20. März 2023

Symbolik der Freiheit Wie uns Mythologie in düsteren Zeiten helfen kann

Eine Mediation zum Frühlingsanfang über Selbsterkenntnis und Überwindung von Furcht

von Robert Grözinger

Heute, am 20. März, erreicht unser Planet in diesem Jahr den Frühlingspunkt seiner Umlaufbahn. Die 24 Stunden dieses Datums teilen sich Tag und Nacht sozial gerecht. Und zwar vom Nord- bis zum Südpol, also sogar global-sozial gerecht. An fast allen anderen Tagen, abgesehen vom astronomischen Herbstbeginn im September, findet diese vorbildlich kommunistische Gleichverteilung solar beleuchteter und unbeleuchteter Stunden ganzjährig nur entlang des Äquators statt. Der Rest der Breitengrade muss sich mit einem temporal über das Jahr verteilten Tag-Nacht-Ausgleich zufrieden geben.

Menschen, die vor etlichen Jahrtausenden erstmals ihre nah-äquatoriale Ursprungsregion Richtung Norden und Süden verließen, waren die ersten unserer Art, die den Wechsel der Jahreszeiten kennen- und insbesondere die Segnungen des Frühlings schätzen lernten. Entsprechend wurde er besungen und bejubelt. Diese Jahreszeit steht seither für die Hoffnung auf Erneuerung und Befreiung aus der Düsternis. Es ist kein Zufall, dass Ostern im Frühling stattfindet und sein Datum von astronomischen Begebenheiten, die mit dem Frühlingspunkt zu tun haben, abhängt.

Dieser Tage erleben wir den Hauch eines politischen Frühlings. Bei Bild-TV stürmte ein beleidigter Impffanatiker aus dem Studio, weil ihm Contra gegeben wurde, als er Äußerungen des „Bundesgesundheitsministers“ verteidigte, der früher behauptet hatte, die Corona-„Impfung“ sei nebenwirkungsfrei. Dazu sei er quasi gezwungen gewesen, so der Verteidiger des Regierungsmitglieds, weil „Impfgegner“ so „absurde“ Behauptungen aufgestellt hätten – da habe der Minister eben gegenhalten müssen. Das, so Bild-Chefredakteur in Nordrhein-Westfalen, Frank Schneider, sei „großer Unsinn“. Da verließ der Impffanatiker das Studio noch schneller als bei Fausts Osterspaziergang der „alte Winter“ die „grünende Flur“. Nicht einmal einen „ohnmächtigen Schauer körnigen Eises“ warf er, schwindend, in die Runde.

Manfred Lütz, so der Name des wackeren Reckens Karl Lauterbachs, ist Wikipedia zufolge „Psychiater, Psychotherapeut, römisch-katholischer Theologe, Berater des Vatikan und Buchautor“. Einer der Kommentare unter dem entsprechenden Video bei Youtube – siehe Link unten – sagt alles, was zu sagen ist: „Ein Psychiater, der eine Diskussionsrunde verlässt, weil er die Nerven verliert, ist genau mein Humor.“

Seit der „Bundesgesundheitsminister“ live und in Farbe zugegeben hat, dass es in Deutschland zumindest mehrere tausend Menschen mit schweren, „teilweise permanenten“ Impfschäden gibt, ist unter „Coronatikern“ offenbar der Teufel los. Für die vom Schaden Betroffenen ein äußerst schwacher Trost – erst recht für Angehörige von Verstorbenen. Dass Lauterbach noch nicht zurückgetreten ist oder entlassen wurde, ist nicht nur ein Hohn, sondern Zeugnis der fortlaufenden grausamen Scharlatanerie, die uns den schrecklichen Schlamassel eingebrockt hat. Die Trauerarbeit persönlich Betroffener, die der Propaganda der Seilschaft bösartiger Clowns geglaubt oder einem massiven Druck aus dem gleichen Klüngel nachgegeben haben, fängt gerade erst an.

