13. März 2023

Twitter- und WhatsApp-Enthüllungen in USA und UK Die „Internet-Reformation“ geht weiter

Langfristig werden die Torwächter und ihre Auftraggeber von der Informationsflut hinweggespült werden

von Robert Grözinger

Während in den USA gleich zwei spektakuläre Enthüllungen das Land erschüttern – nämlich die Twitter-Dateien über die von Regierungsbehörden dort „angeregten“ Sperrungen und Löschungen sowie die Darstellungen von Filmmaterial von Überwachungskameras in und um das Kapitolgebäude am 6. Januar 2021, die eine ganz andere Geschichte erzählen als die vom Mainstream bevorzugte – läuft in etwas kleinerem Maßstab eine ähnliche Enthüllung in Großbritannien ab. Dort veröffentlicht derzeit die konservative Tageszeitung „The Telegraph“ interne WhatsApp-Kommunikationen des während der Coronakrise amtierenden Gesundheitsministers Matt Hancock. Diese und andere aktuelle Vorgänge erzählen eine gemeinsame Geschichte: Die „Internet-Reformation“ läuft trotz Gegenreaktion der Herrscherkaste weiter und wird sich nicht aufhalten lassen.  

Sowohl bei den Vorgängen im Land jenseits des großen Teiches als auch auf der Insel jenseits der Nordsee sind zwei Ebenen zu beleuchten. Zum einen die inhaltliche, zum anderen die Ereignisebene – womit ich die Tatsache meine, dass die Enthüllungen überhaupt stattfinden. Diese letztere Ebene erscheint mir viel wichtiger, weil sie grundlegender über unsere Zeit Auskunft gibt. 

Zum Inhalt will ich mich hier nur auf das britische Beispiel konzentrieren. Und auch da nur auf zwei Äußerungen, die jedoch äußerst symptomatisch sind. Zum einen wollte Hancock die Bevölkerung „zu Tode erschrecken“ – „scare the pants off“, um sie im Hinblick auf die Corona-Restriktionen gefügig zu machen. Wie er das machen wollte? Durch „Nutzung“ einer neuen Virusvariante. Wörtlich sagte er „deploy“, was interessanterweise auch „anwenden, einsetzen, entfalten“ und Ähnliches heißen kann. Die Sprache ist verräterisch: Allmachtsphantasien tobten sich aus. 

Diese und viele andere, ähnliche Äußerungen erinnerten die investigative Journalistin Isabel Oakeshott, die als Autobiographie-Ghostwriterin Hancocks sein Vertrauen ausnutzte und an die WhatsApp-Dateien kam, an römische Kaiser, die im Kolosseum nach Gutdünken und lediglich mit lässigen Daumendrehungen Gladiatoren zu Tode verurteilten oder begnadigten. So berichtet sie es in einem hörenswerten Interview mit dem „Spiked“-Online-Journalisten Brendan O’Neill – siehe Link unten.  

Nicht Bösartigkeit sei bei Hancock und seiner Umgebung die treibende Kraft gewesen, meint Oakeshott. Politiker befanden sich stattdessen plötzlich in einer Situation, von der sie heimlich träumen. Auf einmal waren sie auf einem Kreuzzug und sahen sich als Superhelden im Kampf gegen ein Ungeheuer. Das kann einem dann schon mal zu Kopf steigen. Um so mehr, darf man hinzufügen, je weniger sich zuvor im Kopf befindet. Und da kann man bei Hancock schon das eine oder andere Defizit vermuten. Denn er setzte seinen Posten und seine Ehe ebenso leichtsinnig aufs Spiel, wie er mit der Gesundheit der Bevölkerung und Wirtschaft seines Landes fuhrwerkte.     

