Evolutionspsychologie: Menschliches Verhalten aus der evolutionspsychologischen Perspektive (Teil 2)
Vier grundlegende Prinzipien
von M 2.0 (Pausiert)
In der vergangenen Kolumne hatten wir damit begonnen, uns zum Ziele eines möglicherweise besseren Verständnisses bezüglich menschlichen Verhaltens an die evolutionspsychologische Perspektive heranzutasten. Im Zuge dessen wurde unter anderem erklärt, wie man beispielsweise unsere Vorliebe für Süßigkeiten, aber auch die unterschiedlichen Formen der Eifersucht innerhalb romantischer Beziehungen zwischen Frauen und Männern erklären kann.
Erinnern wir uns zunächst daran, dass die „entwickelten psychologischen Mechanismen“ meist unterbewusst ablaufen. Wir wählen oder entscheiden uns nicht bewusst dafür, Süßigkeiten und fettes Essen zu mögen. Wir mögen zwar in der Regel beides, wissen aber nicht, warum. Süße und fette Lebensmittel schmecken eben einfach. In ähnlicher Weise entscheiden wir uns nicht bewusst dafür, eifersüchtig zu sein. Wir empfinden Eifersucht unter bestimmten Umständen, als Reaktion auf bestimmte vorhersehbare Auslöser, aber wir wissen nicht immer, warum. Die Evolutionspsychologie geht davon aus, dass die meisten unserer Vorlieben, Wünsche und Emotionen auf psychologischen Mechanismen beruhen, die uns dazu veranlassen, uns auf bestimmte Weise zu verhalten. Sie erklärt menschliches Verhalten durch die Interaktion zwischen diesen entwickelten psychologischen Mechanismen. Die Vorlieben, Wünsche und Emotionen, die sie in uns hervorrufen, und (!) die aktuelle Umgebung, in der sie sich ausdrücken.
Aus diesem Grund sind sowohl die Biologie als auch die Umwelt wichtige Bestandteile einer vollständigen Erklärung für menschliches Verhalten, auch wenn es überzeugende Gründe gibt, warum Evolutionspsychologen die biologischen Faktoren stärker betonen. Umgekehrt könnte man, so man willens wäre, relativ einfach erkennen, dass die Umwelt, in der wir leben, nicht maßgeblich unser Verhalten bestimmt – und, um das Ganze noch weiterzuspinnen, entsprechend auch nicht maßgeblich Intelligenz und Erfolg. Ein uns eigentlich geradezu „anschreiendes“ und das „sozialwissenschaftliche Standardmodell“ (täglich) Lügen strafendes Beispiel besteht darin, man brauche Personen aus der arabischen und/oder afrikanischen Welt lediglich „herauspflücken“ und in unserer westlichen Welt ansiedeln, auf dass sich aufgrund der dann erfolgenden Ausbildungen und Studienmöglichkeiten in absehbarer Zeit nicht nur dieselben „westlichen Verhaltensweisen und -muster“ einstellten, sondern zudem dieselben ökonomischen Erfolge et cetera. Im besonders großen Stil hat sich seit der „merkelschen Schleusenöffnung“ anno 2015 für sämtliche „Neubürger“ lediglich die Umwelt geändert. Mit welchem Ergebnis? Das (r-selektierte) Thema „Fachkräftemangel“ bestimmt im Jahre 2023 noch genauso die Schlagzeilen wie vor nunmehr bald acht Jahren, doch kaum jemandem scheint hier allmählich einmal zumindest ein kleines Lichtlein aufzugehen. Ich höre auch nach wie vor nichts von weiträumigen, politischen oder hauptstrommedialen Plädoyers für den Import fernostasiatischer (K-strategischer) Fachkräfte zur Bewältigung dieses rein politisch initiierten beziehungsweise bedingten Problems. All dies geschieht jedoch in erster Linie nicht aus Starrköpfigkeit, sondern aufgrund „hart verdrahteter“ evolutionspsychologischer Mechanismen, die dazu führen, trotz an sich überwältigender Evidenz nicht vom falschen Kurs ablassen zu können.
Doch zurück zu den Basics. Die Evolutionspsychologie ist eine Anwendung der Evolutionsbiologie auf das menschliche Verhalten. Sie zeichnet sich durch die folgenden vier Prinzipien aus, die in deutlichem Gegensatz zu den vier Prinzipien des vor zwei Wochen skizzierten, „sozialwissenschaftlichen Standardmodells“ stehen.
Erstens: Menschen sind Tiere.