Ohne die Notwendigkeit dieser Trauerarbeit zu vernachlässigen, sollten wir dennoch den jetzt frühlingshaft keimenden und sprießenden Widerstand begrüßen und fördern. Dabei helfen kann uns ein Rückgriff auf die Mythologie, die mit Geschichten und Bildern arbeitet und somit wirkmächtiger Lehren vermitteln kann als so manches noch so logisch-stringentes Traktat. Nichts gegen logisch-stringente Traktate, manche meiner besten Freunde sind logisch-stringente Traktate, aber alles hat seine Zeit und seinen Platz. Heute, am Frühlingsanfang, darf die Mythologie den Vorrang haben.

Ein Komponist des 19. Jahrhunderts hat mehr als viele andere Künstler uralte Mythologie für die Moderne begreifbar gemacht. Ihm gelang es somit auch, das Frühlingsthema für eine machtvolle, freiheitsbezogene Botschaft zu nutzen. Die Rede ist von Richard Wagner und einer bestimmten Szene in einer seiner vielen Überlängenopern, nämlich „Die Walküre“. In der dritten Szene des ersten Aufzugs lernen wir, dass passives Warten auf Wandel zum Besseren nicht nur nutzlos, sondern eines vollständig gereiften Menschen unwürdig ist. Und: Dass dieser Wandel nur auf der Grundlage tiefgründiger Selbsterkenntnis gelingt. 

Als ich Anfang der 90er Jahre erstmals dieses Werk sah, war ich unter anderem fasziniert von inhaltlichen Überschneidungen zwischen der erwähnten Szene und der mir in Grundzügen vertrauten Artus-Sage. Wenn unterschiedliche Mythen ähnliche Elemente in sich tragen, dann können wir davon ausgehen, dass diese Elemente Aussagen über wesentlichste, tiefste Wahrheiten des Menschseins in sich tragen.

Hier möchte ich zwei wesentliche Überschneidungen hervorheben. Die erste: Niemand, so scheint es zunächst, kann ein mit magischen Kräften in einen masiven natürlichen Gegenstand eingerammtes Schwert aus seiner Stellung entfernen. Selbst die Stärksten schaffen es nicht, die Waffe auch nur um eine Haaresbreite herauszuziehen. Dann schafft es doch jemand: In beiden Fällen ein sich in höchster Not befindender junger Mann, in beiden Fällen ein bisheriger, scheinbarer Niemand. 

In der Artus-Sage sitzt das Schwert in einem Felsen, der auf einem Sockel ruht, auf dem geschrieben steht, dass derjenige, dem es gelingt, die Klinge herauszuziehen, der nächste König von England sei. In der auf nordischen Sagen basierenden Oper Wagners steckt das Schwert in einem Baum. Hier gibt es kein geschriebenes, dafür ein implizites Versprechen. Hier geht es nicht um ein Königreich. Der Preis ist hier eine junge Frau in einer schlimmen Notlage. Der Baum steht inmitten des Hauses eines Mannes, der dort vor Jahren seine Hochzeit feierte, als inmitten der Festlichkeit ein Fremder eintrat, dessen Erscheinen allein die Feiernden zum Verstummen brachte. Wichtig hier: Die Braut wurde zur Hochzeit gezwungen. Der Fremde, ein alter Mann mit tiefsitzendem Hut – an der musikalischen Begleitung, einem sogenannten „Leitmotiv“, für das Publikum unfehlbar als Göttervater Wotan zu erkennen – und nur einem Auge, mit dem er die Gäste böse anblickt, holt ein Schwert unter seinem Gewand hervor und stößt es „bis zum Heft“ in den Baum.

Nebenbei: Dies ist dramaturgisch der wohl stärkste Auftritt Wotans im ganzen, aus vier Opern bestehenden Ring-Zyklus. Und das, obwohl, oder gerade weil das Publikum ihn und diese eben beschriebene Szene gar nicht sieht. Jedenfalls nicht auf der Bühne, sondern nur im geistigen Auge. Denn dieser Teil der Geschichte wird von der Braut erzählt. Sie erzählt es ihrem zukünftigen Retter.

In der Artus-Sage war der vorherige König gestorben, aber sein Thronfolger, damals ein Säugling, war verschwunden – vom Magier Merlin in Sicherheit gebracht. Ohne starke Führung versank das Land in Kämpfen verschiedenster Warlords untereinander. Die öffentliche Sicherheit brach zusammen. Es war eine düstere Zeit.

