ÖRR-Dokus: Fakt oder Fiktion?
Wie viel Wahrheit steckt in Dokumentationen von Arte und Co?
von Sascha Koll
von Sascha Koll drucken
Vor einigen Monaten bin ich auf den Youtube-Kanal „Geschichtsfenster“ von Andrej Pfeiffer-Perkuhn gestoßen. Der Kulturwissenschaftler Pfeiffer-Perkuhn beschäftigt sich auf seinem Kanal – wie der Name vermuten lässt – mit Geschichte. Sein Schwerpunkt ist das Spätmittelalter, und die Video-Inhalte bilden von Krankheiten, Medizin, Handwerk, Fabelwesen über Katastrophen, Waffen, Kriege bis hin zum Alltag der im Mittelalter lebenden Menschen eine Vielzahl von Themenfeldern ab. Eines seiner Formate ist die Live-Reaktion auf Dokumentationen von „Terra X“, Arte, „Welt der Wunder“ und vielen weiteren TV- und Online-Produktionen. Um diese soll es heute gehen.
Auffallend ist, dass die meisten Produzenten von Mittelalter-Dokus das „finstere Mittelalter“ zu wörtlich nehmen. Pfeiffer-Perkuhn spricht vom Mittelalterfilter, der die meisten Spielszenen in einen dunklen Schleier hüllt, so als wäre das Mittelalter im wörtlichen Sinne dunkel gewesen. Doch eigentlich handelt es sich bei der Bezeichnung „finsteres Mittelalter“ oder im englischen „the dark ages“ um eine Beschreibung in Bezug auf die Quellenlage, die im Vergleich mit anderen Epochen teilweise etwas dürftig daherkommt. Die Dunkelheit des Mittelalters wird auch häufig so verstanden, dass Kriege und Seuchen allgegenwärtig waren, die Bewohner des Mittelalters Flacherdler, Abergläubige und rückständige, ungebildete Menschen waren. Auch seien die Straßen, die Bäche und Flüsse verschmutzt gewesen und es habe an Hygiene gemangelt. Mit all diesen Mythen räumt Pfeiffer-Perkuhn regelmäßig auf.
Was uns in „Terra X“ und in Dokumentationen von Arte präsentiert wird, ist größtenteils – Ausnahmen bestätigen die Regel – ein stark verzerrtes bis grob falsches Bild vom Mittelalter. Über die Requisiten-Ausstattung und Kleidung in heute gedrehten Spielszenen lässt sich Pfeiffer-Perkuhn regelmäßig aus. Diese passen meist nicht in die dargestellte Zeit, was den Kulturwissenschaftler und leidenschaftlichen Mittelalterdarsteller immer wieder stört. Doch viel dramatischer finde ich die Falschdarstellungen über das alltägliche Leben im Mittelalter. Die oben genannten Mythen und noch viele weitere halten sich hartnäckig in den von Zwangsgebühren finanzierten und als hochwertig angepriesenen Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dokumentationen des ÖRR dienen dann wiederum anderen Filmemachern als Quelle, wodurch teilweise hanebüchene Darstellungen immer weitergetragen werden und als Aufhänger für den nächsten „Zehn Fakten aus dem Mittelalter“-Clip dienen. Ist sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht bewusst, dass er geschichtliche Tatsachen verdreht oder durch keine Quelle belegte Mythen glaubt und weiterverbreitet? Wer sich selbst als Wissensvermittler betrachtet und sogar den gesetzlichen Auftrag hat, das Publikum zu bilden, darf meiner Meinung nach nicht so grob fahrlässig widerlegte oder umstrittene Aussagen in seinen Dokumentationen verwenden.
Nachdem ich mir mehrere Videos von Andrej Pfeiffer-Perkuhn angesehen habe und mittlerweile zum interessierten Stammzuschauer geworden bin, stellt sich mir mal wieder die Frage, ob die Qualität der Dokumentationen von Arte und „Terra X“ allgemein so schlecht ist wie jene über das Mittelalter. Ist etwa auch die Hälfte von dem, was ich über das alte Rom zu wissen glaube, ebenfalls falsch? Leider habe ich bisher nicht die Muße gefunden, jeder Doku, die ich je gesehen habe, hinterherzurecherchieren, aber mir fallen noch einige Themenfelder aus der Politik ein, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk grob falsch dargestellt werden. Somit gehe ich davon aus, dass auch andere Dokumentationen verzerrte Ansichten darbieten.
Über Dokumentationen der Folgen des Klimawandels, der Energiewende oder Umsetzbarkeit von politischen Forderungen schreiben sich Wissenschaftler die Hände wund, tragen ihre Ergebnisse vor und widerlegen praktisch jeden Satz, der in solchen Dokus gesprochen wird. Ein herausragendes Beispiel sind die Vorträge von Hans-Werner Sinn über die Unmöglichkeit der Energiewende, wie sie sich die Politik vorstellt. Aber auch Mythen um den Nationalsozialismus haben sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt, so wie jener, dass er kapitalistisch und der „Sozialismus“ im Namen eine Nebelkerze gewesen sei.
Was kann ich eigentlich noch glauben, wenn ich den Fernseher beziehungsweise meinen Monitor und die Lautsprecher einschalte, wenn sogar schon relativ unpolitische Themen wie das Leben im Mittelalter stark verzerrt dargestellt werden? Bei politischen Themen kann man sich eine voreingenommene Berichterstattung noch durch als Journalisten getarnte Aktivisten erklären, doch wo ist die Lobby, die das Mittelalter auf Teufel komm raus schlecht darstellen will und welchen Zweck soll sie damit verfolgen? Da mir dafür kein stichhaltiger Grund einfällt, gehe ich davon aus, dass sie nicht bewusst lügen – wie Oliver Janich sagen würde –, sondern einfach nicht recherchiert haben. Seitdem ich „Geschichtsfenster“ konsumiere, sehe ich mir Dokumentationen über geschichtliche Ereignisse ebenso kritisch an wie Berichte über Politik. Ob Falschdarstellungen nun bewusst oder unbewusst in Berichte und Dokumentationen eingearbeitet werden, ist, wenn sie letztendlich im Umlauf sind, zweitrangig. Wichtiger ist, über diese aufzuklären, und ich denke, dass diesbezüglich Herr Pfeiffer-Perkuhn auf seinem Kanal gute Arbeit leistet und dazu beiträgt, dass die Konsumenten solcher Dokus nicht alles blind als Fakt verinnerlichen und den Wahrheitsgehalt dieser und hoffentlich auch anderer Produktionen hinterfragen.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.