17. Januar 2024 19:00

Was ist Deflation? Die wundersame Geldvermehrung

Unterschiede zwischen Papiergeldsystem und Goldstandard

von Markus Krall

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Bildquelle: Tommyillustration / Shutterstock Deflation: Für Konsumenten scheinbar besser als Inflation – aber stimmt das tatsächlich?

Es erscheint ein wenig paradox, in der aktuell sich gerade wieder verschärfenden Inflationären Situation in Deutschland ausgerechnet das Problem der Deflation aus der Mottenkiste zu ziehen und die Frage zu stellen, was das ist. Das naive Gemüt könnte jetzt einfach antworten: Na, das Gegenteil von Inflation, also nicht das Ansteigen der Preise auf breiter Front über alle Gütergruppen hinweg, sondern eben das Fallen derselben. Mit der gleichen Unbefangenheit könnte man schlussfolgern, dass Deflation etwas Gutes sein müsse, denn es erhöhe ja die Realeinkommen der Leute und sei damit das Gegenteil von etwas Schlechtem. Ganz so einfach ist es aber nicht, denn die Deflation kommt in unterschiedlicher Gestalt daher, und zwar abhängig davon, in welchem Geldsystem sie stattfindet.

Sie kann unterschiedliche Ursachen und auch unterschiedliche Ausprägungen haben. Und davon hängt es ab, ob es sich konkret um ein nützliches oder um ein gefährliches Phänomen handelt. Deflation ist, wie auch ihr Gegenstück Inflation, immer ein monetäres Phänomen.

Auch wenn beide Phänomene oft scheinbar andere äußere Auslöser haben, sind sie letztlich auf das jeweilige Verhältnis von Geld- und Gütermenge zurückzuführen. Steigt die Geldmenge relativ zur Gütermenge deutlich an, so ist irgendwann eine Erhöhung der Preise unvermeidbar. Sie kann verzögert eintreten, weil die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes keine Konstante ist und somit neu geschaffenes Papiergeld nicht immer sofort nachfragewirksam wird. Auf Sicht jedoch lässt sich bei einer expansiven Geldpolitik die Umlaufgeschwindigkeit nicht ad infinitum drücken, sodass es schließlich zu einer Entladung des inflationären Potenzials, also zur akuten Entwertung der Kaufkraft des Geldes kommt.

Die Ursache ist so einfach wie einleuchtend: Mehr Geld jagt einer nicht wachsenden, eventuell sogar schrumpfenden Menge an Gütern hinterher, und nach dem Auktionsprinzip erhält der höchste gebotene Preis in einem System von Angebot und Nachfrage den Zuschlag. Mehr Geld im System heißt immer auch: Jemand hat es und kann höher bieten.

Mit der Deflation verhält es sich sehr ähnlich, nur umgekehrt. Welche Form die Deflation annimmt, hängt jedoch davon ab, welche Ursache hinter der Schrumpfung der Geldmenge relativ zur Gütermenge steht. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Formen.

Die bekanntere von beiden ist die Schockdeflation. Sie entsteht bei einem plötzlichen Kollaps der Geldmenge und ist nur in einem Papiergeldsystem möglich, also in einem System, in dem die Zentralbank als Herrin des „Fiatgeldes“ (lateinisch fiat gleich es werde) das Geld beliebig vermehren kann und dieser Prozess über die Giralgeldschöpfung der Banken gehebelt wird.

Um das zu verstehen, müssen wir uns den zweistufigen Prozess der Geldschöpfung im Papiergeldsystem ansehen: Zuerst schöpft die Zentralbank das „Zentralbankgeld“ und gibt es an die Banken im Wege der Kreditvergabe – oft genug auch dem Staat durch den Prozess der Staatsfinanzierung von fiskalischen Defiziten, indem die Zentralbank dem Staat Anleihen abkauft und ihm dafür frisch gedruckte (oder elektronisch gebuchte) neue Euros oder Dollars gibt. Der Prozess, dieses Geld ex nihilo, also „aus dem Nichts“ zu schöpfen, ist denkbar einfach: Die Zentralbank druckt neue Banknoten und packt sie zunächst mal in den Keller. Sind sie dann schon Geld? Nein, das sind sie nicht. Sie sind nur schön bedruckte Papierzettel, die im Keller liegen.