In der Walküre sehnt sich die zwangsverheiratete Frau, Sieglinde ist ihr Name, nach einer Möglichkeit, ihrem unglückseligen Schicksal, ihrer „düsteren Zeit“, zu entkommen. Sie weiß, dass irgenwann jemand kommen wird, der das Schwert aus dem Baum reißen wird. Der wird ihr Retter sein. Allein der Blick des Einäugigen habe ihr das gesagt. Und genau so kommt es. Dass der junge Mann, der plötzlich aus dem Wald ins Haus schneit, ihr Zwillingsbruder Siegmund ist, wird ihr erst allmählich bewusst – und ihm umgekehrt ebenfalls. Wir erfahren darüber hinaus, dass der einäugige Alte nicht nur Wotan, sondern auch der Vater der Zwillinge war, den sie „Wälse“ nannten. Auch für Siegmund scheint zunächst eine „düstere Zeit“ angebrochen zu sein – ihm droht der Tod am nächsten Morgen, denn der Ehemann Sieglindes hat ihn als seinen Feind erkannt. Siegmund ist waffenlos – und erinnert sich, dass sein Vater ihm versprochen hatte, ihm werde in höchster Not ein ihn rettendes Schwert zufallen.  

Das zweite übereinstimmende Element in beiden Sagen ist der Inzest. Artus schläft mit seiner Halbschwester Morgan le Fay und zeugt so seinen Sohn Mordred, der ihn am Ende tötet. In der Walküre werden die Zwillingsgeschwister ebenfalls einen Sohn zeugen – Siegfried. Siegmund wird kurz darauf auf Veranlassung Frickas, der Göttin der Ehe, umgebracht. Die Geschwister Siegmund und Sieglinde sind fast ihr ganzes bisheriges Leben lang voneinander getrennt gewesen. Doch nun, in dieser Frühlingsnacht, fühlen sie sich körperlich unwiderstehlich zueinander gezogen. Die Musik spricht eine deutliche Sprache und der Vorhang zu diesem Aufzug fällt, wie Loriot in seiner brillanten Ring-Nacherzählung witzelt, „gerade noch rechtzeitig“.

Ich habe unten die entsprechende Szene verlinkt, und zwar aus aus dem „Jahrhundertring“ von 1976 in Bayreuth. Es ist künstlerisch-musikalisch bei weitem nicht die schlechteste Version und hat zudem den Vorteil, mit Untertiteln belegt zu sein. Ich empfehle Ihnen, sich in den kommenden Tagen 25 Minuten Zeit zu nehmen, um sich diese Szene von Anfang bis zum Ende – bis zum „gerade noch rechtzeitigen“ Fall des Vorhangs – zu gönnen.  

Im Inzest-Element sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Die psychologisch-innere und die gesellschaftlich-äußere. In der inneren Ebene symbolisiert Inzest in der Mythologie die Reifung des Menschen, der seine weibliche und männliche Seite erkennt und vollständig integriert. Das heißt nicht Bisexualität, sondern die Erkenntnis, dass wir alle gewisse Charaktereigenschaften besitzen, von denen statistisch einige bei Frauen und andere bei Männern stärker ausgeprägt, aber dennoch bei allen in gewissem Maß vorhanden sind. Erst als ein solch vollständig seiner Selbst bewusster und gereifter Mensch ist Siegmund in der Lage, sich das Schwert anzueignen. Die äußere Ebene des Inzests symbolisiert die Notwendigkeit eines Tabubruchs, um eine bedrückende Lage zu beenden. Eine Befreiung gelingt nicht, ohne dass irgendetwas zu Bruch geht. Inzest ist wohl der größte Tabubruch von allen und wird somit in Mythen als erzählerische Überspitzung genutzt. Ein Tabubruch, so eine weitere Warnung der Mythen, ist nie kostenlos.

