Gedankengefängnisse: Ich blicke heute auf das Gestern und hoffe auf Antworten für morgen
Zurück in die Vergangenheit, wenn das Heute verrücktspielt
von Manuel Maggio
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Bereits seit mehr als 15 Jahren beschäftige ich mich – mal mehr und mal weniger intensiv – mit der Frage, wie gesellschaftliches Leben in Freiheit oder, konkreter gesagt, in Abwesenheit von Herrschaft aussehen könnte. Rückwirkend betrachtet habe ich mich durch drei Phasen durchgearbeitet, bei denen mein Fokus immer auf einer anderen Zeitebene lag, und diese Phasen möchte ich heute für Sie einmal skizzieren.
Anfangs standen für mich und für viele meiner Mitstreiter nur die Analyse der Ist-Situation auf dem Programm, das Verstehen, was eigentlich aktuell los ist. Bei mir begann dieser Analyseprozess exakt im Jahr 2009, als ich kurz davor war, bei der Bundestagswahl ein Kreuz zu machen. Sie erinnern sich: Damals, ein Jahr nach der Finanzkrise, war nicht abzusehen, wie es weitergehen würde, und viele Menschen hofften auf Lösungen durch einen politischen Umschwung. Heute kann ich sagen: Dieser Umschwung ist ausgeblieben.
Meine Herangehensweise war damals folgende: Ich habe mich ein halbes Jahr intensiv mit dem Geldsystem und der Finanzkrise beschäftigt, denn meiner Meinung nach konnte ich nur dann beurteilen, wer echte Lösungen für ein Problem anbietet, wenn ich das Problem selbst verstehe. Im nächsten Schritt hatte ich mir die aktuellen Parteiprogramme vorgenommen und diese studiert, in der Hoffnung zu erkennen, welche Partei dabei helfen kann, das Problem wirklich zu lösen. Die Quintessenz dieses Prozesses war, dass ich nicht mehr an der Wahl teilgenommen habe und seitdem auch kein Wahllokal mehr von innen gesehen habe.
Als Strategie der folgenden Jahre waren das Verstehen und die Analyse der Ist-Situation weiterhin meine erste Priorität, die dann bereits sehr früh in Youtube-Videos zur Aufklärung über den Ist-Zustand mündete. Irgendwann hatte ich aber das Gefühl, verstanden zu haben, was hier so abläuft, und mir wurde bewusst, dass ich die Gegenwart verlassen und meinen Fokus mehr auf die Zukunft und mögliche Lösungen lenken müsse. Dies wird dann so um das Jahr 2012 gewesen sein, und auch die Inhalte in unserem Projekt „FreiwilligFrei“ waren mehr an Lösungen als an einer reinen Problemanalyse orientiert. Das war alles so neu und es gab so viele Ideen und Themen zu entdecken; mein Interesse an Geschichte hingegen ging fast gegen null. Ich dachte mir damals, wie überflüssig doch das Studium der Geschichte sei, und verstand nicht, wie man nur so viel Energie und Gedanken an geschichtliche Themen verschwenden und sich dafür interessieren könne. Das sei doch alles schon vergangen und habe kaum eine spürbare Gewichtung mehr für das Heute und schon dreimal nicht für das Morgen.
Für mich stand damals fest: Nur die Analyse der Gegenwart reicht als Grundlage aus, um dann mit neuen Ideen und viel Phantasie und Kreativität Antworten auf die Fragen der Zukunft zu finden. Allein beim Schreiben dieser Zeilen stellen sich meine Nackenhaare leicht auf, denn wie ich heute mit Sicherheit weiß, lag ich mit meiner Annahme falsch.
Sie ahnen es wahrschlich schon: Irgendwann hatte ich das Gefühl, im Hier und Jetzt keine neuen Erkenntnisse mehr zu erlangen, und das ewige theoretische Gedankenspiel mit der Glaskugel und der Zukunft brachte auch nicht den gewünschten Erkenntniszuwachs. Schnell verliert man sich in Theorien und baut sich seine eigene, teilweise ideologisch verblendete Weltvorstellung auf. Natürlich habe ich auch heute eine Vorstellung davon, wie die Welt sein könnte, habe aber damit aufgehört, diese als allgemeingültige Lösung auch für andere anzusehen. Die Vorstellung des Soll-Zustandes hat sich von einer gesellschaftlichen Ansicht auf meine ganz individuelle Vorstellung meines eigenen Lebens reduziert.
Der Drang nach neuer Erkenntnis ist aber nie weniger geworden und so wuchs nun doch, wie sollte es auch anders sein, mein Interesse an Geschichte. Es begann aus einer Art Langeweile in Verbindung mit meinem Hobby, dem Metalldetektieren, auch Sondeln genannt. Natürlich wollte ich bei meinen ersten Münzfunden wissen, wer auf der Münze abgebildet ist und in welcher Zeit eine Münze geprägt wurde.
Daraus entstand dann ein kleines Selbststudium der deutschen beziehungsweise bayerischen Geschichte, die bis zur Zeit der Römer um Christi Geburt reichte. Heute sehe ich den Einzug der Verwaltung von Menschen und die Aufgabe von Freiheit im Tausch gegen vermeintliche Sicherheit als ein Konzept, das bereits von den antiken Römern hier bei uns eingeführt wurde und bis heute aufrechterhalten wird. Erst zu dieser Zeit habe ich mich auch dafür interessiert, was das Erste oder Zweite Deutsche Reich denn gewesen ist, da man ja im Schulunterricht und in Dokus immer nur Infos zum Dritten Reich bekommen hatte. Und so kam es, dass ich immer öfter Parallelen zu heute erkannt habe, auch wenn wir gegenwärtig in ganz anderen Zeiten leben. Durch das Stöbern in der Geschichte wurde mir einiges klarer, was ich mit einem einseitigen Blick auf die Gegenwart oder dem verharrten Fokus auf die Zukunft nicht erkennen könnte.
Gerade in den letzten drei Jahren war das zu Beginn ein guter Anker, um sich nicht durch die täglich ändernden Fakten verrückt machen zu lassen. Ganz konkret bin ich im Jahr 2020 auf die Audioaufzeichnungen des Frankfurter Ausschwitz-Prozesses der Jahre 1964/65 aufmerksam geworden und habe dann alle Aufzeichnungen in voller Länge angehört. Diese umfassen circa 170 Verhandlungstage und die Aussagen der Zeugen und die Verhöre der Angeklagten dauern zwischen ein und fünf Stunden. Mir half dies enorm, um zu verstehen, wie es geschehen konnte, das komplette Gesundheitswesen zu vereinnahmen, und warum Ärzte und Sanitäter bei solchen Machenschaften ohne jede Reue oder Widerstand mitmachten und sich an grausamen Verbrechen beteiligten – alles im Schutze der Autorität des „weißen Kittels“.
Mit meinem heutigen Wissensstand würde ich bei einem erneuten Durchlauf durch den Kreislauf der Zeiten die Reihenfolge wie folgt optimieren: Nach der Analyse des Ist-Zustandes, der sich aktuell so schnell verändert, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe, wird diesmal das Forschen in der Vergangenheit vorgezogen, um dann abschließend an neuen Ideen für die Zukunft zu arbeiten.
Wobei die Reihenfolge wohl weniger eine Rolle spielen wird als die Erkenntnis, sich eben auch der Geschichte zu bedienen. Denn wie heißt es so schön? Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.
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