Im zweiten Schritt übergibt die Zentralbank diese Banknoten einer Bank und erhält im Gegenzug einen Schuldschein der Bank, auf dem steht: „Ich, die Bank xyz habe von der Zentralbank n-Millionen Euro in Banknoten erhalten und schulde ihr die Rückzahlung dieser Summe nach Ablauf dieses Kreditvertrages am Tag x in der Zukunft.“

Jetzt liegen die Banknoten bei der Bank, sie sind im Geldkreislauf angekommen und können für die Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen benutzt werden, denn der Staat hat in seiner Allmacht beschlossen, den Bürgern zu befehlen, dass sie diese Banknoten als Geld für den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen annehmen müssen. Man nennt das „gesetzliches Zahlungsmittel“.

In der Bilanz der Bank haben wir jetzt zwei Positionen stehen: Bei den Aktiva (also den Vermögenswerten) stehen die Banknoten als Geldvermögen, bei den Passiva steht in gleicher Höhe eine Verbindlichkeit gegenüber der Zentralbank. Aktiv- und Passivseite der Bilanz sind somit gleich groß und also ausgeglichen.

Die Bank wird in aller Regel das Geld aber nicht für Bleistifte ausgeben, sondern sie wird das tun, was die Funktion einer Bank im Wirtschaftsleben ist: Sie wird es als Kredit an ihre Kunden weiterreichen. Wenn wir in unserem Gedankenspiel erneut von elektronischem Geld abstrahieren, wird sie dabei die Banknoten nehmen und dem Kunden übergeben. Ihre Bilanz verändert sich dadurch, und zwar dahingehend, dass sie auf der Aktivseite keine Banknoten mehr liegen hat, sondern eine Forderung an den Kunden und auf der Passivseite weiterhin die Verbindlichkeit gegenüber der Zentralbank aufscheint. Die Bilanzsumme hat sich für die Bank noch nicht erhöht.

Der Kunde wird nun die Kreditsumme, die er erhalten hat, auf ein Girokonto bei der Bank einzahlen mit der Absicht, künftig Käufe von Waren und Dienstleistungen von seinem Girokontoguthaben per Überweisung zu bezahlen. Dabei passiert etwas sehr Interessantes, nämlich die Schöpfung von Giralgeld oder Geschäftsbankengeld. Denn die Bilanz der Bank verlängert sich erneut. Sie hat jetzt auf der Aktivseite wieder die Banknoten plus die Kreditforderung gegen ihren Kunden, also die doppelte Summe, und auf der Passivseite ihrer Bilanz die Verbindlichkeit gegenüber der Zentralbank und die Verbindlichkeit gegenüber ihrem Kunden, denn das Girokonto ist nichts anderes als ein Kredit des Kunden an die Bank.

Wie von Zauberhand hat sich die Geldmenge verdoppelt. Sie besteht jetzt aus den Banknoten, die die Bank im Tresor liegen hat, und dem Girokonto, dass der Kunde sein Eigen nennt. Das Girokontoguthaben ist eindeutig Geld, denn der Kunde kann damit das tun, was er auch mit Banknoten tun kann: einkaufen und mit dem Guthaben bezahlen.

Die Bank, die jetzt wieder über die Banknoten verfügt, kann diese jetzt ein zweites Mal verleihen und den Prozess wiederholen, und das kann sie tun, so oft wie will, und auf diese Weise das geschöpfte Giralgeld beliebig vervielfachen.