Menschlich wirkt der ehemalige, britische Gesundheitsminister lustiger und etwas weniger unbedarft als sein deutsches Pendant. Auf den Engländer trifft außerdem nicht zu, was FDP-Politiker Wolfgang Kubicki über seinen Koalitionskollegen lästerte: Er habe „keine Frau“. Matt Hancock hat – genauer gesagt, er hatte – derer zwei. Jedenfalls während eines der Lockdowns, als noch Sicherheitsabstandsregeln galten. Bekannt ist das Bild aus jenen Tagen, in welchem der verheiratete Abgeordnete des Wahlkreises West Suffolk zu sehen ist, wie er, fälschlicherweise sich in einem Orwellschen „toten Winkel“ der ministeriumsinternen Überwachungskameras vermutend, seine Assistentin, die nicht seine Ehefrau ist, heftigst umarmt und küsst. – Womit er zum Schutzpatron aller Heuchler avancierte. 

Die zweite symptomatische Äußerung, die übrigens von der Inhalts- zur Ereignisebene überleitet, ist eine des leitenden verbeamteten Staatssekretärs und Beraters des Premierministers, Simon Case. Während Wirtschafts- und Finanzminister darauf drängten, die Richtlinien so zu ändern, dass Gastronomiebetriebe eine Liste von Namen und Kontaktdaten von Gästen nur führen „können“ sollten und nicht „müssen“, fragte Hancock Case nach seiner Meinung, warum diese Politiker auf diese Lockerung bestehen. Der zu politischer Neutralität verpflichtete Case schrieb zur Antwort drei Worte: „Pure Conservative ideology“ – was im Kontext übersetzt bedeutet: Pure libertäre Ideologie. Denn es gibt in der britischen Konservativen Partei eine gewisse libertäre Ader – ein Grund übrigens, weshalb es überhaupt zum Brexit kommen konnte. Eine schwache Ader zwar, aber für Etatisten wie Case offenbar ein scharlachrotes Tuch. Besonders seit dem Brexit.     

Es kann gut sein, dass diese drei entlarvenden Worte Herrn Case die Karriere kosten werden. Nicht, weil er den Libertarismus verachtet, sondern weil er seine Verachtung äußerte und diese Äußerung publik wurde. Aber das nur nebenbei. Wesentlicher ist der Punkt, dass dieser für unsere Zeit so typische „Manager-Typ“ im Libertarismus ein echtes Problem erkennt. Eine Ideologie, die seine Existenzberechtigung als Manager des Lebens anderer in Frage stellt. – Womit ich bei der Ereignis-Ebene bin.

Bedeutender als die Inhalte dieser und ähnlicher aktueller Enthüllungen ist, dass sie überhaupt stattfinden. Diese Vorfälle haben eines gemeinsam: Sie manifestieren einen fortschreitenden Kontrollverlust über Informationsfluss und Narrativsetzung. Das Internet entfesselt seit seinem Bestehen die Informationen. Die Informations-Torwächter, also die Hauptstrommedien, bewachten Tore, die plötzlich sperrangelweit offenstehen. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach darüber gesprochen und geschrieben. Meiner Meinung nach sind wir Zeitzeugen einer „Internet-Reformation“ analog zur protestantischen Reformation, die durch die Erfindung der die Information befreienden Druckerpresse mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor erst möglich wurde, und die Gesellschaft der westlichen Welt umwälzte wie nichts zuvor und seither. 

Damals wie heute gab es eine Gegenreaktion der Mächtigen. Damals führten die Fürsten Druck- und Buchlizenzen ein. Heute lagern die Nachkommen der Fürsten die verfassungsmäßig verbotene Zensuraufgabe an die Tech-Firmen aus. Sie agieren hinterhältiger als ihre Vorgänger. Sie taten lange so, als geschähe das nicht. Sie ließen die Lüge verbreiten, entsprechende Anschuldigungen seien haltlose „Verschwörungstheorien“. Sie sind aufgeflogen.

Das Entscheidende dabei: Es war eine Re-Aktion. Eine, die ernsthaft erst nach 2016 auftrat, also nach dem Brexit und der Wahl von Trump. Nachdem zwei das Regime der Manager überrumpelnde „Volksaufstände“, die ohne das Internet so nicht hätten stattfinden können, erste greifbare und für das Regime materiell schmerzhafte – oder zumindest angsteinflößende – Ergebnisse zeitigten.

