Ein Erfahrungsbericht als Ausbilder und Dozent in der Erwachsenenbildung: Der Grad der Unselbständigkeit hat enorm zugenommen
Die Infantilisierung unserer Gesellschaft und ihre möglichen Folgen
von Manuel Maggio
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Huch, wie die Zeit doch rennt. Schon wieder ist eine Woche vergangen und meine Kolumne steht an, und diesmal bin ich wieder etwas länger auf der Suche nach einem Thema. Dabei stelle ich mir oft die Frage, ob ich darüber nicht schon einmal geschrieben habe. Daher bietet es sich an, einmal aus dem Nähkästchen zu plaudern und Ihnen einen kleinen Einblick in meine Tätigkeit als Ausbilder und Dozent zu geben.
Damit Sie meine folgenden Schilderungen auch richtig einordnen können, beginne ich mit einem kleinen Überblick über meine Tätigkeit und die damit verbundenen Erfahrungen, die ich hier seit 2008 sammeln konnte. Mein Einsatzfeld sind zum einen Ausbildungsberufe, die nicht in einem Betrieb, sondern in einer privaten Akademie durchgeführt werden. Hier unterrichte ich junge Menschen im Alter von 18 bis 22 Jahren mit dem Hintergrund, dass Eltern das nötige Kleingeld haben, um ihren Kindern diese Ausbildung zu finanzieren. Dort treffe ich in der Regel auf gut situierte Familien, die ihr Kind mit dem Jaguar zum Unterricht fahren, und manchmal habe ich den Eindruck, dass die Ausbildung nur deshalb durchgeführt wird, damit man selbst die Kids los hat und sich jemand anders nun über sie ärgern darf. Was ich damit sagen will: Es handelt sich leider öfter um verzogene junge Menschen, die noch nicht verstanden haben, dass man einen Beruf lernt, um damit mal die eigene Existenz sichern zu können.
Natürlich übertreibe ich etwas, aber in der Summe kann ich nach 15 Jahren sagen: Das Niveau an Selbständigkeit und auch das Interesse am echten Leben haben über die Jahre immer mehr abgenommen. Ich werde jedes Jahr älter, aber die Azubis kommen alle drei Jahre frisch in die Ausbildung, sodass ich diese Altersgruppe im Verlauf sehr gut einschätzen kann. Mittlerweile bin ich so alt wie die Eltern einiger Kinder und merke ein zunehmendes Desinteresse an dem, was wir Weltgeschehen oder gesellschaftliche Entwicklung nennen würden. Auf der einen Seite mag es positiv sein, denn TV sieht fast keiner, wodurch auch die Durchdringung von Staatspropaganda weniger geworden ist. Jedoch hat die Gedankenwelt der Heranwachsenden immer weniger mit der echten Realität da draußen zu tun.
Es gibt pro Jahrgang immer ein paar Ausnahmen, die mich auch dazu motivieren, meinen Job weiter durchzuführen, aber leider sind die Ausreißer nach unten mehr geworden. Ich habe junge Frauen kennengelernt, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie in der Lage sind, im Supermarkt ohne B Betreuung einzukaufen, aber auf Instagram 30.000 Follower haben und sich in Szene zu setzen wissen.
Die Bereitschaft zu Disziplin und zur Erbringung von Leistung nimmt nach meiner Wahrnehmung immer weiter ab, und auch die Erkenntnis, durch eine gute Ausbildung einmal selbst erfolgreich sein zu können, ist bei vielen nicht vorhanden. Man schleift sich halt durch die Vorlesungen und absolviert die Tests und Prüfungen ohne jegliche Motivation, gute Ergebnisse zu erreichen.
Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, von welchen Größenordnungen wir hier reden, daher versuche ich die Entwicklung in Prozenten zu beschreiben. Als ich 2008 angefangen habe, hatte ich im Schnitt 30 Prozent, die wirklich was draufhatten und bereits in der Ausbildung verdammt gute Leistungen abliefern konnten. Im Mittelfeld waren es 40 bis 50 Prozent, die sicherlich auch gute Chancen im Beruf hatten, wenn sie sich zusammenreißen. Bei lediglich zehn bis 20 Prozent waren, wie wir in Bayern sagen würden, eigentlich Hopfen und Malz verloren. Heute würde ich die Verteilung wie folgt beschreiben: Zehn bis 20 Prozent liefern sehr gute bis gute Leistungen, 30 bis 40 Prozent befinden sich im Mittelfeld und der Rest, der bei circa 30 bis 40 Prozent liegt, hat keinerlei Zugang und mogelt sich, wenn sie nicht schon vorher abgebrochen wird, irgendwie durch die Ausbildung. Das Niveau ist meines Erachtens in den letzten 15 Jahren definitiv um 20 bis 30 Prozent gesunken.
Neben meiner Tätigkeit in Ausbildungen, vergleichbar mit einem Berufschullehrer, bin ich im gleichen Maße auch in der Erwachsenbildung tätig. Hier betreue ich sehr oft Fortbildungen, die durch Bildungsgutscheine des Arbeitsamtes finanziert werden. Dort gibt es einmal die Umschulungen, die eine verkürzte IHK-Ausbildung darstellen, und Kurse, die nur interne Zertifikate der Anbieter als Abschlussqualifikation haben. Bei diesen Einsätzen als Dozent habe ich es also ausschließlich mit erwachsenen Menschen zu tun aus allen nur vorstellbaren Branchen, die jedoch eine Gemeinsamkeit haben: die Arbeitslosigkeit. Im Vergleich zu den etwas verwöhnten Azubis aus dem gut situierten Elternhaus habe ich bei dieser Klientel in der Regel immer sehr motivierte Menschen angetroffen, die verstanden haben, um was es geht, und die ihre vielleicht letzte Chance auf dem Arbeitsmarkt auch nutzen wollten. Selbstverständlich haben solche Kurse auch eine gewisse Ausfallquote, was aber eher an den Vermittlern im Amt liegt, die sich mit der Vergabe von Bildungsgutscheinen auch Arbeit vom Hals halten können.
Leider erlebe ich auch hier seit circa fünf Jahren einen Abwärtstrend, was Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein angeht. Dass hier Steuergelder verbraten werden, ist mir natürlich klar – aber das ist eine Geschichte für sich. Was ich jedoch immer stärker beobachten kann: Einige dieser erwachsenen Menschen scheitern schon an der Hürde, pünktlich zur Vorlesung zu erscheinen. Da darf man sich berechtigterweise die Frage stellen, wie man mit so einer Einstellung einen Job finden möchte. Man würde vermuten, dass man hier auf dankbare Menschen treffe, die die Chance als Geschenk ansehen können und bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Der Trend geht aber leider in eine komplett andere Richtung, sodass ich vermehrt das Gefühl habe, es auch hier mit Kindern zu tun zu haben, denen man die Grundregeln der Disziplin und Eigenverantwortung erst noch beibringen muss. Es ist teilweise erschreckend, mit welcher Arbeitsbereitschaft ich es in den letzten Jahren zu tun hatte.
Kann man bei meinen Beobachtungen von einer Infantilisierung sprechen? Ja, ich denke, dass dies angebracht ist. Die Fähigkeit, die Probleme des eigenen Lebens selbst zu lösen, ist bei beiden Gruppen zurückgegangen, demgegenüber eine fordernde Haltung an das, was wir System nennen, hingegen angestiegen ist. Als Folge und Konsequenz erkenne ich einen Zuwachs an Menschen, die nicht in der Lage sind, ihr Leben selbst zu regeln, und sich somit scheinbar problemlos als Empfänger von Sozialleistungen selbst identifizieren. Ein Sozialstaat kann sich nur dann aufrechterhalten, wenn es auch bedürftige Bürger gibt. Keiner braucht Vaterstaat oder eine Mutti wie Merkel, wenn man wirklich erwachsen geworden ist und die Verantwortung für das eigene Leben angenommen hat. Insofern gehe ich stark davon aus, dass wir es zukünftig mit immer mehr hilflosen staatstreuen Mitläufern zu tun haben werden.
Sollte sich der von mir beobachtete Trend zum Positiven verändern, lasse ich es Sie gerne wissen – im Moment sieht es aber keineswegs danach aus.
Kommentare
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