„Allianz für eine verantwortungsvolle Bürgerschaft“: Kampfansage an die linke Kulturhegemonie
Wird es etablierten Konservativen gelingen, Jordan Petersons Initiative abzuwürgen?
von Robert Grözinger
Es regt sich was in von der linken, realitätsbekriegenden Kulturhegemonie ausgegrenzten Kreisen. Einer Kulturhegemonie, deren Erzählung von Zerfall, Perma- und Polykrise beherrscht wird. Jüngstes Beispiel erster Knospen kämpferischen Selbstbewusstseins bei der Verteidigung westlicher Werte, Grundlagen und Stärken in der eiskalten postmodernen Winterlandschaft ist die ARC-Konferenz, die vergangene Woche in London stattfand. Das Kürzel ARC steht für „Alliance for Responsible Citizenship“. Sie wurde von der konservativen britischen Ex-Politikerin, Thinktank-Leiterin und jetzt Mitglied des Oberhauses, Philippa Stroud, gegründet, zusammen mit dem kanadischen Quasi-Dissidenten und Psychologen Jordan Peterson.
Stroud sagte in einem am vergangenen Wochenende veröffentlichten Interview mit dem „Sunday Telegraph“, dass ARC diesem „Narrativ des Niedergangs“ eine Geschichtenerzählung entgegensetzen will, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelt. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem Gefühl, dass die Welt demnächst untergehen wird und der sich verschlechternden geistigen Gesundheit der Jugend. Was dagegen helfe, seien die aus Subsidiarität und Verantwortungsgefühl entstammenden „Wahrheiten, die die Basis menschlichen Gedeihens und im Verlauf der Jahrhunderte der Erfolg des Westens“ darstellten.
Sie nennt als Beispiele „Gewissensfreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und Freiheit der Ideen.“ Diese seien „unser Erbe aus Griechenland und Rom, neben den jüdisch-christlichen Tugenden des Glaubens, der Freundlichkeit, des Respekts, der Großzügigkeit und der Vergebung“ und somit die „Säulen unserer Zivilisation.“ Im Vorfeld hatte es wiederholt Vermutungen und Kritik gegeben, dass ARC eine Fassade für etablierte Konservative sei. Diese wollten Teil des Establishments sein oder bleiben, sähen aber in der von Peterson etwa 2016 in Gang gesetzten Bewegung, die mit einiger Berechtigung „kulturkonservativ“ genannt werden kann, also Anti-Establishment-Impulse in sich trägt, eine Art Standbein, das sie für sich einnehmen und eventuell umpolen wollen. Gerade in Großbritannien, wo die konservative Partei aufgrund einer Reihe katastrophaler Fehler im nächsten Jahr einem Wahldesaster entgegenzittert, sähe man eine solche Organisation als Übergangs-„Rettungsboot“.
Da dürfte einiges dran sein, aber es ist bei weitem nicht klar, ob diese Rechnung der Etablierten aufgeht. So traten zwar auch etablierte Konservative aus dem Vereinigten Königreich, den USA und Australien auf. Zum Beispiel zwei Minister der britischen Regierung: Der vor kurzem geschasste Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, und – bizarrerweise – kurz auch sein Nachfolger im Amt, Mike Johnson, welcher online zugeschaltet wurde.
Andererseits waren auch eine Reihe anderer Stimmen zu hören, die sich mehr oder weniger vorsichtig aus dem von der Kulturhegemonie erlaubten Rahmen herausbewegten. Zum Beispiel die Rede von Paul Marshall. „Freie Märkte gedeihen nur dort, wo es ein weitgehendes Einvernehmen über Tugend und gegenseitige Anerkennung gibt“, so der Hedgefonds-Manager und Mitfinanzier des alternativ-konservativen Fernsehkanals „GBNews“. Der Erfolg der Londoner City habe jahrhundertelang auf genau dieser Basis gefußt. Wohingegen an anderen Orten Kumpelwirtschaft und Tribalismus herrschten, zum Beispiel in „Somalia, Sizilien und Davos“.Wenn die Tugend zusammenbricht, so Marshall weiter, entstünden diese drei „Mutationen“ des Kapitalismus: Monopole, Kumpelwirtschaft – hier erwähnt der Finanzjongleur im Vorbeigehen kurz die Zentralbanken – und „Wokismus“. Wobei er leider nicht verdeutlicht, wie das letztere Phänomen, das ein speziell-aktuelles ist, in die Reihe der beiden anderen, eher generell-zeitlosen passt. Allgemeiner hätte er vielleicht „Ersatztugendhaftigkeit“ sagen können.
Marshalls Rede ist insgesamt gut. Bezeichnenderweise rückversichert er sich aber an einer Stelle, indem er sagt, die um das von globalen Institutionen geförderte Kürzel ESG („environment, social, governance“) formulierten Ziele „mögen ja an sich gut sein“, bevor er kritisiert, dass sie zu einem „standardisierten, ideologischen Klassifikationsschema“ geführt hätten.
