Exodus damals und heute: Drei notwendige Bestandteile einer erfolgreichen Sezession
Eine höhere Autorität, ein positives, nicht-materialistisches Ziel und eine „Reinigungsphase“
von Robert Grözinger
Viel ist derzeit wieder von Sezession die Rede. Gerade in den USA, wo immer mehr ihres Verstandes mächtige Menschen erkennen, dass sie in einer von Insassen geführten Freiluftirrenanstalt leben. Aber: Dem Wollen folgt kein wirkliches Tun. Wie ich vor wenigen Tagen in einem Artikel auf ef-online am Beispiel Schottland feststellte, ist selbst dort, in einem Land, wo eine zumindest nominal sezessionsbereite Partei an der Macht ist, selbst in dieser Partei die woke, globalistische Ideologie derzeit stärker als jedes Abspaltungsstreben. Daher lohnt sich ein Blick auf den Archetypus einer erfolgreichen Sezession, nämlich die Exodusgeschichte im zweiten Buch Mose.
Exodus – was übrigens laut „Merriam-Webster“ vom griechischen „exhodos“ stammt, was „der Weg nach draußen“ bedeutet – ist die Geschichte vom Auszug der Hebräer aus Ägypten, wo sie versklavt waren. Ihre Nachfahren feiern ihn seit damals mit dem alljährlichen Passafest. Die Kreuzigung Jesu fand kurz vor dem Passafest statt, weshalb seine Kontrahenten, die Priester und Schriftgelehrten, den in ihren Augen blasphemischen Frevler und gefährlichen Aufwiegler gegen ihre Autorität vorher schnell noch beseitigen wollten.
Seither feiern Christen zu Ostern nicht nur die Auferstehung Jesu, des „zweiten Adams“, sondern auch die damit verbundene Befreiung des Menschen von den Übeln der gefallenen Welt – also die tiefgründigste, umfassendste Befreiung, die man sich vorstellen kann. Aus ihrer Sicht war der Exodus „lediglich“ eine Vorahnung dessen, was seit dem ersten Ostern gilt. Ich setze das Wort „lediglich“ in Anführungszeichen, weil der Auszug aus Ägypten selbstverständlich kein Pappenstiel war.
Der bekannte Refrain aus dem diese Geschichte thematisierenden Spiritual lautet: „Let my people go.“ Obwohl aus Rhythmusgründen verständlich, ist der Vers, wörtlich genommen, eine unzulässige Verkürzung. Vollständig lautet die Forderung, die Moses dem Pharao entgegenschleudert: „So spricht der Herr, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, damit es mir in der Wüste ein Fest hält!“
Dieser eine Satz enthält drei überaus wichtige Punkte. Sie sind wichtig in Bezug auf den endgültigen Erfolg dieser Sezession – und somit eine biblische Lehre für all jene, die heute eine Sezession anstreben.
Erstens: Es ist nicht Moses allein – zusammen mit seinem Bruder Aaron –, der dem Pharao die Forderung nach Sezession entgegenschleudert. Entscheidend ist, dass sich die beiden Hebräer auf eine höhere Autorität berufen – höher noch als die des Pharaos. Das – und nicht der mögliche wirtschaftliche Verlust, der aus dem Wegzug vieler Tausender Sklaven resultieren würde – ist übrigens der wahre Grund für die Halsstarrigkeit des Ägypterkönigs, die selbst nach zehn Plagen nicht wirklich gebrochen ist.
Zweitens: Der Zusatz „damit es mir“ – also Gott – „ein Fest hält“. Also damit das Volk der Hebräer ihn mit Ritualen anbeten kann, die den Ägyptern fremd und, wie es heißt, „anstößig“ sind. Speziell geht es dabei um gewisse Schlachtopfer. Die waren am Nil damals politisch unkorrekt. Genauer: Religiös unkorrekt – damals war man sich noch bewusst, dass Politik schlussendlich immer und unweigerlich, bewusst oder unbewusst, auf einer religiösen Basis stattfindet. Deshalb, so Moses zunächst, soll das Volk „drei Tagesmärsche weit in die Wüste“ ziehen. Entscheidend ist hier, dass Moses und das Volk nicht „einfach nur weg“ wollen. Sie streben ein positives Ziel an, eine konkrete Alternative. Sie haben eine klare Vorstellung davon, was sie machen wollen, wenn sie die Machtsphäre Ägyptens erstmal verlassen haben.
Drittens: Das Fest für Gott soll „in der Wüste“ abgehalten werden. Das ist insofern bemerkenswert, als Gott zunächst, als er aus dem brennenden Busch zu Moses sprach, den Hebräern ein Land versprach, in dem „Milch und Honig fließen“. Vor dem materiellen Überfluss steht also eine notwendige Phase der Entbehrung und inneren Reinigung. Beim Exodus dauerte sie 40 Jahre.
