koordiniert.
Auch das Netzwerken machten wir uns zur Aufgabe. So nahmen wir Kontakt zu anderen Gruppen, wie beispielsweise Liberty Rising, auf, die bis dahin nur auf Facebook vertreten waren und mit ihren abendfüllenden Vorträgen und Präsentationen gern gesehene Gäste auf unserem Discord-Server waren. Die Gemeinschaft wuchs immer weiter zusammen, die Mitglieder verstanden sich und ein Treffen im realen Leben wurde angepeilt. So kam es dann auch zu unserem ersten „Parteitag“. Ein sehr geschätztes Mitglied stellte dafür sein Haus in Bayern zur Verfügung. Zehn Mitglieder verbrachten ein stimmungsvolles Wochenende, mit guten Gesprächen, vollen Bäuchen und einigen Litern Bier. Wir beschlossen einstimmig, dass Steuern Raub sind und das dieses Treffen nicht das letzte gewesen sein sollte. Bis heute treffen sich die Anhänger der mittlerweile in „Die Marktradikalen“ umbenannten Organisation regelmäßig und besuchen zusammen libertäre Events.
In der Spitze hatte die „wahre MLPD“ fünfzig aktive Mitglieder, die in großen Teilen eigene „Ortsverbände“ gründeten, was im Juli 2021 auch zur Umbenennung führte. Wir lernten, dass Kommunisten aufhören „Alles gehört allen und Eigentum ist Raub“ zu sagen, wenn es um vier Buchstaben geht. Auf Twitter waren die Kommis nur noch schwer zu finden, da eine Suchanfrage mit „MLPD“ eine Liste von unseren Ortsverbänden als Ergebnis hatte. Das stieß den Marxisten so übel auf, dass sie sich entschieden, Twitter eine Unterlassungserklärung zukommen zu lassen. Alle Konten, die „MLPD“ im Namen trugen und nicht von den Kommis autorisiert wurden, sollten unverzüglich gelöscht werden und es sei zu unterlassen, neue Accounts mit diesem Kürzel zu vergeben. Twitter setzte die Inhaber unserer Konten vorsorglich in Kenntnis und wir konnten wenige Accounts durch eine Umbenennung retten. Die meisten gingen leider trotz dessen mit einer Sperrung in Deutschland verloren.
Nach diesem Rückschlag wollten wir uns aber nicht geschlagen geben und starteten unser Rebranding. Die Wahl des Namens fiel auf „Die Marktradikalen“ und wir entschieden uns, nicht nur weiter zu trollen, sondern auch seriöser zu werden. Den Witz haben wir aber nicht verloren, deshalb spalteten wir unsere Medienpräsenz in Untergruppen auf: „Die Marktradikalen“ für die seriösen Inhalte und „Libertäre Deutsche Jugend (LDJ)“ „Antikollektivistische Aktion“ und „Antikommunistischer Geheimdienst“ für die Inhalte, die man auch mal mit einem Augenzwinkern lesen kann.
Heute bin ich sehr froh darüber, bei dem kleinen Spaß im Sommer 2020 mitgemacht zu haben. Die zwei Jahre seit Erstellung des ersten Twitter-Accounts sind wie im Flug vergangen. Viele neue Bekanntschaften und Freundschaften sind entstanden, sehen- und lesenswerte Inhalte werden von fleißigen Mitgliedern produziert und wir arbeiten bereits an mehr. Noch dieses Jahr soll eine Online-Karte für Meetups, Events und Stammtische für am Libertarismus und Bitcoin Interessierte entstehen, sodass die lokale Vernetzung komfortabler und übersichtlicher gestaltet werden kann. Auch ein markenübergreifender Onlineshop für marktradikale Klamotten und Sticker geht in wenigen Monaten, wenn nicht sogar Wochen an den Start.
Mein größter Dank gebührt denen, die all das möglich gemacht haben, und der grandiosen Community. Ich freue mich auf viele weitere Jahre mit euch. Lasst uns weitermachen und unseren Teil dazu beitragen, den Libertarismus im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen.
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