09. Juni 2025 16:00

Grund für Wirtschaftswunder Aus Versehen reich geworden

1948 scheiterte der sozialistische Widerstand gegen die Preisfreigabe am nationalistischen Trotz gegenüber den Alliierten

von Robert Grözinger drucken

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Bildquelle: bissig / Shutterstock.com West-Deutschland kurz vor dem Wirtschaftswunder: Nur die Wenigsten verstanden, warum die Aufhebung der Preisbindung unverzichtbar war.

In diesem Monat jährt sich die (west-) deutsche Nachskriegswährungsreform und der Beginn des Wirtschaftswunders zum 77sten Mal. Eine Schnapszahl ist normalerweise kein Grund, sich eines Ereignisses zu erinnern. Ich schreibe heute darüber, weil ich glaube, der Lösung eines mich lange wurmenden Rätsels im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder auf der Spur zu sein. Diese Lösung, wenn sie stimmt, dürfte Wirtschaftshistoriker interessieren – und viele Libertäre sehr nachdenklich machen.

Es gab einen Aspekt an der Geschichte vom Wirtschaftswunder nach der Währungsreform und der Preisfreigabe, der mir lange nicht ganz stimmig war. Und zwar der Punkt, dass sich die Opposition gegen die Aufhebung der Preisbindung so schnell geschlagen gab, nachdem Tatsachen geschaffen worden waren.

Die damals offen sozialistische SPD war zuvor strikt dagegen – von den Kommunisten ganz zu schweigen. Wo blieb nach der Preisbindungsaufhebung der in diesen Kreisen übliche und geübte Agitprop gegen die freie Marktwirtschaft? Wo blieb der ständige Verweis auf „Opfer“ des „erbarmungslosen“ Kapitalismus? Geschwafel, das wir heutzutage von rosa-CDU über schimmel-Grün bis zur tiefroten Linkspartei gefühlt jede Minute hören? Wo blieb diese Propaganda damals?

Stattdessen gab sich die SPD 1959, also elf Jahre später, kleinlaut geschlagen und akzeptierte, jedenfalls auf dem Papier, mit ihrem Bad Godesberger Grundsatzprogramm das Prinzip der Marktwirtschaft. Ein kluger Schachzug, wie sich herausstellte. Sieben Jahre später war sie erstmals Koalitionspartner in der Bundesregierung. Zunächst mit der CDU in einer – damals noch tatsächlichen – „großen“ Koalition. Ab 1969 dann 13 Jahre lang als Kanzlerpartei mit der FDP als Juniorpartner. In der Zeit weitete sie den Wohlfahrtsstaat massiv aus. In der Zeit wucherten Regulierung und Sozialklempnerei ins Unermessliche. In der Zeit übernahm „Vater Staat“ die Führung der Familie und begann, sie zu zersetzen und zerstören. In der Zeit fing die Regierung an, die bereits hier und da eingeschränkte Marktwirtschaft zu erwürgen.

In den späten 1940er Jahren hätte aber auch von der CDU anhaltender Widerstand kommen können. Die Christdemokraten, jedenfalls in der britischen Besatzungszone (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein), hatten 1947 ihr Ahlener Programm verabschiedet, welches laut Wikipedia eine Politik vorsah, die „im Sinne eines ‚christlichen Sozialismus‘ sich von einer kapitalistischen Sozial- und Wirtschaftsordnung“ abwenden sollte.

Potential für einen massiven und effektiven Widerstand gegen die Preisfreigabe war da. Er manifestierte sich auch zunächst, aber nicht dauerhaft und effektiv. Warum? Es wäre, wenn man sich heutige Propagandakampagnen ansieht, für die Gegner der Marktwirtschaft ein Leichtes gewesen, der Ökonomie unkundigen Menschen, also 99,5 Prozent der Wähler, vorzugaukeln, dass diese Maßnahme „unerträgliche Ungerechtigkeiten“ erzeuge. Parteifolgsame Medien hätten rührselige Individualgeschichten von Konkursen, Arbeitslosigkeit, unbezahlbaren Notwendigkeiten und so weiter, die angeblich durch die wilde Marktwirtschaft verursacht worden waren, in Dauerschleife zum Besten geben können. Sie hätten all diese Geschichten in unzulässiger Weise verallgemeinert, um Angst vor der Freiheit zu schüren. Es wäre ihnen ein Leichtes gewesen. Angeblich entnazifizierte Medienmacher sowie ihre gar nicht „entsozisierten“ Kollegen hätten das im Schlaf gekonnt.