Hier sind die Lehren für heutige Sezessionisten: Sie brauchen erstens eine Autorität, die in den Augen der Sezessionisten der Autorität des Herrschers, dem sie entkommen wollen, überlegen ist. Sie brauchen zweitens ein positives Ziel, das anzustreben sich lohnt. Sie brauchen drittens einen Raum und eine Zeit, in dem und in der sie prüfen können, ob sie für das für das „gelobte Land“ notwendige Durchhaltevermögen haben.
An diesen Prüfsteinen erkennen wir, weshalb die gegenwärtigen Unabhängigkeitsbestrebungen, etwa in Europa, nicht vorankommen. Für die schottischen Nationalisten zum Beispiel und für viele andere Sezessionisten in Europa auch ist die höhere Autorität die EU. Ausgerechnet, könnte man denken. Aber es ist auch – in einer gottlosen Zeit – verständlich, wenn auch im Hinblick auf „Unabhängigkeit“ tragikomisch. Der Brexit dagegen gelang – bisher jedenfalls –, weil er nicht nur eine Abkehr von der EU bedeutete, sondern auch eine bewusste Zurück- und Zurechtweisung der EU-hörigen, eigenen Elite war. Die höhere Autorität hier war das vom postmodernen Kultur-Hegemonen noch nicht ganz so sehr wie anderenorts zerstörte Bewusstsein von einer tausendjährigen Geschichte als unabhängige Nation. Ob das reicht, muss sich noch zeigen.
Das positive Ziel für die europäischen Unabhängigkeitsbewegungen ist die Pflege eigener Sprache und Kultur, die sie gegenwärtig in der EU besser aufgehoben sehen. In einer EU, die sich in Straßburg ein Parlament gebaut hat, dessen Architektur ganz offensichtlich an ein bekanntes Bild vom Turmbau zu Babel erinnern soll.
Die „Wüste“ ist, wo sich die Spreu vom Weizen trennt. Wer hält es lange genug ohne die „Fleischtöpfe Ägyptens“ aus? Oder, wie es im vierten Buch Mose geschrieben steht, auf dass dem Leser das Wasser im Munde zusammenläuft: „Wir denken an die Fische zurück, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Gurken und Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch.“ Man beachte das Wort „umsonst“. Wie wohl jedes erfolgreiche Unternehmen muss auch jede echte Sezession eine „Durststrecke“ durchlaufen. Nach seiner Auferstehung übrigens gab Jesus dem Johannes-Evangelium zufolge seinen Jüngern Fisch und Brot zu essen. Für umsonst. Und schenkte ihnen darüber hinaus, nachdem sie seinen Anweisungen Folge geleistet hatten, ein ganzes Netz voll Fische.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Wüste in der Exodusgeschichte ist, dass sie nicht nur ein klimatologisch symbolischer Reinigungsort ist. Auch in der geographischen Verortung zwischen Ägypten und Kanaan erkennen wir eine tiefe metaphysische Symbolik. Das lernte ich kürzlich, als ich auf der Videoplattform „Daily Wire“, die sich hinter einer Bezahlschranke befindet, eine Diskussionsrunde mit Jordan Peterson und einer Anzahl anderer Gelehrter über die Exodusgeschichte verfolgte. Der Mensch, sagte einer der Teilnehmer, steht in einer vertikalen Skala zwischen Gott und den Tieren. Ägypten symbolisiere den Versuch des Menschen, sich in die Position Gottes zu erheben. Kanaan dagegen, das bisherige Volk im „gelobten Land“, dessen religiöse Riten orgiastische Feiern beinhalten, symbolisiere den Versuch des Menschen, seinen animalischen Trieben nachzugeben. Die Wüste ist der Ort, wo der Mensch, wenn er dort überleben will, weder das eine noch das andere tun kann. Dort kann er es sich nicht leisten, irgendwelchen Phantasien nachzugehen. Dort bleibt ihm keine Wahl, als realistisch zu denken und auf Gott zu hören.
Wir leben in einer Zeit, in der wir glauben, entweder „Ägypten“ oder „Kanaan“ sein zu können. Oder gar beides zugleich. Die tiefe Unzufriedenheit mit den Zuständen, die sich in Sezessionsbestrebungen Ausdruck verleiht, hat in letzter Analyse damit zu tun, dass beide Modelle auf falschen religiösen Vorstellungen von der Natur des Menschen beruhen. Erst wenn wir die Natur des Menschen wieder als „zwischen Gott und den Tieren angesiedelt“ anerkennen, werden Sezessionen dauerhaft erfolgreich sein. Dass dies eine Anerkennung Gottes voraussetzt, ist für postmodern konditionierte Menschen schwer zu akzeptieren. Solange aber dieser Wandel nicht stattfindet, werden erfolgreiche Sezessionen zumindest schwierig zu bewerkstelligen, wenn nicht gar unmöglich sein.
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