08. Dezember 2022 13:00

Sezession Wenn es zum Bruch kommt

Abspaltung bringt viel Positives mit sich

von Sascha Koll

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Das deutsche Wort Sezession stammt vom lateinischen „secessio“ ab und bedeutet Abspaltung oder auch Trennung. Die meisten Libertären kennen natürlich Sezession als politische Loslösung aus einem bestehenden Staat, aber eigentlich ist das Konzept, sich im ausweglosen Streitfall abzuspalten – getrennte Wege zu gehen –, im unpolitischen Alltag keine Besonderheit.

Im unpolitischen Alltag lässt sich nicht nur feststellen, dass das zwischenmenschliche Zusammenleben in großen Teilen anarchistisch ist, greifbarer gesagt, auf freiwilliger Interaktion beruht, sondern auch, dass der Gedanke der Sezession, die im politischen Raum weitestgehend belächelt und sogar bekämpft wird, gar keiner Debatte wert ist. Es ist gängige Praxis, dass in Streitfällen, die nicht geklärt werden können, eine Trennung stattfindet. Auch wenn diese Trennungen häufig bedauerlich sind, so versucht doch mindestens ein Individuum, das sich aus einer Partnerschaft oder einer Gruppe herauslöst, seine Situation zu verbessern, da die zur Trennung geführten Zustände nicht mehr aushaltbar oder vertretbar waren. Aber auch die Vorstellung eines persönlichen Vorrankommens, ohne ein erlebtes Übel, kann zu einer Trennung führen. So trennen sich Frauen, wie auch Männer, vom Partner, wenn sie einen „besseren Fang“ gemacht haben, auch wenn bis zur Trennung augenscheinlich alles in bester Ordnung gewesen war. Doch um diese Art der Trennung geht es mir heute nicht.

Leser, die sich mit der Wissenschaft des menschlichen Handelns – der Praxeologie – beschäftigt haben, wissen, dass nicht Gruppen, sondern die sich zur Gruppe zugehörig fühlenden oder einer Gruppe zugesprochenen Individuen handeln. Kollektivisten hingegen ordnen gerne sowohl positive wie auch negative Eigenschaften, die sie einer Gruppe unterstellen, jedem einzelnen Individuum der Gruppe zu. Gibt es zum Beispiel bei den Querdenkern einige Personen, die eine verfassungsgebende Versammlung ausrufen wollen, so müssen sich auch alle anderen Individuen für diesen Unsinn rechtfertigen, obgleich sie sich als Teil der Querdenker ansehen oder bloß von außen der Gruppe zugeordnet werden. Die Personen, die nur von außen zugeordnet wurden, weil sie beispielsweise an einer Querdenker-Demo teilgenommen haben, distanzieren sich im besten Fall einfach und sind damit ihre Kontaktschuld los. Personen, die sich den Querdenkern angeschlossen haben, da sie viele Überschneidungen in den individuellen und der Gruppe zugeordneten Werten und Zielen sehen, könnten in einem solchen Fall Abspaltungsbestrebungen entwickeln. Sie spalten sich allein oder gemeinsam mit anderen Gruppenmitgliedern ab, um ihr Profil zu schärfen und die nicht vertretbaren Punkte der ehemals angehörigen Gruppe über Bord zu werfen.

Es müssen aber nicht immer äußere Faktoren, wie Kritik an Einzelpositionen, sein, die eine Gruppe spalten. Auch interne Konflikte, wie Machtkämpfe, führen immer wieder zu Abspaltungen von der Gruppe. Als Beispiel aus der Politik ziehe ich die AfD heran. Ein Teil des marktliberalen Spektrums der Partei hat sich zum Beispiel mit Bernd Lucke, ein völkisch-nationalistischer Teil mit André Poggenburg und ein weiterer marktliberaler mit Frauke Petry abgespalten. Diesen beispielhaften Abspaltungen gingen meist ideologische Konflikte voran. Aber auch in nicht politischen Vereinen und Organisationen wie auch im privaten Leben finden Abspaltungen tagtäglich statt. Ein Schießverein könnte zum Beispiel mehrheitlich beschließen, dass vollautomatische Waffen auf dem Schießstand nichts mehr verloren haben. Dem können sich die überstimmten Mitglieder unterwerfen, oder sie gründen eben einen neuen Verein, der vollautomatische Schusswaffen erlaubt. Auch eine Hilfsorganisation, in der die Mitglieder unterschiedliche Prioritäten setzen, kann von Sezessionsbestrebungen betroffen sein. Was meiner Ansicht nach alles völlig in Ordnung ist und die Vielfalt an Angeboten erhöht, die Interessierte dann wahrnehmen und unterstützen können.

