06. März 2023 13:00

Strategische Zielfindung Wir werden die „Aufklärung“ überwinden

Denn sie führt uns in einen totalen Weltstaat oder ins totale Chaos

von Robert Grözinger

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Am vergangenen Donnerstag wäre Murray Rothbard 97 Jahre alt geworden. Für die, die sein Werk kennen, ist er der größte Ökonom der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und sein Lehrer, Ludwig von Mises (1881–1973), war der größte der ersten Hälfte.

Wie es der Zufall so wollte, überraschten ausgerechnet an jenem Tag einige Autoren dieser Website und von eigentümlich frei den Gründer und Herausgeber jener Zeitschrift, die seit nun 25 Jahren mehr als jede andere – als einzige sogar – in Deutschland das Weltgeschehen regelmäßig und konsequent vom Standpunkt der Denktradition unter anderen dieser beiden Koryphäen aus betrachtet. Die Besucher erstaunten den Publizisten mit einer freundlichen Übernahme des bekannten wöchentlichen Dachthekenduetts. Auch an dieser Stelle von mir nochmal einen herzlichen Glückwunsch an André F. Lichtschlag für eine großartige Lebensleistung, ohne die der Diskurs im deutschprachigen Raum um einen entscheidenden Blickwinkel – und unsere psychopathische „Elite“ um einen hochverdienten Stachel im Fleisch – ärmer wäre.

Zurück zu Rothbard, von dem ich viel gelernt habe, zum Beispiel aus seinem Spätwerk „An Austrian Perspective on the History of Economic Thought“, deren dritter geplanter Band leider nie erschien, weil der Autor im Januar 1995 plötzlich und unerwartet verstarb. Der unglaublich produktive Universalgelehrte und Lehrer der gegenwärtigen Avantgarde der Österreichischen Schule, unter vielen anderen Professor Hans-Hermann Hoppe, schrieb drei Jahre vor seinem Tod in einem Artikel: „Wir werden das 20. Jahrhundert widerrufen.“

Er reagierte in jenem Text mit dem Titel „A Strategy for the Right“ – siehe Link unten – auf das Entsetzen, das dieser Gedanke bei einigen Beobachtern des aufkeimenden Libertarismus auslöste, mit der ironischen Frage: „Wer würde das 20. Jahrhundert widerrufen wollen, das Jahrhundert des Schreckens, das Jahrhundert des Kollektivismus, das Jahrhundert der Massenvernichtung und des Völkermords, wer würde das widerrufen wollen?“

Als ich dieses Zitat in Vorbereitung dieses Artikels ausgrub, fiel mir eines auf. Man beachte, dass Rothbard nicht, wie ich es in Erinnerung hatte, sagte: „Wir werden das 20. Jahrhundert widerrufen müssen.“ Er theoretisierte nicht über die Voraussetzungen für den Fortschritt der Freiheit. Er machte eine selbstbewusste, verwegene Ankündigung. Was wohl typisch für ihn war, der, glaubt man den Erinnerungen von Leuten, die ihn persönlich kannten, ein ewiger Optimist war.

Wenn wir das Weltgeschehen der vergangenen drei Jahre Revue passieren lassen, können wir mit Bestimmtheit sagen, dass das 20. Jahrhundert nicht nur nicht widerrufen wurde, sondern fit und lebendig ist. Sein Geist, um einen bekannten Protagonisten jener Ära passend zu ziteren, ist „noch totaler und radikaler“, als man es sich vor fast genau 80 Jahren, als diese Worte im Berliner Sportpalast verkündet wurden, „überhaupt vorstellen“ konnte. Und entsprechend verrückter, wenn auch – noch – nicht nachweisbar bösartiger.

Rothbard drehte mit seinem kühnen Wort „widerrufen“ die Anwürfe eines Kritikers herum und richtete es gegen ihn. Es ist natürlich nicht wörtlich gemeint. Was geschehen ist, ist geschehen. Ohne Augenzwinkern hätte er wohl gesagt: „Überwinden“. Genau das müssen wir tun. Besser: Genau das werden wir tun. Und nicht nur das 20. Jahrhundert.

Ich bin mit dem Blogger „Bionic Mosquito“ einer Meinung, der kürzlich schrieb – siehe Link unten –, dass die Grundlage des gegenwärtigen Wahnsinns länger zurückliegt als das vorige Jahrhundert. Er verweist auf den großen russischen Dissidenten der Sowjetunion, Alexander Solschenizyn, der sagte, der Erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution seien geschehen, „weil wir Gott vergessen haben“.

„Bionic Mosquito“ gräbt tiefer und fragt, wann genau die Menschen Gott vergessen haben. Seine Antwort: Im Wesentlichen „in der Aufklärung“. Gott habe zwar noch in verschiedenen Teilen des Westens eine Weile „in den Dämpfen der Erinnerung“ weitergelebt, aber er wurde „schon früh“ während der Aufklärung „aus der höflichen Gesellschaft verdrängt“ und „wie ein verrückter Onkel im Dachbodenschlafzimmer versteckt gehalten“.

Weiter: „Manche werden sagen, das geschah vor der Aufklärung. Es war die Renaissance, oder die Reformation, oder das Große Schisma. Oder später: Es war Marx, oder Gramsci, oder Marcuse.“ Fest stehe aber: Vor der Aufklärung gab es noch Gott. Danach nicht mehr.

Damit, denke ich, hat der Blogger recht. Obwohl dann auch die Frage berechtigt ist, wie es denn zur Aufklärung kommen konnte. Da werden das Große Schisma, die Renaissance und die Reformation durchaus eine Rolle gespielt haben. Folgt man dem kürzlich verstorbenen Gelehrten Gary North, auch er ein Schüler Rothbards, liegt die Ursache noch tiefer in der Vergangenheit, nämlich im Versuch mancher Kirchenväter im zweiten und dritten Jahrhundert, durch Heranziehung altgriechischer Philosophie bei der Stützung ihrer theologischen Argumente der herrschenden Klasse den neuen Glauben schmackhafter zu machen.

Wie auch immer: Die Aufklärung erweckte den Glauben an die Autonomie des Menschen zu neuem Leben – Autonomie von Gott. Eine Autonomie, die, wie North messerscharf feststellte, zum Kollektivismus führt. Weil, da Aufklärung auch die Enthüllung der Wahrheit nahelegt, unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen nicht toleriert werden können. Also führt die Aufklärung unweigerlich zum Tod des Individualismus und der echten – im Gegensatz zur heutigen, falschen und verlogenen – „Diversität“, zugunsten einer Gleichschaltung und Homogenität. Und somit zur Notwendigkeit einer das Kollektiv steuernden relativ kleinen Gruppe von „Erleuchteten“, also „wahrhaft Aufgeklärten“.

Mit anderen Worten: Die konsequenteste Manifestation der Aufklärung ist der weltumspannende Sklavenstaat. Auf diesen steuern wir zu, solange die Aufklärung die kulturelle Hegemonie besitzt. Um das „lange“ 20. Jahrhundert, in dem wir uns offenbar immer noch befinden, endlich zu „widerrufen“, müssen wir also die Aufklärung und die Gottlosigkeit überwinden. Oder, und hier ist mein Vorschlag, was das strategische Ziel des Libertarismus sein sollte, vorgetragen im selbstbewussten Stil Rothbards: Wir werden die Aufklärung überwinden.

Quellen: 

Murray Rothbard: A Strategy for the Right (mises.org)

Bionic Mosquito: Stopping the Flood (lewrockwell.com)


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