Es gab tatsächlich solche Versuche. Auf der Wikipedia-Seite über den „Vater des Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard, heißt es: „Erhards Wirtschaftspolitik war zunächst heftig umstritten, da die Lebenshaltungskosten in den ersten vier Monaten nach der Preisfreigabe um 14 Prozent anstiegen, die seit 1939 eingefrorenen Löhne jedoch nicht freigegeben wurden. Die Preiserhöhungen erreichten bis zu 200 Prozent, bei einzelnen Lebensmitteln wie Eiern bis zu 2000 Prozent. Nach Berechnungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften in Köln sank durch Erhards Wirtschaftspolitik die Lohnquote von 83 Prozent im Juni 1948 auf 45 Prozent im Dezember desselben Jahres. Im Falle geringer Verdienste reichte das Geld meist nur, die weiterhin noch bewirtschafteten Grundnahrungsmittel einzukaufen. Diese Lage führte im Spätsommer 1948 zu wachsenden sozialen Spannungen mit klassenkämpferischen Akzenten. Für den 12. November 1948 rief der Deutsche Gewerkschaftsbund zum Generalstreik auf, dessen Beteiligung circa 79 Prozent erreichte.“

Andererseits: „Die Preisfreigabe sorgte aber dafür, dass viele bisher gehortete oder nur auf dem Schwarzmarkt verkaufte Waren wieder regulär über den Einzelhandel verkauft wurden, das Warenangebot dadurch zunahm.“ War das aber ausreichend, um den Widerstand gegen die Maßnahme zu brechen? Zweifel sind angebracht. Warum aber scheiterte er? An einem weit verbreiteten und korrekten Wissen des Publikums über ökonomische Zusammenhänge kann es nicht gelegen haben. Aber warum dann? Das war mir immer ein Rätsel. Bis jetzt. 

Vor wenigen Tagen fand ich auf der Webseite des amerikanischen Ökonomen, Historikers und Theologen Gary North (1942–2022) folgende Zeitzeugengeschichte. North schrieb 2016 einen Artikel unter dem Titel „Der große Zahlungsausfall – Schizophrene Wähler: Der Glaube an den Ponzi-Staat“. Der Artikel – Link siehe unten – befindet sich hinter der Bezahlschranke. Die Erben des Autors haben mir dankenswerterweise die Genehmigung erteilt, daraus zu zitieren. In diesem Artikel erwähnt North unter anderem den Beginn des deutschen Wirtschaftswunders. Dabei rief er Worte eines kenntnisreichen Zeitzeugen in Erinnerung, der einen Aspekt dieses historischen Ereignisses beleuchtete, der zumindest mir unbekannt war. Ich vermute, dieser Aspket dürfte heutige Wirtschaftshistoriker interessieren.

Dieser Zeitzeuge war Hans Sennholz (1922–2007), ein deutscher Ökonom der österreichischen Schule. Ein Anhänger also der Denkschule von Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. Der Denkschule übrigens, der die sogenannte Freiburger Schule des marktwirtschaftlichen Ordoliberalismus nahestand. Ein Mitglied jener letzteren Schule, Wilhelm Röpke, war ein Schüler von Mises gewesen und laut North ein Lehrer Erhards. Sennholz war also in bester Lage, das Geschehen, das er aus nächster Nähe beobachtete, als Erhard die Preise freigab, richtig einzuordnen und zu interpretieren.

Auf der Wikipedia-Seite über den späteren ersten Bundeswirtschaftsminister heißt es: „Am 2. März 1948 wurde Erhard auf Vorschlag der Liberalen zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes gewählt und war damit für die Wirtschaftspolitik in den westlichen Besatzungszonen verantwortlich. Erhard wurde erst fünf Tage vor dem geplanten Termin von den West-Alliierten über den Zeitpunkt der bevorstehenden Währungsreform am 20. Juni 1948 informiert. Einen Tag vor der Reform ließ er über den Rundfunk verkünden, Zwangsbewirtschaftung und Preisbindungen seien für einen ersten Bereich industrieller Fertigprodukte aufgehoben.“ Letzteres tat er bekanntermaßen ohne Absprache mit den Alliierten – unter bewusster Missachtung ihrer protokollarischen Vorgaben. Diese zürnten zwar ein wenig, ließen ihn aber schlussendlich gewähren.

