19. Dezember 2022 13:00

Animationsfilm „Der Prinz von Ägypten“ Berufung finden in Zeiten zunehmender Tyrannei

Wer sich im Kleinen bewährt, dem wachsen größere Herausforderungen zu

von Robert Grözinger

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Welche Erzählung wäre für einen Freiheitsfreund über die Weihnachtsfeiertage am Ende des Jahres Drei nach Corona eine passendere, aufbauendere Lektüre als Exodus? Das zweite Buch der Bibel ist ein Drama, das die gesamte Geschichte der westlichen Zivilisation prägend begleitet hat, von der Zukunftsorientiertheit – man glaubte, jedenfalls bis vor sehr kurzem, an eine lineare Zeitstruktur, an Fortschritt und an die Machbarkeit einer besseren Zukunft – bis zur allein vom Christentum vorangetriebenen Ächtung der Sklaverei.      

Außerdem sollte man sich den Film „Der Prinz von Ägypten“ gönnen, am besten im Kreis der Familie und/oder Freunde. Der Animationsfilm von Dreamworks, der vor ziemlich genau 24 Jahren, am 16. Dezember 1998 Kinopremiere feierte, ist eine 99-minütige Nacherzählung der Exodus-Geschichte von der Geburt Moses bis zur Verkündung der zehn Gebote.

Er ist eine „bibeltreue Aufarbeitung“, wie es im Lexikon des Internationalen Films heißt, des archetypischen Konflikts zwischen der wohl perfektesten und langlebigsten Tyrannei, die es je gegeben hat auf der einen Seite und einer Gemeinde, die an eine Macht glaubt, die das Universum mitsamt ihren natürlichen und moralischen Gesetzen geschaffen hat auf der anderen Seite. Eine Macht, die dem mächtigsten Menschen unendlich überlegen ist. Es ist die prototypische Geschichte politischer Überheblichkeit und ihres Scheiterns.

Im anbrechenden Jahr Vier nach dem Beginn des Machtergreifungsversuchs einer sich für Übermenschen haltenden Weltelite – siehe etwa Anthony „die Wissenschaft bin ich“ Fauci – tut es gut, sich diese uralte Geschichte in Erinnerung zu rufen. Nicht nur, um Trost, sondern auch Ansporn, Inspiration und Vorbilder für unsere Zeit und unser Leben zu finden. „Der Prinz von Ägypten“ ist hierfür hervorragend geeignet. Die Animationstechnik und künstlerische Gestaltung sind noch immer beeindruckend, das Drehbuch von Philip LaZebnik ebenso mitreißend wie die Musik von Hans Zimmer. 

Eine Szene halte ich für besonders relevant für moderne Zuschauer, die an der realen Welt verzweifeln. Das ist jene, in der Moses seine Berufung entdeckt. Beruf und Berufung sind zwei unterschiedliche Dinge, so der amerikanische Gelehrte Gary North. Ersteres dient dazu, dem Träger die Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Letzteres sei „die wichtigste Aufgabe, zwecks deren Erfüllung man am schwersten zu ersetzen ist“. Aufgrund seines Status als Adoptivsohn der Königsfamilie hatte Moses einen direkten Draht zum Pharao. Wer sonst würde ihn überreden können, die Hebräer ziehen zu lassen? Welche große Aufgabe drängt sich uns auf? Wo sind wir gleichermaßen schwer zu ersetzen?

Nur in einer Minderheit von glücklichen Fällen sei der Beruf eines Menschen auch seine Berufung, so North. Aber eine Berufung habe jeder, und zwar jenseits der Erziehung eigener Kinder, wenn man welche hat. Das erschließt sich aus dem Glauben an eine absichtliche Schöpfung. Wenn die Welt von einer Absicht durchdrungen ist, dann erfüllt jedes Leben einen auf diese Absicht hin orientierten Zweck. Wir müssen ihn nur finden.

Es benötigt in der Regel viel Zeit des Nachdenkens und Erprobens, um seine Berufung zu finden. Es ist aber ein lohnendes Unterfangen. Seine Berufung zu finden erhöht erheblich die Chance eines sinnvoll verbrachten Lebens. Auch Moses brauchte eine Weile, bis er seine Berufung fand. Er musste zuerst ins Exil und sich dort eine neue Existenz aufbauen. Als Nächstes musste er sich als für eine höhere Berufung geeignet erweisen.  