Das erste und grundlegendste Prinzip der Evolutionspsychologie ist, dass es nichts Besonderes am Menschen gibt. Er ist genau wie alle anderen Tierarten. Doch Vorsicht: Das heißt nicht (!), dass Menschen nicht einzigartig sind! Sie sind es. Aber das gilt auch für alle anderen Arten. Wäre der Mensch nicht einzigartig, wäre er keine eigene Art. Der Grund, warum der Mensch eine eigene Spezies ist, liegt darin, dass keine andere Spezies genau die Eigenschaften und Fähigkeiten hat, die der Mensch hat. Dasselbe gilt aber auch für Schimpansen, Pandas, Hunde, Katzen, Delphine oder Fischotter. Der Mensch ist einzigartig, aber nicht mehr und nicht weniger als die Fruchtfliege. Die Evolutionspsychologie erkennt an, dass für den Menschen dieselben biologischen Gesetze der Evolution gelten wie für alle anderen Arten. Sie widerlegt daher den menschlichen Exzeptionalismus des „sozialwissenschaftlichen Standardmodells“. Oder mit den Worten des großen Evolutionspsychologen Pierre L. van den Berghe (1933–2019): „Sicherlich sind wir einzigartig, aber wir sind nicht einzigartig, weil wir einzigartig sind. Jede Spezies ist einzigartig und hat ihre Einzigartigkeit durch Anpassung an ihre Umwelt entwickelt.“
Zweitens: Das menschliche Gehirn ist nichts Besonderes.
Für Evolutionspsychologen ist das Gehirn nur ein weiteres Körperteil, genau wie die Hand oder die Bauchspeicheldrüse. So wie Millionen von Jahren der Evolution die Hand oder die Bauchspeicheldrüse allmählich so geformt haben, dass sie bestimmte Funktionen erfüllen, so hat die Evolution auch das menschliche Gehirn geformt, dass es seine Funktion erfüllen kann, nämlich adaptive Probleme zu lösen, damit der Mensch überleben und sich erfolgreich fortpflanzen kann. Evolutionspsychologen wenden auf das menschliche Gehirn die gleichen Evolutionsgesetze an wie auf jeden anderen Teil des menschlichen Körpers. Die Evolution macht nicht am Hals halt! Nein, nein, sie geht den ganzen Weg nach oben.
Drittens: Die menschliche Natur ist angeboren.
So wie Hunde mit einer angeborenen Hundenatur und Katzen mit einer angeborenen Katzennatur geboren werden, wird der Mensch mit einer angeborenen Menschennatur geboren. Dies ergibt sich aus dem obigen ersten Grundsatz. Was für Hunde und Katzen gilt, muss auch für den Menschen zutreffen. Sozialisierung und Lernen sind für den Menschen sehr wichtig, aber der Mensch wird mit der Fähigkeit zum kulturellen Lernen geboren, die ihm angeboren ist. Kultur und Lernen sind Teil des evolutionären Designs des Menschen. Sozialisierung wiederholt und verstärkt lediglich, was bereits in unserem Gehirn vorhanden ist (wie das Gefühl für richtig und falsch). Dieses Prinzip der Evolutionspsychologie steht in klarem Gegensatz zu der Annahme eines unbeschriebenen Blattes („tabula rasa“), die das sozialwissenschaftliche Standardmodell vertritt. In den denkwürdigen Worten von William D. Hamilton, der oft als der größte Darwinist seit Darwin angesehen wird, heißt es: „Die Tabula rasa der menschlichen Natur war nie rasa, und sie wird jetzt gelesen.“ Die Evolutionspsychologie widmet sich dem Lesen der Tabula der menschlichen Natur.
Viertens: Menschliches Verhalten ist das Produkt sowohl der angeborenen menschlichen Natur als auch der Umwelt.
Gene drücken sich nur selten in einem Vakuum aus. Ihre Ausprägung, also die Art und Weise, wie Gene in Verhalten umgesetzt werden, hängt oft von der Umwelt ab und wird von ihr gesteuert. Dieselben Gene können sich je nach Kontext unterschiedlich äußern. In diesem Sinne sind sowohl die angeborene menschliche Natur, die von den Genen programmiert wird, als auch die Umwelt, in der der Mensch aufwächst, wichtige Determinanten für das Verhalten. Im Gegensatz zu den Vertretern des „sozialwissenschaftlichen Standardmodells“ glauben Evolutionspsychologen nicht, dass das menschliche Verhalten zu 100 Prozent durch einen der beiden Faktoren bestimmt wird.
Fortsetzung folgt.
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