08. Juni 2023 14:00

Rammstein Vorwürfe gegen Till Lindemann

Der Nachhall von #MeToo und Kachelmann

von Sascha Koll

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Bildquelle: Markus Wissmann / Shutterstock Rammstein mit Sänger Till Lindemann: Schwere Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs

Wie jede Woche mache ich mir mal wieder kurz vor dem Abgabetermin Gedanken darüber, was ich heute wieder schreiben könnte. Ich durchforste die Quellensammlung für unseren Podcast, schaue, welche Themen auf Twitter angesagt sind, schüttele permanent mit dem Kopf und frage mich, ob man zu dem ganzen Unsinn noch etwas sagen muss und wie man diese Clown-Show noch weiter ins Lächerliche ziehen könnte. Wenn ich zu einem politischen Thema eine Position habe, wird sie von der Mehrheit meiner Filterblase ohnehin geteilt. Deswegen lehne ich mich heute mal wieder etwas aus dem Fenster.

Mir fällt auf, dass die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Till Lindemann, den Frontsänger der Band Rammstein, wieder sehr unterschiedlich bewertet und auch kommentiert werden. Eine Lagerbildung findet statt: „Team Unschuldsvermutung“ scheint gar kein Problem zu sehen, solange es kein Urteil gibt, und Team „Kill all men“ ist zu 100 Prozent von Lindemanns Schuld überzeugt. Nicht überraschend ist, dass die Lager wieder relativ eindeutig politisch links und rechts zu verorten sind, oder besser gesagt: Mainstream und Alternativ.

Der Mainstream inklusive seiner Anhänger will Lindemann besser gestern als heute im Knast verrotten sehen, und die Alternativen saugen, im Gegensatz zu seinen mutmaßlichen Opfern, sogar freiwillig an seinem Gehänge.

Ich kann verstehen, dass ein solcher Vorwurf polarisiert, gerade in Anbetracht von #MeToo und dem Fall Kachelmann. Aber schon fast kategorisch abzulehnen, dass die geschilderten Fälle passiert sein könnten, ist grotesk. Ich habe das Gefühl, dass es wieder mal nur darum geht, gegen den Mainstream zu sein, so zu tun, als seien falsche Missbrauchsvorwürfe die Regel. Ja, sie sind häufig, aber in jedem einzelnen Fall davon auszugehen, empfinde ich als Verhöhnung der Opfer von sexuellem Missbrauch.

Zudem sind es gerade jene in den alternativen Medien, die einen Hang dazu haben, bei der „Elite“, zu der Till Lindemann als weltbekannter Sänger wohl zählen wird, überall satanischen oder sexuellen Missbrauch zu wittern. Aber wehe, es scheint dann doch mal ein Fall aufzufliegen und durch den Mainstream gespült zu werden. Dann kann das alles nicht sein und es muss sich um eine Verschwörung oder um aufmerksamkeitsgeile Weiber handeln.

Ich habe mir das volle Video mit den Vorwürfen angesehen und halte die Schilderung der Geschehnisse nicht für unrealistisch. Auch Widersprüche in der Erzählung konnte ich nicht feststellen. Ich halte es für richtig, wenn Ermittlungen eingeleitet werden. Ich halte es auch für angebracht, jetzt vorsichtig zu sein, im Zweifel lieber nicht auf ein Konzert von Rammstein zu gehen, bis mehr Klarheit herrscht. Ich halte es aber im Gegenzug für unangebracht, Lindemann ohne Erhärtung des Verdachts medial zu zerstören.

Ruhe bewahren, innehalten, die Faktenlage klären, ist mein Ansatz. Und wer es kann, sollte auch bei einer Verurteilung Kunstwerk und Künstler zu trennen wissen. Es ist ähnlich wie bei der Debatte um Oliver Janich. Seine literarischen Werke sind empfehlenswert, seine Videos aber häufig zum Fremdschämen.

Wenn Lindemann ein Täter ist, gehört er bestraft. Aber bis der Tatvorwurf bewiesene Tatsache ist, sollte man sich wenigstens etwas zurückhalten. Auf beiden Seiten.

Ich denke, ich habe nicht mehr dazu zu sagen. Als Anhänger des Nichtaggressionsprinzips und als Verteidiger absoluter Eigentumsrechte kann mir niemand erzählen, dass die Opfer selbst schuld hätten, weil sie naiv seien. Auch vollständig geistig Behinderte haben das Recht, nicht missbraucht zu werden.


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