Die Verteilung der Einkommen: Ist die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ein Problem?
Über die Notwendigkeit einer freien Wirtschaftsordnung
von Olivier Kessler
Im Jahr 2013 schrieb der französische Ökonom Thomas Piketty einen vielbeachteten Bestseller zum Thema Ungleichheit, in dem er behauptete, das oberste Prozent kassiere auf Kosten der restlichen 99 Prozent ab. Seine Thesen wurden von diversen Medien und Meinungsmachern aufgenommen und als wissenschaftlichen Beleg dafür gewertet, dass eine steigende materielle Ungleichheit eines der größten Probleme unserer Zeit sei.
Ungleichheit wird deshalb als problematisch erachtet, weil damit offensichtlich stark divergierende Lebensstandards, ein damit einhergehendes Unbehagen sowie ein Ungerechtigkeitsempfinden assoziiert werden. Doch je weiter die Einkommen in einer kapitalistischen Gesellschaft ansteigen, desto stärker verschwinden die wahrgenommenen Unterschiede.
Dafür gibt es zahlreiche Belege: Beispielsweise gaben gutbetuchte Schichten einst wesentlich mehr für luxuriöse Kleidung aus – etwa für teure Anzüge und Schuhe. Doch über die Zeit nivellierten sich diese Unterschiede: Heute tragen nicht wenige Milliardäre in Business-Meetings T-Shirts, Jeans und Sportschuhe. Exklusive Clubs und diverse Arbeitgeber haben ihre Dresscodes zunehmend gelockert. In Bars und Restaurants kann man heute äußerlich kaum noch erkennen, ob es sich bei den Gästen nun um Vermögende oder Angehörige der unteren Einkommensschicht handelt.
Vor noch nicht allzu langer Zeit war es ein Privileg einer kleinen wohlhabenden Minderheit, dass einem ein Auto mit Chauffeur zur Verfügung stand. Heute können sich auch Leute mit verhältnismäßig tiefem Einkommen jederzeit via Uber oder Lyft einen entsprechenden Fahrservice zu moderaten Kosten herbeirufen. Reisen war einst den Vermögenden vorbehalten – bis dank des marktwirtschaftlichen Massentourismus auch weniger einkommensstarke Haushalte die Welt bereisen und die Schätze anderer Kulturen vor Ort kennenlernen durften. Computer waren etwas, was sich früher nur größere Unternehmen und Gutbetuchte leisten konnten. Heute stehen praktisch in jedem Haushalt der westlichen Welt solche Geräte. Autos waren einst das klassische Spielzeug von Wohlhabenden, doch heute kaufen sich ganz selbstverständlich auch normale Arbeiterfamilien Autos mit Funktionen, die man sich vor wenigen Jahrzehnten nur mit entsprechend dickem Portemonnaie leisten konnte, wie beispielsweise automatische Scheibenöffner, ein eingebautes GPS oder Airbags.
Doch wahrscheinlich gibt es keine Innovation, welche die Einkommens- und Konsum-Ungleichheiten derart zum Verschwinden gebracht hat, wie das Smartphone. Leute in armen Ländern, die sich zuvor vielleicht nicht einmal ein Buch leisten konnten, haben nun über ihr Smartphone Zugang zu fast jedem Buch der Welt, zu unzähligen kostenlosen Inhalten und zu diversen nützlichen Applikationen, die den Alltag erleichtern, weil sie etwa kostenlose Telefonie über den ganzen Globus hinweg ermöglichen. Selbst wenn Milliardäre heute bereit wären, für ein Smartphone einen hundertmal höheren Betrag auszugeben, stehen die Geräte trotzdem allen zur Verfügung – und das zu unschlagbaren Preisen, verglichen mit dem, was sie zu leisten imstande sind.
Wir leben heute in einer Welt, in der glücklicherweise fast alle genug zu essen und zu trinken, ein Dach über dem Kopf sowie Zugang zu wirksamen Medikamenten haben, weshalb sich auch die Lebenserwartungen von „Arm“ und „Reich“ stark angeglichen haben. Das alles haben wir der globalisierten Marktwirtschaft zu verdanken – trotz ihrer Einschränkungen durch behindernde Zölle und andere protektionistische Staatsinterventionen. Dank des verstärkten Wettbewerbs zwischen den Produzenten und der Wahlfreiheit der Konsumenten ist es gelungen, die Preise von fast allen Gütern so weit zu senken, dass sie immer mehr Menschen zur Verfügung stehen. Eines ist deshalb klar: Die größte Bedrohung für das Einkommen und den Konsum der 99 Prozent ist nicht das oberste Prozent, sondern der paternalistische Wohlfahrts- und Nanny-Staat, der die Auswahl reduziert und die Kosten erhöht.
