13. März 2023 19:00

Politisches Minenfeld Genetik als Faktor für die politische Zugehörigkeit (Teil 2)

Der genetische Elefant im Raum besteht trotz seiner „politischen Unkorrektheit“

von Philipp A. Mende (Pausiert)

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Die Bereiche Genetik, Erfahrung, Erziehung, Sozialisierung, Umwelt und Bildung sind meines Erachtens wesentlich enger miteinander verbunden als gemeinhin angenommen. In der letzten Kolumne wurde ein erster Einblick hinsichtlich des Umstands gewährt, dass mit dem sogenannten DRD4-Gen beziehungsweise seinem 7r-Allel ein „politisches Gen“ vorliegt, das nachweislich mit politischen Einstellungen in Verbindung steht. Und nein, es wird nicht behauptet, dies sei der alleinige Faktor für letztere.

Es existieren zahlreiche Hinweise, wonach ein stark ausgeprägter DRD4-7r-Träger zwei unterschiedliche Psychologien hervorbringt. Es gibt weitere Belege dafür, dass die Entwicklungswege, die zu diesen beiden Psychologien im Erwachsenenalter führen, durch frühe Erziehungserfahrungen ausgelöst werden, und dass sich die unterschiedlichen Auswirkungen dieser Erziehungserfahrungen erstmals in der frühen Kindheit manifestieren, also lange vor dem Alter, in dem sich laut Professor Doktor Jaime E. Settle Freundschaften als Ideologie bilden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass früher psychosozialer Stress, wie er sich auf den Entwicklungsweg von DRD4-7r-Trägern auswirkt, Paarungsstrategien vom „Typ r“ – wie zum Beispiel Untreue – hervorrufen kann.

Wenn (!) dies zutrifft, ist die höhere Anzahl von Freunden in der Jugend bei Trägern des 7r-Allels, die nach eigenen Angaben einer linken politischen Ideologie anhängen, möglicherweise kein Umweltfaktor, der die Entwicklung des „Linkstums“ auslöst. Vielmehr könnte dies lediglich ein frühes Anzeichen für eine entstehende darwinistische Strategie sein, die in der frühen Kindheit ausgelöst wird und darauf abzielt, Konfrontationen und Konflikte zu vermeiden, indem sich die Betroffenen quasi mit allen anfreunden, denen sie begegnen („We are one world!“). In Anbetracht der Tatsache, dass Linke nachweislich ein verringertes Amygdala-Volumen haben (siehe frühere Kolumnen) und dass Menschen mit Amygdala-Läsionen weniger in der Lage sind, Freund von Feind zu unterscheiden („Refugees welcome, no matter what!“), könnte diese Offenheit für Beziehungen entsprechend darauf zurückzuführen sein, dass Linke weniger dazu neigen, Freund von Feind zu unterscheiden, unterscheiden zu wollen und/oder unterscheiden zu können.

Linkes Annäherungsverhalten im Falle einer Bedrohung wäre demnach eindeutig ein evolutionärer Mechanismus, der die Gesamtsterblichkeit senken soll, indem er, also der Mechanismus, die freundschaftliche Annäherung und die Verhandlung zwischen solchen Individuen gegenüber Konflikten fördert. Interessanterweise könnte die Arbeit von Professor Doktor Settle darauf hindeuten, dass diese Entwicklungsdivergenz in der Adoleszenz schon weit fortgeschritten ist, da einige Kinder sich mehr auf Beziehungen mit einer kleinen Anzahl von Freunden konzentrieren – was Konflikte und Wettbewerb fördern könnte –, während andere weniger konfrontativ werden und offener dafür sind, Beziehungen mit mehr oder weniger allen Personen in ihrer Umgebung einzugehen.

Wenn (!) politische Ideologien mitunter in der Neurobiologie verwurzelt sowie evolutionspsychologisch erklärbar sind, wofür es mittlerweile stichhaltige Indizien und Belege gibt, wird die ideologische Entwicklung durch Konditionierungseffekte beeinflusst. Genetische Faktoren, die diese Konditionierungseffekte begünstigen, könnten somit in Verbindung mit dem Vorhandensein geeigneter Konditionierungsreize zur ideologischen Entwicklung beitragen. In diesem Fall ist DRD4-7r (bisher) das einzige Gen, das eine Prädisposition für die umweltbedingte Konditionierung der linken oder – falls nicht betroffen – auch nicht-linken Ideologie aufweist, und diese Information könnte nicht nur einen Einblick in die genetischen Grundlagen von Ideologien geben, sondern auch in die Art und Weise, wie die Umwelt Ideologien beeinflusst. Das meinte ich oben mit der Aussage, dass die Bereiche Genetik, Erfahrung, Erziehung, Sozialisierung, Umwelt und Bildung höchstwahrscheinlich wesentlich enger miteinander verbunden als gemeinhin angenommen beziehungsweise „erlaubt“.

Die jüngere Forschung über soziales Verhalten und Kognition beim Menschen zeigt, dass er ein Produkt vielfältiger genetischer Einflüsse ist, und dies sollte folgelogisch auch für die Annahme einer politischen Ideologie gelten – um ehrlich zu sein wäre es doch fast schon infantil, zu behaupten, dass ausgerechnet in jenem Bereich nicht die geringste Korrelation mit unserem genetischen Selbst, unserer genetischen Veranlagung bestehe. Letztlich haben wir es hier mit einer weiteren Form des sich selbst auferlegten, vorauseilenden Denkverbots zu tun, nachdem vor den geistigen Augen vieler anscheinend irgendwelche irren Eugeniker oder Ähnliches durchs Bild hüpfen. Die Herausforderung besteht also nicht nur darin, die Wahrscheinlichkeit von Genetik in Bezug auf politische Ideologien seriös zu erörtern, sondern auch, sich diesbezüglich selbst die Erlaubnis dazu zu erteilen! Seit gefühlten Ewigkeiten wird davon ausgegangen, dass die Annahme politischer Ideologien und das Festhalten an ihnen (nur) durch Erfahrungen beeinflusst werden. Alles deutet jedoch darauf hin, dass die Variation der DRD4-Allele eine gewisse Rolle bei der Ausprägung der politischen Ideologie beim Menschen spielt, und sie bietet eindeutig mehrere mögliche biologische Wege, über die eine solche Wirkung ausgeübt werden kann.

Philipp A. Mende: Widerstand. Warum zwischen linker und rechter Politik eine Schlacht der Gene wütet.

Buchbesprechung über „Widerstand“ von Horst Lüning (YouTube)


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