Oppenheimer-Film, „Manhattan-Projekt“ und Coronakrise: Wenn Wissenschaft zur Eile gedrängt wird
„Man hört auf zu denken, wissen Sie; man hört einfach auf.“
von Robert Grözinger
Plötzlich, wenn auch nicht unerwartet, erfüllt grell-weiß gleißendes Licht den engen Bunkerraum. Durch die kleinen Sehschlitze beobachten die Erzeuger dieser Strahlung mit ihren durch geschwärzte Gläser geschützten Augen die Geburt des Atomzeitalters. Etliche Sekunden lang sehen sie der Wucherung des Explosionsgeschwulstes zu, das bald zur ikonischen Pilzform in den Himmel wächst. In dieser kurzen, gefühlt sich zur Ewigkeit dehnenden Zeitspanne hören wir Zuschauer des neuen Films „Oppenheimer“ – nichts, denn bekanntlich bewegen sich Schallwellen weit langsamer als Licht. Eine Kleinigkeit hören wir dennoch. Wir blicken mit den Augen des „Leiters des Waffendesignlabors“ – so die damalige Berufsbezeichnung des Titelhelden – in das sich in der Ferne entfaltende Urkraftchaos. Wir hören: Seinen Atem.
Dieser knappe Abschnitt des Films, von der Auslösung der Kernspaltung bis zur unweigerlichen Ankunft der mehrere Kilometer über den Sand des „Trinity“, also „Dreifaltigkeit“ genannten Testgeländes dahinrasenden Schallwelle der bis dahin größten vom Menschen ausgelösten Detonation, deren „Vater“ ihr mit seinem Odem Leben einzuhauchen scheint – diese künstlerische Wiedergabe und Interpretation der erstmaligen Freisetzung einer bis zu dem Zeitpunkt nicht gezähmten Kraft verdient meiner Meinung nach, in die Annalen großartigster Filmszenen einzugehen.
Mit dieser Szene hat Regisseur Christopher Nolan der Explosion des „Geräts“ („device“), so die Codebezeichung der ersten Kernspaltungsbombe in der Bauphase, ein in jeder Hinsicht höchst angemessenes kinematographisches Denkmal gesetzt. Die historische Wirkung der Nutzbarmachung der Kernenergie auf die Menschheit ist noch längst nicht voll entfaltet und könnte sich noch immer in ihrer Bedeutsamkeit jener der Zähmung des Feuers zumindest ebenbürtig erweisen. Die Freisetzung der Kernkraft – erst für kriegerische, dann auch friedliche Zwecke – ist in der Tat ein „Schöpfungsakt“. Und genau das hat Nolan genial auf die Leinwand gezaubert – sowohl visuell als auch akustisch. Wir dürfen ihm außerdem dankbar sein, dass er den Oppenheimer-Darsteller, Cillian Murphy, in jenem zentralen Augenblick eben nicht das weithin bekannte Zitat aus der Bhagavad-Gita überdramatisch in diese Szene hineinhauchen – sondern einfach die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft für sich sprechen lässt.
Diese Kolumne hat nicht den Anspruch, eine umfassende Filmkritik zu sein. Die oben beschriebene Szene verdient jedoch diese Sonderwürdigung. Abgesehen davon aber ist der Filmstart von „Oppenheimer“ in der vorvergangenen Woche ein passender Anlass, um über die Rolle und das Verhalten von Naturwissenschaftlern in Krisenzeiten nachzudenken. Dazu haben wir ja seit wenigen Jahren mal wieder reichlich Grund.
Vorher aber noch zwei weitere Anmerkungen zum neuen Werk Nolans: Dietmar Mehrens hat Recht mit seiner Einschätzung in der „Jungen Freiheit“, dass der Film „überambitioniert“ ist. Eine Verdichtung der Geschehnisse rund um die Verfolgung und den Rufmord des Ausnahmephysikers in der McCarthy-Ära hätte der Erzählung gutgetan. Oder wir haben es hier mit „eigentlich zwei Filmen“ zu tun, wie Mehrens kritisch anmerkt.
Gegen einen anderen Kritikpunkt jedoch, nicht von Mehrens, aber etwa von Peter Bradshaw im „Guardian“, ist Nolan auf jeden Fall in Schutz zu nehmen. Der Regisseur habe die Chance verpasst, dem Publikum „die japanische Erfahrung“ mit der Bombe und deren Wirkung auf die Menschen von Hiroschima und Nagasaki zu vermitteln. Das stimmt definitiv nicht. Ohne zu viel zu verraten: Nolan verschont uns zwar vor realistisch anmutenden computeranimierten Bildern der nuklearen Stadtverwüstungen im fernen Osten – die kaum einem Zuschauer etwas wirklich Neues geboten hätten. Stattdessen offeriert er einen viel subtileren, unerwarteten, überraschenden, tief ins Herz – oder in die Magengrube – treffenden, gespenstisch aus dem Nichts auftauchenden, dramaturgischen Widerspruch. Eine nur wenige Augenblicke währende, schockierende – und deshalb viel eher im Gedächtnis bleibende – gleichzeitig stattfindende sowie absolute Gegensätzlichkeit der Bilder und des Geschehens. Wieder einmal „sehen“ und „hören“ wir mit den Augen des „Vaters“ der Atombombe. Damit pflanzt uns Nolan das subjektiv empfundene, abgrundtiefe Dilemma des Wissenschaftlers viel tiefer ein, als es Bilder von zwischen rauchenden Ruinen verstreut herumliegenden, verkohlten Leichen getan hätten.