Wir haben also mit wenigen Buchungsschritten, die uns fast nichts kosten, aus dem Nichts neues Geld erzeugt, aber wir tun das mit einer kleinen Nebenwirkung, die dem Fiatgeldsystem unheilbar innewohnt: Jedes Mal, wenn wir das machen, entstehen neue Schulden – entweder Schulden, die die Bank der Zentralbank schuldet, oder Schulden, die der Kunde seiner Bank schuldet.

Hieran erkennen wir die Grenzen und Risiken dieses Systems: Sie liegen in der Bonität der Schuldner der Banken, im zweiten Schritt in der Bonität der Banken gegenüber den Einlegern und der Zentralbank und im dritten Schritt in der Bonität der Zentralbank. Letztere kann nicht pleitegehen, aber sie kann auf andere Weise fallieren, nämlich durch die Entwertung ihres Geldmonopols in einer Hyperinflation oder im Verbrauch ihres politischen Kapitals in einer Schockdeflation.

Kommen wir nun zu der Frage, wie sich diese Begrenzung der Bonität auswirkt und wie es dadurch zu einer Schockdeflation kommen kann.

Wenn die Bank Kredite ausreicht, so muss sie sicherstellen, dass die Schuldner auch in der Lage sind, ihre Kredite zurückzuzahlen. Das gelingt oft, aber keinesfalls immer. Zur Sicherstellung dieses Ziels haben die Banken einen Kreditvergabeprozess, dessen Kern darin besteht, die Kreditwürdigkeit des Kunden zu beurteilen und dabei zu messen, mit welcher Wahrscheinlichkeit er seinen Kredit nicht zurückzahlen kann, die sogenannte Ausfallwahrscheinlichkeit. Zusätzlich reduzieren sie das Risiko, durch einen Kreditausfall Verluste zu erleiden, durch die Kreditbesicherung, also beispielsweise die Verpfändung einer Immobilie mittels einer Grundschuld. Wird dieses Instrumentarium mit der entsprechenden Vorsicht genutzt, ist das kommerzielle Bankgeschäft, also das Hereinnehmen von Einlagen und das Herausreichen von Krediten jeweils mit Margenzuschlägen oder -abschlägen beim Zins ein solides und risikotechnisch vertretbares Geschäft.

Es ist diese kleine Annahme, an der es aber hapert. Die Zentralbank wird immer geneigt sein, politischen Wünschen nach lockerer Geldpolitik nachzugeben, weil dies den Kredit für Staaten verbilligt, was es den Politikern ermöglicht, Wahlversprechen auf Pump zu finanzieren. Das durch die Staatsfinanzierung geschaffene Geld findet natürlich seinen Weg in die Wirtschaft, jedoch nicht in die Realwirtschaft, sondern in den Spekulationskreislauf. Es wird eingesetzt, um die Nachfrage nach Aktien, Immobilien, Anleihen und alternative Assets anzuheizen und ihre Preise in lichte Höhen zu treiben, und zwar auf Pump. Die Preise entkoppeln sich von der wirtschaftlichen Realität, immer mehr Investitionen lohnen sich nur noch, wenn sie mit billigen Krediten, idealerweise zum Nullzins finanziert werden. Geld fließt in die falschen Verwendungen und produziert dort ein Überangebot an bestimmten Gütern, denen keine entsprechende Nachfrage gegenübersteht.

Die Banken neigen dann dazu, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, weil sie ein vermeintliches Geschäft an sich vorbeiziehen sehen. Ihre Risikowahrnehmung ist durch den Nullzins gestört, weil dieser als Subvention für schlechte Unternehmen und schlechte Investitionen die Zahl der Pleiten nach unten treibt und weil die Messinstrumente des Kreditrisikos in einer Nullzinswelt weniger Trennschärfe aufweisen als in einem normalen Marktumfeld. Auch Ihr Risikoappetit ist überhöht, weil sie wissen, dass sie in einem Fiatgeldsystem auf jeden Fall gerettet werden – so hoffen sie jedenfalls.