Siehe zum Folgenden den ersten Link unten zu einem Videoausschnitt auf Youtube: Es ist die Szene mit dem brennenen Busch. Die Bildqualität dieses Exemplars ist zwar etwas körnig, aber ich habe es dennoch als Begleitmaterial für diese Kolumne gewählt, weil es auch eine wichtige kurze Vorlaufszene beinhaltet. Diese Szene steht nicht in der Bibel. Aber ihre Hinzudichtung bleibt insgesamt bibeltreu. Mehr noch, sie hilft, die Exodusgeschichte meisterhaft in den breiteren Rahmen des Alten und Neuen Testaments einzubetten.

In dieser kurzen Vorlaufszene hütet Moses die Schafsherde seines Schwiegervaters in der Wüste. Er sieht ein Schaf davonlaufen und in einem schroffen Felsspalt verschwinden. Er seufzt resigniert, macht sich aber sofort und ohne Groll auf, den Ausreißer wieder einzufangen. Er grummelt: „It’s too early for this.“ Also: „Es ist zu früh hierfür.“ Was hat das zu bedeuten? Ich glaube, die Filmproduzenten wollten hier Folgendes andeuten: Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Schaf davonläuft. Seine Wolle ist zwar nicht schwarz, es ist aber das sprichwörtliche „schwarze Schaf“ der Herde, das immer wieder für Ärger sorgt. Normalerweise aber lässt es sich dafür Zeit. Diesmal ist irgendetwas anders.

Dieses Schaf versinnbildlicht das selbst in menschenmöglich bestorganisierter Ordnung nicht auszuschließende Element des Chaos. Es erinnert daran, dass es Dinge gibt, immer geben wird, die sich der Gestaltungsmacht des Menschen entziehen. An die immer wieder auftauchenden Herausforderungen, an das Neue. Auch Feuer symbolisiert Chaos. Ein Feuer, das sein Brennmaterial nicht verzehrt, ist ein Zeichen, dass nur Gott endgültig über das Chaos herrschen kann.

Moses nimmt die vom Schaf ausgehende Herausforderung an. Zum wiederholten Mal, so wird uns suggeriert, eilt er mit Engelsgeduld dem Abweichler hinterher. Das ist sicher ein absichtlicher Hinweis auf das Gleichnis von Jesus über das verlorene Schaf, wie es im Lukas- und Matthäus-Evangelium überliefert ist. Wie praktisch alles im Neuen, gibt es hier auch einen Bezug zum Alten Testament. Der Prophet Ezechiel schrieb im sechsten vorchristlichen Jahrhundert im Kapitel 34 seines Buches über schlechte und gute Menschenhirten, zog ebenfalls die Allegorie des Schafhirten heran und vermittelte in diesem Kontext, was Gott über die Lage seines Volkes sagte: „Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten.“

In Kombination dessen, was im Film unmittelbar darauf folgt, ist die Szene mit dem Schaf indirekt auch ein Verweis auf ein anderes Gleichnis, nämlich das vom anvertrauten Geld. Ein reicher Mann vertraut seinen Dienern Geld an und will bei seiner Rückkehr sehen, wie sie damit umgegangen sind. Es ist bei Matthäus das letzte Gleichnis Jesu, hat bei ihm also eine gewisse „krönende“ Bedeutung. Und in diesem Gleichnis fallen diese Sätze des Mannes nach der Rückkehr: „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen.“ Bei Lukas wird diese Aufgabe näher ausgeführt: „Weil du im Kleinsten zuverlässig warst, sollst du Herr über zehn Städte werden.“ Der hier angesprochene Diener hatte das anvertraute Geld nämlich vermehrt. Damit hat er auch den Herrschaftsbereich, oder zumindest die Handlungsoptionen seines Herrn vermehrt. Im übertragenen Sinn: Das Reich Gottes ausgeweitet. Ein anderer Diener hatte das Geld nur vergraben. Zwar ängstlich vor Raub geschützt, aber nicht mutig vermehrt. Dafür wurde er hart bestraft. 