Nun zurück zur Gegenwart. Mehrens zieht in seiner Filmkritik Parallelen zwischen der Verfolgung in der McCarthy-Ära echter und angeblicher Kommunisten damals und der heutigen Ächtung jener Menschen, die nicht hundertprozentig regenbogenfarblinientreu sind oder das Mantra vom laut UN jetzt absurderweise „kochenden“ Klima nachbeten. Auch darin ist ihm recht zu geben. Den Autor dieser Zeilen interessierte jedoch mehr, ob Nolan in „Oppenheimer“ einen künstlerischen Kommentar über die Ähnlichkeit des „Manhattan-Projekts“ des Atombombenbaus mit der in jüngster Vergangenheit getätigten Arbeit in verschiedenen Viren- und Vakzinlaboren einbauen würde. Wenn ja, dann war er gut versteckt. Zu erkennen war nur eine allgemeine Diskussion des Dilemmas des Wissenschaftlers, der seinem Herrscher die neueste Version des Kainschen Faustkeils – Waffe und Werkzeug zugleich – entwickelt und in die Hand gegeben hat.
Deutlicher wurde in dieser Hinsicht vor einigen Jahrzehnten schon, wenn auch nur nebenbei, ein jüngerer Kollege Oppenheimers, der am selben Projekt beteiligt war. In seiner Autobiographie formulierte er die menschlich-allzumenschliche Dynamik dieser Entwicklung so: „Sehen Sie, was mir geschah – was dem Rest von uns geschah – ist, dass wir aus einem guten Grund anfingen.“ Der „gute“ Grund, den er meinte, war, das Rennen – Zeitdruck, Zeitdruck, schnell, schnell; das kennen wir jetzt auch – mit Nazi-Deutschland um die Atomwaffe zu gewinnen. Die Nazis, so lautete die Parole, hätten ganz bestimmt keine Skrupel, solch eine Massenvernichtungswaffe einzusetzen.
Hier die Parallele zu heute: Ein Virus, absichtlich freigesetzt oder nicht, kennt ein Gewissen ebenso wenig wie der, der es ohne Kriegserklärung als Waffe einsetzt – was noch immer als Ursache der Pandemie im Bereich des Möglichen liegt.
Weiter schreibt der jüngere Kollege Oppenheimers: „In so einem Fall arbeitet man hart daran, etwas zu erreichen, und es ist eine Freude, es ist aufregend. Und man hört auf, zu denken, wissen Sie; man hört einfach auf.“ Der Autor dieser Erinnerungen ist Richard Feynman. Die eben zitierten und von mir übersetzten Worte stammen aus der englischen Fassung seines Buches „Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman“.
Weiter im Vergleich zu 2020 und folgenden Jahren: Viele Wissenschaftler, von der hyperventilierten Vision einer megatödlichen Pandemie unter erheblichem Druck gesetzt, vom Versprechen des Ruhms und der Ehre angetrieben, hörten auf zu denken – und machten das gewissensbefreite Machbare. Der Restbestand gewissensbeladener Akademiker wurde mit einer Kombination aus Druck vom – meist staatlichen oder staatlich subventionierten – Arbeitgeber und medialer Dreckbewerfung gefügig gemacht oder zensiert oder sonstwie aus dem Weg geräumt. Vielleicht – ich sagte vielleicht – haben wir nun mit den mRNA-Injektionen ein nützliches Mittel in der Hand – so wie die Kernkraft – für was genau, muss sich aber noch erweisen. Und auch hier: Mit vielen, schwer abschätzbaren Nebenwirkungen.
Noch eine weitere Dynamik in der Wissenschaftsgemeinde, mit der wir seit der Coronakrise sehr vertraut sind, finden wir im erstmals 1985 veröffentlichten autobiographischen Werk Feynmans. Eines Tages, so schreibt er, besuchte Niels Bohr Los Alamos – dem Wohnort der am „Manhattan-Projekt“ Beteiligten in New Mexico. Der dänische Atomphysiker, der 1922 für seine Verdienste um die Erforschung der Struktur der Atome und der von ihnen ausgehenden Strahlung den Nobelpreis erhalten hatte, wurde von seinen Kollegen dort fast wie ein Popstar empfangen. Selbst für die „hohen Tiere“ unter den Wissenschaftlern in Los Alamos „war Bohr ein großer Gott“, berichtet Feynman.