Sezession im Sinne der Abspaltung wird häufig von denen, von denen sich abgespalten wurde, als Angriff oder feindselig wahrgenommen. Doch ist es nicht eigentlich auch nur ein Mittel zur Streitbeilegung? Vormals intern ausgetragene Konflikte belasten die Arbeit nicht mehr, beide Parteien können sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren und erfahren eine höhere Einigkeit innerhalb der alten wie auch in der neu geschaffenen Gruppe.

Vor einigen Monaten kam es in der libertären Szene zu einer Abspaltung durch „Liberty Rising“, die dem anarchistischen und konservativen Lager den Rücken gekehrt hat. Damals gab es vor allem Kritik, dass sich zusammen mehr erreichen lasse und man geschlossen gegen die Sozialisten aller Couleur auftreten solle. Doch einige sahen auch Potenzial für mehr Frieden, da sich Konflikte zwischen Progressiven und Konservativen im jungen und fortgeschrittenen Alter durch die Trennung erst mal erledigt haben. Die einen blieben weiter die Libertären und die anderen nannten sich von nun an nur noch kapitalistisch. Objektivistische und subjektivistische Ansichten standen sich plötzlich nicht mehr ständig gegenüber, wenn es darum ging, zu definieren, was Libertarismus ist. Gut so. So gehen beide Parteien ihren Weg und erlangen hoffentlich in ihrer Zielgruppe den Erfolg, den sie sich von der Abspaltung versprechen.

Heute erleben wir wieder eine Trennung in der libertären Szene: die Abspaltung eines großen Teils der aktiven Community der Marktradikalen. Ich möchte nicht zu weit ausholen, aber da mich bereits Zuschriften von Personen erreichten, die von den Problemen bei den Marktradikalen mitbekommen haben, möchte ich zumindest so viel sagen, dass es seit mehreren Wochen interne Konflikte gab, die zu meinem Bedauern nicht geklärt werden konnten. So kam es nun endgültig zur Sezession und hoffentlich bald zur Streitbeilegung, wenn sich die über Wochen angestauten Emotionen entladen haben. Ich blicke mit Zuversicht in die Zukunft, denn die Konflikte haben nicht nur Zeit und Nerven gekostet, sondern auch den Aktivismus negativ beeinflusst. Ich wünsche mir, dass die bei den Marktradikalen Verbliebenen an dem bisherigen Erfolg anknüpfen können und die Botschaft der Freiheit weiterhin in die Welt herausschreien, wie wir es auch bisher getan haben. Die Sezessionisten feilen zurzeit auch an einem Konzept, um eine neue offene Plattform für Libertäre, die eine Bühne suchen, zu schaffen. Einige haben sogar bereits eine neue Heimat für ihre Inhalte gefunden, und ich bin mir sicher, dass sie dort glücklich werden.

Abspaltungen müssen nicht immer schlecht sein. Sie schaffen die Möglichkeit, sich neu zu orientieren, Profile zu schärfen und wieder mit Freude den gemeinsamen Tätigkeiten nachzugehen. Sezession ist gelebte Freiheit. Und wenn es im privaten gesellschaftlichen Zusammenleben funktioniert, sollten sich die herrschenden Politiker mal Gedanken darüber machen, ob das nicht auch im großen Maßstab eine Option wäre – sofern sie Konflikte überhaupt beilegen wollen.


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