Nun zur Symbolik des Schwertes. Dazu habe ich ein paar interessante Gedanken auf der Webseite veritopia.org gefunden, die unten verlinkt ist. Der anonym bleibende Autor jener Webseite meint, wortwörtlich den Stein der Weisen gefunden zu haben. Aber das braucht uns nicht zu stören. Seine Gedanken zum Schwert im Stein bei Artus sind bestechend. Das herausgezogene Schwert symbolisiere den die Beschränkungen der Materie überwindenden Geist, heißt es dort. Das in der Materie gefangene Schwert versinnbildliche dagegen das alltägliche, in materiellen Sorgen verfangene Denken. Es symbolisiert Menschen, die nicht zwischen Geist und Materie unterscheiden können. Also solche, die „nicht in der Lage sind, sich zu beherrschen und unweigerlich die Marionetten der einen oder anderen Ideologie werden.“ Das seien die Herdenmenschen, der Mob. 

Das Schwert symbolisiere die Schärfe der Logik. Die befreite Klinge ist in der Lage, Gut von Böse zu trennen. Ihre Kreuzform symbolisiert die Wegkreuzung, also die Entscheidungsnotwendigkeit, aber auch -freiheit, also die Freiheit selbst. Das Herausziehen des Schwertes sei „die Verwirklichung der wahren eigenen Natur als Geist, der nicht sterben kann und daher nichts zu fürchten hat. An diesem Punkt verliert die Materie ihre Macht über dich und ihr Griff um deine Seele ist gelöst.“ Damit symbolisiere diese Handlung „die Güte Gottes und der wahren Bestimmung des Menschen, seine animalische Natur zu überwinden und das Rad der Inkarnation zu verlassen.“

Auf die Realität und das Diesseits übertragen heißt das alles: Ein aus einem Studio herauspolternder Psychiater mit psychologischen Problemen macht noch keinen politischen Frühling. Aber irgendetwas geschieht hier, irgendetwas ist in Bewegung geraten. Möglicherweise sind die notwendigen Bedingungen vorhanden, noch nicht aber die hinreichenden. Ein echter politischer Frühling kommt erst, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens ist unter den Akteuren persönliche Reifung nötig – anders gesagt, es ist nötig, „königlich“ zu werden. Es ist nötig, die Fähigkeit zu entwickeln, von der Unmittelbarkeit der Materie zu abstrahieren und in Prinzipien zu denken. Zweitens müssen wir, die Freiheit wollen, den Mut aufbringen, Tabus zu brechen. Und bereit sein, die Kosten des Tabubruchs zu tragen.

Ein abschließendes Wort noch: Nächste Woche will ich hier über ein spannendes neues Projekt schreiben, an dem der Psychologe Jordan Peterson führend beteiligt ist. In Vorbereitung darauf griff ich auf meinen Textentwurf über die Walküre und die Artus-Sage zurück, der schon lange auf meiner Festplatte schlummerte. Ich tat das, weil Peterson bekannt ist für seine Interpretation von Mythen im Sinne seines großen Vorbilds Carl Gustav Jung. Das Ergebnis ist die obige Kolumne, weshalb ich erst nächste Woche über das Projekt Petersons schreiben werde. Irgendwie wollte ich dennoch Peterson einflechten, da sein Auftritt auf der Weltbühne mich an jenen „stärksten“ Auftritt Wotans erinnert. Wobei ich betone, dass es mir fern liegt, den Kanadier zu „vergöttern“. Aber immerhin bringt auch er seine Gegner regelmäßig zum Schweigen. Mir ist dieses Einflechten nicht gelungen, aber ganz verschweigen will ich den Zusammenhang nicht. Denn wir leben in einer epischen Zeit. Einer Zeit wie jene, über die uns die Mythen berichten. Einer Zeit, für die Mythen geschrieben wurden, damit wir aus ihnen für unsere Zeit die richtigen Lehren ziehen.    

Quellen:

Impffanatiker Manfred Lütz verliert Contenance (YouTube)

Richard Wagner: Die Walküre, Auszug aus 1. Aufzug, 3. Szene (mit Untertiteln) (YouTube)

Mehr über den Jahrhundertring (Wikipedia)

The Symbolism of The Sword in the Stone (veritopia.org)


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