23. Oktober 2023 18:00

Reaktion auf Übergriff der Hamas in Israel Dem „Geist Kains“ mit schonungsloser Wahrheitssuche begegnen

Nach einem etwas unüberlegten Schnellschuss setzt Jordan Peterson wieder Zeichen differenzierender Nachdenklichkeit

von Robert Grözinger

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Bildquelle: Tony Norkus / Shutterstock.com Eine wichtige Stimme inmitten der Clownswelt: Jordan Peterson

Inzwischen weiß jeder, der sich aufgrund des Terrorangriffs auf Israel vor gut zwei Wochen in die jüngere Vergangenheit des Nahostkonflikts eingelesen hat, dass die Regierung Israels unter Führung Benjamin Netanjahus die Hamas-Freischärler offenbar als nützliche Idioten betrachtete und behandelte. Eine starke Hamas, die Herrschaft über das ganze Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer an sich reißen will, half jenen Israelis, die strikt gegen eine Zwei-Staaten-Lösung, also gegen eine Sezession Palästinas sind. Die Hamas ermöglichte ihnen eine „Teile-und-herrsche“-Politik. Während die relativ moderate Fatah die Mehrheit der Westbank-Palästinenser hinter sich hat, beherrscht die radikale Hamas den Gaza-Streifen. Insofern betrachtete der jetzige Finanzminister Israels, Bezalel Smotrich, vor einigen Jahren die Hamas als „Aktivposten“, die Fatah dagegen als „Belastung“.

Der Premierminister höchstpersönlich soll sich 2019 in einer Fraktionssitzung seiner Likudpartei ähnlich geäußert haben. In einem Artikel vom 8. Oktober schreibt Tal Schneider in der „Times of Israel“: Netanjahu sei damals mit den Worten zitiert worden, dass „diejenigen, die gegen einen palästinensischen Staat seien, den Transfer von Geldern nach Gaza unterstützen sollten, da die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland und der Hamas in Gaza die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern würde.“

Diese „Teile-und-herrsche“-Politik ist den Israelis nun gewaltig und fürchterlich auf die Füße gefallen. Noch zu klären ist die Frage, ob die zeitliche Nähe des Terrorangriffs zum nicht mehr zu leugnenden, miserablen Versagen der sogenannten „Gegenoffensive“ in der Ukraine lediglich ein Zufall ist.

Stichwort Ukraine: Auch bei Ausbruch jenes Krieges gab es jede Menge verbale Schnellschüsse jener Art, dass auf der einen Seite sich die reine Ausgeburt des Bösen, auf der anderen die reine Unschuld befindet. Einer, der in dieser Hinsicht damals enttäuschte, war der kanadische Psychologe und globale Anti-Woke-Aktivist Jordan Peterson. Das ist aus heutiger Sicht insofern interessant, weil er sich später, wie ich gleich darlegen werde, korrigierte. Und weil er zweitens in Sachen Hamas-Angriff wieder einen unbedachten Schnellschuss abfeuerte – und es interessant sein wird, zu beobachten, ob und wie sich seine Ansicht hierzu wandeln wird. Eventuell hat hier ebenfalls schon ein Umdenkprozess eingesetzt.

Warum ist das wichtig, was dieser Nervenarzt zu Weltgeschehnissen sagt? Weil er einer der wenigen ernst zu nehmenden menschlichen Stolpersteine auf dem Weg zur „Großen Transformation“ ist. Er bietet seit 2016 dem schlimmsten gegenwärtigen Protodiktator des Westens, seinem Premierminister und überzeugtesten Wokismus-Förderer Justin Trudeau und dessen ganzer angehangener autoritärer Bande in Politik, Verwaltung, Bildung und Medien die Stirn – und hat, bisher, überlebt. Nicht nur das: In dieser Konfrontation blüht er geradezu auf. Insofern bietet er der gegenwärtigen Freiheitsbewegung ein großartiges Vorbild und ist ihr eine Inspiration. Er ist derzeit dabei, eine dezidiert nicht-woke Universität zu gründen, die mit sehr niedrigen Gebühren den üblichen Universitäten der englischsprachigen Nationen Konkurrenz machen soll. Womit er die höhere Bildung des Westens vor kompletter geistiger Umnachtung retten will.

Viele von Petersons detaillierten, oft tiefschürfenden und mutigen Interviews mit ansonsten von den Medien gemiedenen oder verachteten Sprechern in Sachen Klima, Trans, Feminismus, Redefreiheit, Gott und die Welt zeigen, dass er genau der Nervenarzt zu sein scheint, den diese Welt – zumindest die verrückt gewordene westliche Clownswelt –, gerade dringendst braucht. Der 61-Jährige hat sogar einmal einen Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie interviewt – den Amerikaner Dr. Robert Murphy – und dabei eine erfreulich schnelle Auffassungsgabe und Lernwilligkeit bewiesen.