Ohne solche Rückversicherungen wagte sich Jonathan Pageau weiter vor. Der Künstler und Autor stellte am Anfang seiner Rede die Frage, wer von den ungefähr eineinhalb Tausend im Auditorium – wo sich nur ausdrücklich Eingeladene aufhielten – sich zu einer Glaubensgemeinschaft bekenne. Die überwältigende Mehrheit der 1.500 Gäste aus 72 Ländern hob die Hand. Dieser Akt war möglicherweise die wichtigste Handlung der ganzen Konferenz. Sie vermittelte den anwesenden Etablierten, dass sie mehr als nur scheinbar auf die neue Bewegung werden zugehen müssen und nicht in ihrem gegenwärtigen Materialismus verhaftet bleiben können, wenn sie sie für sich nutzen wollen.Inhaltlich betonte der für seine konzeptionelle Arbeit an Symbolen bekannte Kanadier Pageau, dass es in jeder Gesellschaft einen höchsten Wert gebe. Und dass, wenn dieser höchste Wert nicht jenes „unbeschreibbare“ Konzept sei, das wir Gott nennen, die Realität in einer solchen Gesellschaft verdreht, verzerrt und dieser Ersatzhöchstwert zur Grundlage einer Tyrannei werde. So habe der Götzendienst am Wert „Sicherheit“ entscheidend zur Covid-Hysterie beigetragen.
Die beiden eben beschriebenen Reden sind unten verlinkt. Sie sind eine subjektive Auswahl des Autors dieser Zeilen, der zwar nicht an der Veranstaltung teilnahm, aber viele der Reden auf Youtube gesichtet hat. Der dritte verlinkte Beitrag ist der des Podcasters Konstantin Kisin, der die wohl unterhaltsamste und polemischste Rede hielt. Auf dem ARC-Kanal hat sein nur knapp 13-minütiger Auftritt mit über 400.000 die mit Abstand höchste Klickzahl. Kisin versteht es, den berühmten „How dare you“-Ausruf der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg vor der UN geschickt für seine Botschaft zu instrumentalisieren. Welche lautet: Die Stärke des Westens, der sich heute „im Kampf seines Lebens“ befinde, sei sein Wagemut gewesen. Politisch unkorrekt beschwört er dabei den Geist Christoph Kolumbus. Er fordert sein Publikum auf, proaktiv zu werden, aus der Verteidigungshaltung herauszutreten und selbstbewusst in die Offensive zu gehen. Sein Schlusswort: „Es geht nicht darum, ob wir leben oder sterben. Es geht darum, ob wir leben, bevor wir sterben.“
Keine andere Rede kann hier auch nur annähernd mithalten. Nur zwei Diskussionsrunden können mit jeweils etwas über 100.000 mit dem Beitrag Kisins einigermaßen konkurrieren, obwohl die Rede des „Spiritus Rector“ Peterson mit 93.000 nah an dieser Liga dran ist. Die Klickzahlen dürfen als Indikator dafür genommen werden, was den Menschen, die sich für ARC interessieren, am wichtigsten ist. Eine der beiden genannten, „populärsten“ Diskussionsrunden, an der auch die somalischstämmige Aktivistin Ayaan Hirsi Ali teilnahm, behandelt den Zustand der westlichen Zivilisation. Die andere trägt den bezeichnenden Titel: „Die menschlichen Kosten der sexuellen Revolution.“
Beobachter kritisieren, dass auf der Konferenz ein wichtiges Thema nicht zur Sprache kam: Die Migration. Immerhin jedoch befindet sich eine Analyse dazu auf der ARC-Webseite, die dieses Thema im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum und Geburtsraten betrachtet. Die Autoren, Paul Morland und Philip Pilkington, kommen darin zum Schluss, dass aus „sozialen und ökonomischen Gründen“ die Erhöhung der Geburtenrate bei weitem den anderen beiden, alternativen Szenarien, nämlich wirtschaftliche Stagnation oder weitere Masseneinwanderung, vorzuziehen sei.
In der Endphase des Sowjetreichs, als der Rost sich immer schneller durch den eisernen Griff der moskautreuen Regime Ost- und Mitteleuropas zu fressen begann, entstand immer mehr Raum für regierungskritische Gruppierungen. Typisch für solche Gruppen war anfangs oft der vorsichtige Tenor, der Sozialismus sei ja an sich gut, nur werde er schlecht umgesetzt. In diesen Gruppen mischten oft Spione und Glücksritter des Regimes, „Wendehälse“ und ähnliche Gestalten mit.
Wir im Westen scheinen jetzt in eine analoge Phase zu treten. Auch im Hier und Jetzt frisst der Rost immer schneller an allen Ecken und Enden der Gesellschaft. Heute verneigt man sich nicht mehr verbal vor dem Sozialismus – sondern vor den Zielen des neosozialistischen, postmodernen, kulturzersetzenden Konglomerats.
Aber nicht mehr jeder. Es regt sich was.
ARC-Rede von Paul Marshall (Youtube, englisch)
ARC-Rede von Jonathan Pageau (Youtube, englisch)
ARC-Rede von Konstantin Kisin (Youtube, englisch)
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