Die Bedeutung für heute sehen wir, wenn wir weiterlesen: Am Abend, als Bohr zu Besuch kam, sei der Saal in Los Alamos voll mit Wissenschaftlern gewesen. Früh am nächsten Morgen habe Feynman einen Anruf erhalten. Bohrs Sohn, ebenfalls ein Physiker, der mit seinem Vater reiste, war am Apparat. Bohr Senior, so der Sohn, bestand darauf, sich eine gute Stunde mit Feynman allein zu unterhalten, und zwar über die Konstruktion der Bombe. Später erklärte Bohrs Sohn ihm den Grund: Feynman, habe ihm sein Vater gesagt, sei der Einzige unter den Wissenschaftlern im „Manhattan-Projekt“, der keine Angst vor ihm habe. Der alte Forscher habe ungefähr Folgendes gesagt: „Feynman wird mir sagen, ob er eine Idee von mir für verrückt hält. Bevor ich mit den anderen heute rede, die immer nur ,Jawohl, Herr Bohr‘ sagen, möchte ich mit diesem Typ sprechen.“ Diese Erinnerung wirkt glaubhaft, denn bis dahin hatte Feynman sich den Ruf als eine Art Klassenkasper der Physikergemeinde erarbeitet.
Wo sind die Feynmans von heute? Nicht nur geächtet oder geistig-moralisch platt gemacht, wie weiter oben beschrieben. Sondern auch vom überbürokratisierten, klimahysterischen, zunehmend „woken“ Schul- und Universitätssystem demotiviert und ausgesiebt, bevor sie einen Abschluss, geschweige denn einen Doktor machen konnten. Doktor Anthony Fauci, während der Coronakrise der Chefberater des US-Präsidenten in Gesundheitsfragen, hat ganz offensichtlich nicht die menschliche Größe eines Niels Bohr – nicht nur im körperlichen Sinne. Und auch nicht den nötigen Abstand von den eingebundenen monetären und machtpolitischen Interessen. Er hat sich offenbar nur mit Jasagern umgeben. Ähnlich verhält es sich mit seinen Entsprechungen in anderen Ländern, wie etwa Christian Drosten in Deutschland. Das ist ganz unabhängig von der Frage, ob sich die von diesen Leuten vorangetriebene Massenvernichtungswaffe in erster Linie gegen ein Virus oder – absichtlich oder nicht – gegen ihre Mitmenschen richtet.
Apropos Massenvernichtungswaffen: Wie sieht es mit der Zukunft der Menschheit aus? Ich bin und bleibe da optimistisch – langfristig wohlgemerkt; kurzfristig wird es aus vielerlei Gründen, sagen wir mal, „Schwierigkeiten“ geben. Optimistisch bin ich allein schon aus dem Grund, dass wir die Psychopathen, die derzeit das Sagen haben, ganz und gar nicht besiegen werden, wenn wir pessimistisch werden.
Aber noch aus einem anderen Grund. Auch dazu ein Wort von Feynman: Am Ende des Kapitels über das „Manhattan-Projekt“ schreibt der spätere Nobelpreisträger, was er bei seiner „Rückkehr in die Zivilisation“ empfand. In New York etwa erwischte er sich ständig dabei, wie er kalkulierte, in welchem Umkreis welche Gebäude durch eine Hiroschima-Bombe in welchem Ausmaß zerstört werden würden. Er war schon damals überzeugt, dass es bald die viel gewaltigere Wasserstoffbombe geben würde und andere Mächte diese ebenfalls bauen würden; und war höchst pessimistisch. Er sah, wie hier eine Brücke und dort eine Straße gebaut wurde und dachte: „Diese Leute sind verrückt, sie begreifen es nicht. Warum stellen sie neue Dinge her? Es ist so nutzlos.“ Dann gibt er rückblickend zu, seit vierzig Jahren falsch gelegen zu haben über die Nutzlosigkeit dieser normalen Aktivitäten, „und ich bin froh, dass diese anderen Leute die praktische Vernunft besaßen, weiter zu machen.“
Die wenige Jahre nach Herausgabe der Autobiographie Feynmans stattgefundene, friedliche Implosion der Sowjetunion, die keiner erwartete – nach Jahrzehnten der Angst vor einer nuklearen „mutually assured destruction“ oder „gegenseitig zugesicherten Vernichtung“, die abzustellen keiner vermochte und bis heute nicht vermag – ist Grund genug, auch heute, im Jahr Vier nach „Corona“ und Zwei nach „Ukraine“, optimistisch zu bleiben und „weiter zu machen“.
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