Entscheidend für die wahrgenommene Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ist nicht der tatsächliche Grad der Einkommens- und Vermögensungleichheit, sondern vielmehr die soziale Durchlässigkeit, also die Möglichkeit des persönlichen Aufstiegs bei guten Leistungen. Diese Voraussetzung ist in einem freien Markt gegeben: Es befinden sich mitnichten immer die gleichen Leute und Familien an der Spitze, wie das etwa im Feudalismus oder im Sozialismus dank gesetzlichen Sonderprivilegien der Fall war. Die Fluktuation bei den Wohlhabendsten ist enorm. Die aktuell Reichsten der Welt – Bernard Arnault, Elon Musk und Jeff Bezos – sind ausschließlich Unternehmer und Investoren, die Wert für andere geschaffen haben. Jeder, der der Allgemeinheit einen großen Nutzen stiftet, kann sich an die Spitze emporarbeiten, solange Märkte offen sind. Die daraus folgende Einkommens- und Vermögensverteilung ist deshalb gerecht.
Interessanterweise ermöglichen wirtschaftlich freie Länder nicht nur einen allgemein höheren Lebensstandard für alle Schichten. Sie haben auch einen geringeren Gini-Koeffizienten – oder in anderen Worten: Die tatsächlichen Einkommens- und Vermögensunterschiede sind wesentlich geringer als in wirtschaftlich unfreien Ländern. Wer also Ungleichheit bekämpfen will, der muss sich für ein System freier Märkte einsetzen.
Ungleichheit, das muss uns jedoch bewusst sein, kann nie gänzlich zum Verschwinden gebracht werden. Allein schon die Tatsache, dass Menschen unterschiedlich in ihrem Aussehen, ihren Fähigkeiten, Talenten, Bedürfnissen und vor allem Präferenzen sind, steht einer Gesellschaft, in der absolute Gleichheit herrscht, im Wege.
Eine Gleichheit in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ist erst recht nicht zu erreichen. Der Philosoph Robert Nozick illustrierte dies in seinem Buch „Anarchy, State, and Utopia“ mit seinem bekannten „Wilt Chamberlain“-Argument: Selbst in einer Gesellschaft, in der eine gleichmäßige Verteilung der Vermögen zum Zeitpunkt x hergestellt würde, sorgte menschliches Handeln dafür, dass diese absolute Gleichheit umgehend wieder verschwände. In Nozicks Argument ist Wilt Chamberlain ein außergewöhnlich talentierter Basketballspieler, der seinem Club eine Bedingung für sein Auflaufen für das Team stellt: Jeder Zuschauer, der ein Spiel von ihm anschauen kommt, hat 25 Cents in eine Box beim Eingang zu deponieren. Dieses Geld kommt allein Chamberlain zu. Während der Saison schauen sich eine Million Fans seine Spiele an, und Chamberlain hat am Ende 250.000 Dollar mehr als seine Mitmenschen. Dieses Ereignis sei aber gerecht, weil niemand gezwungen worden sei, die Spiele von Chamberlain anzuschauen, und alle mit ihren freiwilligen Handlungen zur neuen Vermögensverteilung beigetragen hätten.
Ungleichheit ist also eine menschliche Realität und Konstante, mit der wir uns abfinden müssen. Viel wichtiger als die Gleichheit der Menschen ist ihr absolutes Wohlstandsniveau, dass die Menschen der Armut entkommen, keine materielle Not mehr leiden müssen und ihre Lebensstandards ansteigen. Dies lässt sich nur erreichen durch eine freie Wirtschaftsordnung mit freiem Wettbewerb und Wahlfreiheit. Eine Liberalisierung beispielsweise des Gesundheitswesens und der Landwirtschaft wären für Haushalte mit bescheidenen Einkommen besonders vorteilhaft.
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