In seinem Artikel nennt North den nach seiner Promotion an der Universität Köln 1949 in die USA ausgewanderten Sennholz seinen „Freund und Mentor“. Der deutsche Ökonom habe ihm gegenüber gesagt, dass „Erhard die Unterstützung der meisten Deutschen hatte, nicht weil er ein Verfechter des freien Marktes war, sondern weil er die Kontrollen, die der Nation von den siegreichen Alliierten auferlegt worden waren, einseitig abschaffte.“

Weiter führte Sennholz laut North aus, dass Erhard als „deutscher Nationalist“ angesehen wurde. „Man schrieb ihm die Rettung des Landes zu, nicht wegen seiner wirtschaftlichen Überzeugungen, sondern wegen seiner Bereitschaft, den Amerikanern, Briten und Franzosen die Stirn zu bieten.“ Sennholz habe seine Ausführungen mit den Worten abgeschlossen, dass die Deutschen „diese Art der Liberalisierung der Wirtschaft niemals toleriert hätten, wenn ein Deutscher an der Spitze der Wirtschaft gestanden hätte.“

Da haben wir es. Das ist der Grund für die rätselhafte, untypische Wirkungslosigkeit des Widerstands gegen die Aufhebung der Preisbindung – in einem Land, dessen Bevölkerung im Großen und Ganzen den Staat wie einen Gott betrachtete und dies auch heute noch tut. Die Deutschen stimmten begeistert dem Ende der Preisbindung zu, nicht weil sie verstanden, was das ökonomisch bedeutete, jedenfalls nicht sofort. Sondern weil sie darin einen Akt trotzigen Widerstands gegen die Besatzungsmächte sahen. Besatzungsmächte, die zu jenem historischen Zeitpunkt stark vom Keynesianismus beeinflusst waren, also von einer Unterart des ökonomischen Faschismus. Eine Unterart, die mit der Preisbindungsaufhebung nicht ausgerottet wurde. Unter der wir daher noch immer leiden, die immer noch an den Universitäten gelehrt wird und die immer weiter wuchert. Wie ich schon einmal schrieb: Deutschland hat den Krieg verloren, aber der Faschismus, der ökonomische jedenfalls, hat ihn – langfristig – gewonnen. Mit allen vorhersehbaren negativen Folgen.

Mit anderen Worten: Hätten die Allierten eine Aufhebung der Preisbindung gefordert und durchgesetzt, hätten die in dem Fall viel ärmeren Deutschen mit dem Rückbau der Marktwirtschaft schon in den 50er Jahren begonnen – nicht erst, wie geschehn, in den 70ern. Vielleicht hätten wir uns dann Jahre vor 1989 zu einer gesamtdeutschen DDR gemausert und nicht erst – Achtung, Satire – 2021.

Was lernen wir daraus? Hier hilft ein weiteres Zitat von North aus dem oben angegebenen Artikel. Er beschreibt hier nicht nur die Deutschen, sondern den Westen insgesamt: „Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ist der Glaube an die Fähigkeit des Staates gewachsen, als Gott auf Erden zu fungieren. Die Wähler haben den bürokratischen Ausschüssen die Macht der Allwissenheit zugeschrieben. Sie sehen im Staatsapparat eine Art von Allwissenheit, Weisheit und ethischer Verantwortung, die die Menschen früher Gott, und nur Gott, zuschrieben.“

Die deutschen Nutznießer des Abbaus der staatlichen Preisbindung im Jahr 1948 hätten ihre Lektion nicht gelernt, so North weiter. „Die Ergebnisse waren gut, aber wie ein Hund, der zu seinem Erbrochenen zurückkehrt, stimmte die Öffentlichkeit für den deutschen Keynesianismus, und das tut sie immer noch.“ Das mit dem Hund stammt aus der Bibel. Genau gesagt aus Sprichwörter 26. Im elften Vers heißt es (Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980): „Wie ein Hund, der zurückkehrt zu dem, was er erbrochen hat, so ist ein Tor, der seine Dummheit wiederholt.“

Hier ist also das Grundproblem des Westens. Es ist ein Problem mit religiöser Dimension. Die Menschen werden aufhören, den Staat als Gott zu betrachten – aber nicht, weil wir ihnen zeigen, dass sie dann materialistisch und seelisch ein besseres Leben haben werden, obwohl das stimmt. In großer Zahl werden sie erst aufhören, den Staat als Gott zu betrachten, wenn sie einen anderen Gott finden, dem sie mehr vertrauen können.

Quellen:

Great Default - Schizophrenic Voters: Faith in the Ponzi State (Dr. Gary North, garynorth.com, hinter Bezahlschranke)

Ludwig Erhard (Wikipedia)

Währungsreform 1948 (Westdeutschland) (Wikipedia)

Hans Sennholz (Wikipedia)

CDU (Unterabschnitt Geschichte) (Wikipedia)


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