Wenn er jedoch ein solches Interview zu rein politischen Themen oder gar direkt mit Politikern führt, begibt sich Peterson oft auf ein Parkett, das ihm – derzeit jedenfalls – zu glatt ist. Zu Beginn des Ukraine-Krieges interviewte er den neokonservativen Gelehrten Frederick Kagan – Bruder des ebenfalls neokonservativen und hyperinterventionistischen Gelehrten Robert Kagan und somit Schwager von Victoria Nuland, die während des Maidan-Aufstandes 2013/14 als Sondergesandte des US-Außenministeriums eine sehr unrühmliche Rolle spielte. Der Kanadier gab damit einem Vertreter aggressiver US-Expansionspolitik eine Plattform, der er inhaltlich damals wenig entgegenzusetzen hatte. Später jedoch äußerte er sich sehr viel kritischer und informierter über diesen Krieg, siehe zum Beispiel das unten verlinkte Video. Es sieht nicht danach aus, als hätten er und die Neokonservativen sich in Zukunft noch viel zu sagen.

Deswegen überraschte Petersons am Tag des Hamas-Überfalls gemachte Äußerung auf der vom gegenwärtigen Eigentümer auf ziemlich merkwürdige Weise umbenannten Plattform Twitter. Er schrieb: „Give 'em hell @netanyahu“. Also: „An Netanjahu“ – ein Politiker, dem er vor etwa 10 Monaten ein Langinterview gewährt hatte – „Machen Sie ihnen die Hölle heiß.“ Und fügte hinzu: „Genug ist genug.“ 

Dies ist derselbe Peterson, der uns regelmäßig und eindringlich vor dem „Geist Kains“ warnt. (Siehe zum Beispiel ein weiteres, sehr eindrucksvolles, unten verlinktes Video.)

Eine Woche später sah sich der Kanadier veranlasst, eine Klarstellung zu schreiben, die im britischen „Telegraph“ hinter der Bezahlschranke veröffentlicht wurde. Aber er hat eine erweiterte Version dieses Texts auch verlesen und als Video auf Youtube gestellt, siehe unten. Darin sagt er, dass er vor allem das Mullah-Regime des Irans für den Terrorangriff verantwortlich macht. Er sei Pro-Muslime aber Anti-Gangster („anti-thug“). Dann schlägt er einen Bogen von der woken Selbstgerechtigkeit zu den selbstgerecht-religiösen Typen, die gleichermaßen auf Vernichtung aus seien. Gegen Ende seines Vortrags sagt er: „Wir brauchen unseren abrahamitischen Glauben, damit die hedonistischen Heiden und Schlimmere nicht die Oberhand gewinnen, und wir müssen geschlossen hinter diesem Glauben stehen.“ An die Muslime gerichtet, fügt er hinzu: „Wenn Sie ein wahrer Anhänger Allahs sind, ist das die Entscheidung, die Ihnen gleichermaßen obliegt.“ Er schließt mit Worten, die andeuten, dass bei ihm ein Nachdenkprozess begonnen hat, der dem ähnelt, der ihn schnell wieder vom Pfad des Neokonservatismus abbrachte: „Und das gilt auch für Juden und Christen.“

Mit seinem Fingerzeig auf den Iran wird Peterson nicht Unrecht haben. Er bleibt seinem Ruf treu, die Dinge beim verdienten Namen zu nennen. Zu hoffen ist, dass der „Nervenarzt der Welt“, der er sein könnte, bald detailliert den offen zu Tage liegenden Hinweisen nachgeht, die darauf deuten, dass im Zusammenhang mit den Schandtaten der Hamas in Israel nicht nur Mullahs, sondern auch führende westliche und israelische Politiker ein gewissenloses und gefährlich zynisches Spiel zu spielen bereit waren – und dass sie somit eindeutig vom „Geist Kains“ beseelt, geradezu erfasst sind, ungebremst von jeglicher Bescheidenheit, die ihnen die „abrahamitische“ Religion auferlegt, der sie oft zumindest nominell angehören.

For years, Netanyahu propped up Hamas. Now it’s blown up in our faces („Times of Israel“)

‘Naïve’ to think Russia will lose war, says Dr Jordan Peterson (Youtube)

Jordan Peterson: Don’t let the „Spirit of Cain” in you! (Youtube)

Jordan Peterson: Why I am pro-Muslim, but anti-thug (Youtube)


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