Kommt es durch die Akkumulation schlechten Kredits auf den Büchern der Banken zu einer Kredit- und infolgedessen einer Bankenkrise, so tritt eine Kaskade der Geldmengenschrumpfung ein, die in sehr kurzer Zeit die Geldmenge rasant reduziert. Die Pleiten von Unternehmen zerstören zunächst die Kreditforderungen der Banken, was zu einer Aufzehrung ihres Eigenkapitals führt. Übersteigen die Verluste den Risikopuffer der Bank, so verliert sie ihre eigene Bonität und ihr eigenes sogenanntes Kreditrating wird herabgestuft. Schlimmstenfalls kommt es zu einem Ansturm auf die Konten durch die Anleger, zu einem Bank Run, die Bank wird zahlungsunfähig und geht pleite.

Die Pleite einer Bank vernichtet die Einlagen ihrer Kunden und die Guthaben ihrer Anleihezeichner, was aufgrund der extrem großen Bilanzen von Banken zu einer gewaltigen Abschreibung von Forderungen und damit wiederum zu einer Vernichtung von Geldmenge führt. Umso größer der Risikoappetit der Banken ist, desto geringer fällt auch ihr Eigenkapital aus, weil das Management auf der Jagd nach Boni nach der Eigenkapitalrendite bezahlt wird.

Daher sind Bankbilanzen in der Welt des Fiatgeldes und der Bankenrettung durch die Zentralbank weitaus stärker mit Krediten gehebelt, als das gesund ist, und auch weit höher, als dies im Vergleich zu Industrieunternehmen der Fall ist. Das Vertrauen in die Bankenrettung bedeutet: Gewinne werden von den Bankern privatisiert, Verluste werden sozialisiert und auf die Allgemeinheit überwälzt. Ein adverser Anreiz dominiert das Handeln.

Die Pleite der Bank wiederum zieht eine Kaskade von Firmenpleiten nach sich. Diese Firmen hatten ihre Konten bei der Bank und sind plötzlich zahlungsunfähig. Ihre Illiquidität bringt wiederum andere Unternehmen und Banken in Schwierigkeiten, und so pflanzt sich die Kaskade der Rückabwicklung des schlechten Kredits wie eine Kettenreaktion durch das System fort, sobald der Kipppunkt erst einmal überschritten ist.

Das Ergebnis ist eine Depression nach dem Muster von 1929/33. Die Geldmenge schrumpft, die Preise stürzen regelrecht ab, die Pleiten greifen um sich und das Ergebnis ist Massenarbeitslosigkeit. Das ist die Schockdeflation.

Es ist völlig klar, warum das nur in einem Fiatgeldsystem passieren kann: Gold hat keinen Schuldner und in einem goldgedeckten System kann erstens die Zentralbank nicht unbegrenzt Geld schöpfen und zweitens können die Banken sicher sein, nicht gerettet zu werden, weil die Zentralbank das mangels Druckerpresse nicht kann. Sie werden entsprechend konservativer handeln und weniger zocken.

Im Goldstandard hingegen bleibt die Geldmenge über lange Zeit konstant, denn das Schürfen von Gold ist ein langsamer, teurer und aufwendiger Prozess. Es kommt in diesem System nicht zu Fehlallokationen und Zyklen aus Boom und Bust wie beim Papiergeld. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum ist daher langfristig und nachhaltig höher. Mehr Produkte treffen auf eine gleichbleibende Geldmenge und das bedeutet: Die Preise fallen langsam, aber stetig. Der Bürger bekommt auf sein Geld selbst dann eine positive Realverzinsung, wenn er es nicht verleiht. Diese Art der Deflation ist gut, denn sie verteilt die Früchte des wirtschaftlichen Fortschritts auf die sparsamen und leistungsbereiten Bürger.

Wir sehen: Es gibt zwei Arten von Deflation: eine schlechte im Papiergeldsystem, eine gute im Goldstandard. Das kann eigentlich niemanden überraschen, oder?


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