Spielfilm „Amadeus“ aus dem Jahr 1984: Als Leistung sich wieder lohnen sollte
Die Botschaft des Films, dass mittelmäßige Neider die größte Gefahr für Genialität sind, traf den Nerv der Zeit
von Robert Grözinger
Vor fast 40 Jahren gab es eine filmische Sensation: „Amadeus“, die in deutschen Kinos ab dem 26. Oktober 1984 zu sehen war. Der Film handelt vom Leben und Sterben Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791). Das nur lose auf der Biographie des Ausnahmekomponisten fußende Zentralthema des Hollywood-Streifens war der nie in der Realität stattgefundene epische Kampf eines mittelmäßigen Komponisten – Antonio Salieri (1750–1825) – gegen ein Genie, der den Mächtigen unbekümmert ins Gesicht lachte und dessen Existenz und Musik den Status eben dieses zweitrangigen Hofkomponisten bedrohte.
Sensationell daran war die Rezeption. Damals brachte unsere Lokalzeitung einmal pro Woche ein oder zwei Seiten Kinowerbung heraus. Man konnte sehen, was gerade in welchem Theater und zu welchen Uhrzeiten lief. Außerdem wurde angegeben, wie viele Wochen der entsprechende Film dort bereits lief. Letzeres diente als Indikator seiner Beliebtheit. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, passierte in dieser Hinsicht beim „Amadeus“-Film etwas Einzigartiges. In mindestens einem der Kinos in meiner Heimatstadt Braunschweig lief der Streifen ununterbrochen für länger als ein Jahr. Sowas hatte ich nie zuvor erlebt. Und schon gar nicht mit einem Film, dessen Musikuntermalung so „uncool“ klassisch war. In anderen Städten wird es nicht anders gewesen sein.
Heute sehe für dieses Phänomen zwei Gründe. Mitte der 1980er Jahre war eine Zeit, als der Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“ breite Zustimmung fand. Nach den 1970er Jahren, die mit „Stagflation“ – schwachem bis negativem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation – geendet hatten; einem Jahrzehnt der massiven Ausweitung des Sozialstaats, des massiv gestiegenen Machtanspruchs großer Gewerkschaften und des Linksterrorismus wie von der RAF. Wohin sozialistische Träume führen, konnte das Bürgertum damals anhand von Medienberichten von „drüben“, jenseits des Eisernen Vorhangs, nicht nur in schaurig-wohliger Bequemlichkeit vom Fernsehsessel aus beziehungsweise inmitten anderer Wohltaten des Kapitalismus lernen, sondern auch aufgrund von verstörenden Geschehnissen direkt vor der Haustür oder in der Familie.
Nach den 1970er Jahren hatten die Wähler erst in Großbritannien, dann in den USA und wenige Jahre später auch in der Bundesrepublik mit überzeugender Bestimmtheit Regierungen gewählt, die mit dem Versprechen angetreten waren, dem Leistungsprinzip wieder Geltung zu verschaffen. Etwa durch Deregulierung und Steuersenkungen. 1983 beziehungsweise 1984 waren in London und Washington diese Regierungen sogar mit noch stärkeren Mehrheiten wiedergewählt worden, während in der Bonner Republik das – nie eingehaltene – Versprechen des seit 1982 regierenden Bundeskanzlers Helmut Kohl einer „geistig-moralischen Wende“ noch frisch in Erinnerung war. Das Narrativ des „Amadeus“-Films stieß in genau dieses Horn: Der Neid des Mittelmaßes ist immer und überall eine Bedrohung für echte und originelle Leistung.
Der zweite Grund hat mit der Musik zu tun. Klassische Musik galt 1984 – und gilt heute immer noch – als „uncool“, verstaubt und altmodisch. Doch hier war ein „cooler“ Film, der klassische Musik nicht nur gelegentlich und im Hintergrund abspielte, sondern zum Bestandteil des zentralen Themas machte und in Reinform ins Geschehen einflocht. Die Begeisterung für „Amadeus“ ist ohne eine mehr oder weniger versteckte oder gar unterdrückte Begeisterung für die Musik Mozarts und Konsorten undenkbar. Hier demonstrierte das Volk mit seiner Kaufentscheidung gewissermaßen, dass es genug hatte von der Beschallung durch seelenlosen Pop und aggressiven Rock und dass es nach Schönheit, Inspiration, Transzendenz und Tiefsinnigkeit lechzte – und für die Zelebrierung echter Leistung zu begeistern war.
Es hat seither keinen solchen Film mehr gegeben. Meines Wissens nur einmal seit „Amadeus“ hat klassische Musik in einem Hollywood-Blockbuster eine kleine, aber dennoch dramaturgisch bedeutsame Rolle gespielt. Und zwar, ausgerechnet, in „Das Schweigen der Lämmer“ aus dem Jahr 1991. Und zwar, ausgerechnet, als musikalische Umrahmung der grausamsten und brutalsten Szene in diesem Psycho-Horror-Thriller. Den akustischen Rahmen dazu lieferten die geradezu himmlischen Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Dies war ein genialer Kunstgriff, eine Gegenüberstellung absoluter Widersprüchlichkeit.
Und doch: Die Szene ist eigentlich eine Bestätigung dafür, dass moderne Kulturschaffende mit der besten Musik, die die Menschheit je hervorgebracht hat, nicht viel anzufangen wissen. Sie wissen, dass klassische Musik das absolute Gegenteil dessen zum Ausdruck bringt, was viele von ihnen nur allzu gerne verbreiten: Chaos, Dekonstruktion, Verfall und rohe Gewalt – die kulturelle Verkörperung des spätestens seit der Jahrtausendwende im Westen vorherrschenden, düsteren postmodernen Glaubensbekenntnisses, dass Macht die einzig reale gesellschaftliche Kraft sei.
Genau das wurde wieder bestätigt, als Hollywood vor kurzem ausnahmsweise doch wieder einen Film über klassische Musik produzierte. Über diesen will ich demnächst schreiben.
Quellen:
Szene aus „Amadeus“: Mozart deklassiert Salieri (Youtube, englisch)
Szene aus „Das Schweigen der Lämmer“: Ausbruch (Youtube, englisch)
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