Meiner Ansicht nach dichten die Filmemacher der Exodusgeschichte diese Schafsszene aus folgendem, biblischen Grund hinzu: Moses musste erst beweisen, dass er ein „tüchtiger und treuer Verwalter“ der ihm anvertrauten kleinen Aufgaben – die eines treuen Untergebenen seines Schwiegervaters – ist, bevor er zu sehr viel Größerem berufen wurde. Die Künstler erkannten also, dass dies ein zentraler Aspekt sowohl des jüdischen als auch des christlichen Glaubens ist: Wir werden mit „Talenten“ – so heißen die Geldmünzen im oben genannten Gleichnis – ausgestattet und uns werden, je nachdem, wie „verantwortlich“ wir mit ihnen umgehen, Aufgaben und Herausforderungen entsprechender Größenordnungen zufließen. Und am Ende werden wir für unsere Leistungen belohnt – oder bestraft.

Auch in der dann folgenden Begegnung mit Gott fügten die Filmemacher einige im Hinblick auf die moderne Rezeption sehr nützliche Ideen hinzu. In der Bibel heißt es nur, dass diese Begegnung in der Wüste oder Wildnis stattfand. Im Film befindet sich das Gestrüpp in einer schwer zugänglichen Felsaushöhlung. Eine interessante dramaturgische Erfindung. Der Szenenaufbau verstärkt das Gefühl der Abgeschiedenheit. Wer in die Wüste hinausgeht, ist zwar bereits vom Rest der Welt abgeschieden. Die meisten Menschen kennen diese Erfahrung aber nicht, mutterseelenallein in der Wüste zu sein. In vielen anderen Situtation kann man sich von anderen Menschen entfernen, ist aber dann fast überall von recht lebendiger Natur umgeben. Es zwitschert und summt, oder es rauscht ein Bach oder der Laub im Wind. Selbst im Winter kann man Spatzen oder Rabenvögel hören. Oder den Verkehr der nächstgelegenen Straße. Am ehesten kommt ein moderner Mensch einer Wüsteneinsamkeit nahe, wenn er sich in sein Zimmer einschließt und alle Reize von außen ausschließt. Während der Lockdowns hatten viele Menschen unfreiwillig Gelegenheit dazu. 

Als Exilant ist Moses in einem gewissen Sinne ein Gefangener. Er genießt nur deswegen eine relative Freiheit, weil er nicht bei seinem in Gänze versklavten Volk ist, wo ihm ein Todesurteil droht. Er, ein ehemaliger Prinz von Ägypten, ist in dieser Situation des Schafehütens auf sich selbst zurückgeworfen. In einer beruflichen Sackgasse. Ein weiterer Kniff der Filmemacher ist, dass die Stimme Gottes und die von Moses vom selben Schauspieler gesprochen wird – im Original Val Kilmer, in der deutschen Fassung Tobias Meister. Für manche ist es Gott, der zu Moses spricht, für andere sein Gewissen. Was die Frage aufwirft: Gibt es da einen Unterschied?

„Der Prinz von Ägypten“ ist ein Genuss und hat im Vierteljahrhundert seiner Existenz nichts an künstlerischer Attraktivität eingebüßt. Gönnen Sie sich diese hoffnungsfrohe Geschichte in Zeiten zunehmender Düsternis. Lassen Sie sich von ihm und der Originalgeschichte inspirieren, ihre Berufung zu finden, oder, falls schon geschehen, weiter an ihr zu arbeiten. Lassen Sie sich ferner trösten, dass Tyrannen nicht allmächtig sind und dass es Mittel und Wege gibt, ihnen das Handwerk zu legen.

Ich wünsche allen Lesern der Freiheitsfunken ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und alles Gute im Jahr 2023.

Quellen:

Prince of Egypt, Szene mit Schaf und brennendem Busch (Englisch), Youtube

Szene mit brennendem Busch, auf deutsch und mit besserer Bildqualität, Youtube

Prince of Egypt – A forgotten Masterpiece. Filmbesprechung von Josh Keefe, Youtube


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