Warum ist das entscheidend? Das Regime der Manager – ein vom US-amerikanischen Soziologen James Burnham vor mehr als 80 Jahren geprägter Begriff für die Herrschaftsstruktur unserer Zeit – ist durch und durch etatistisch. Das heißt, es ist bürokratisch. Das wiederum heißt, dass es vergangenheitsorientiert ist, nicht zukunftsorientiert. Dass es risikoavers ist, nicht risikofreudig. Dass es zu Zentralisierung und zentraler Planung tendiert. Also zu Erstarrung. Es kann nicht agieren. Nur re-agieren.

Unternehmerische, also zukunftsorientierte Geister können agieren. Sie finden immer wieder Wege, die Ideologen, Nutznießer und Torwächter dieser rückwärtsgewandten Erstarrung auszutricksen. Die kluge Frau Oakshott zum Beispiel, die von der offensichtlichen Nutzlosigkeit und schieren Unmenschlichkeit der Lockdowns und anderer „sicher ist sicher“-Pandemiemaßnahmen zur Weißglut getrieben wurde, wusste, dass sie mit ihrem attraktiven Äußeren den Schürzenjäger Hancock umgarnen konnte. Letzteres hat sie nicht gesagt; das ist eine reine Vermutung von mir. Hancock dagegen hat zwar auch Risikobereitschaft bewiesen, aber nur im persönlich-privaten Bereich. In seiner Kapazität als Minister hat er „nur“ das Leben und die Lebensgrundlagen anderer riskiert. Die englische Sprache kennt dafür den Begriff „moral hazard“, welcher ein weiteres typisches Phänomen des Manager-Regimes ist.     

Elon Musk hat zwar viel staatliches Geld erhalten, aber ohne Risikobereitschaft hätte er seine Milliarden nicht verdient. Daher gehören die Twitter-Enthüllungen in dieselbe Kategorie wie die WhatsApp-Enthüllungen. Ebenso die Enthüllung der Aufzeichnungen von Überwachungskameras im und am Kongressgebäude am 6. Januar 2021. Fox News erhielt diese zwar von einem politischen Konkurrenten der Partei des gegenwärtigen Präsidenten – also einem Anwärter auf die Elite der Managerklasse, aber es bedurfte der Risikobereitschaft des TV-Moderators und Kommentators Tucker Carlson, die wesentlichen Bilder und Erkenntnisse daraus publik zu machen.

Ich würde sogar die Tatsache, dass, wie die „Junge Freiheit“ vergangene Woche berichtete, Mafiabanden die Plattform „Tik Tok“ zur Selbstdarstellung und Nachwuchswerbung benutzen, als weiteres Zeichen dieses Phänomens unserer Zeit werten: „Die Behörden können zwar auch mitlesen, die schnelle Dynamik der Online-Netzwerke stellt sie jedoch vor Probleme“, schreibt das Blatt. Die Polizei wirkt hier wie der Hase zwischen den zwei Igeln, die ihm bei Ankunft zurufen: „Ich bin schon da.“

Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass das Regime der Manager an seine Grenzen stößt. Das zunehmende Versagen der Behörden in so gut wie allen Lebensbereichen, wo sie die Bevölkerung darauf getrimmt hat, sich auf sie zu verlassen, macht eine grundlegende Strukturänderung notwendig – und langfristig unausweichlich. Eine Strukturänderung, die der durch das Internet und soziale Medien gesteigerten Nutzbarkeit der Risikobereitschaft, Zukunftsorientiertheit und des Unternehmertums – mit anderen Worten: Der Machbarkeit der Privatisierung – Rechnung trägt.

2016 wachten die Informations-Torwächter aus ihrem Beamtenschlummer auf und versuchen seither, das Tor, das bis dahin jahrelang weit offenstand, wieder zu schließen. Ereignisse der vergangenen Wochen in verschiedenen Ländern legen nahe, dass ihnen dies nicht gelingen wird. Die steigende Informationsflut wird einen Großteil von ihnen hinwegspülen. Ihr Aufgabenbereich, und der ihrer Managerkollegen in der Herrscherkaste, wird langfristig deutlich schrumpfen.

Quellen:

Isabel Oakeshott: Why I released the Lockdown Files (YouTube)


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