Carlson-Putin-Interview: Durchbruch an der Propagandafront
Kreml-Chef setzt US-Journalisten als Waffe ein
von Robert Grözinger
Der unmittelbare Zweck des vom freien US-Journalisten Tucker Carlson geführten Interviews mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war es, eine Bresche in die Propagandafront des Westens zu schlagen. Der mittelbare Zweck war es, im Ukrainekrieg einem Verhandlungsfrieden näher zu rücken. Das war das Hauptziel des Interviewten. Das Ziel des Interviewers vielleicht auch, obwohl bei ihm natürlich auch Ruhm- und Karrieregedanken mitschwangen.
Beide scheinen, zumindest unmittelbar, Erfolg gehabt zu haben. Putin hatte jahrelang keinen westlichen Hauptstromjournalisten zu einem Gespräch zugelassen. Es wäre, aus seiner Sicht, Zeitverschwendung gewesen. Bei Tucker, das wusste er, würde das Ergebnis ein anderes sein.
Hier ist das Ergebnis, Stand heute Morgen auf Twitter: 195 Millionen Aufrufe und 997.000 „Likes“. Bei Youtube sind es 14,5 Millionen Aufrufe, 826.000 „Likes“ und, vielleicht am vielsagendsten, sagenhafte 263.000 Kommentare.
Wir brauchen uns nicht mit allen Einzelheiten, Verlauf und Stil des Interviews aufzuhalten. Wir brauchen uns auch nicht mit den angesichts des Moskauer Interviews völlig frei drehenden Sockenpuppen der westlichen Propagandamaschinerie aufzuhalten. Die haben, um es mit Jesus über die laut und prahlend betenden Heuchler zu sagen (Matthäus 6:5), ihren Lohn bereits erhalten.
Wir brauchen uns ebenfalls nicht mit völlig durchgeknallten Politikern wie zum Beispiel dem früheren belgischen Ministerpräsidenten und jetzigen führenden EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt aufzuhalten, die ein Einreiseverbot in die EU für Carlson fordern, nur weil er ein Interview mit Putin führte. Und dies, obwohl gleichzeitig sowohl Mittelstrahlmedien als auch der Kreml die voreilige Aussage von Carlson widerlegten, dass seit Kriegsbeginn kein westliches Medium mit Putin habe reden wollen.
Menschen in westlichen Ländern ist es seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine erheblich erschwert worden, sich direkt bei den Propagandisten Moskaus über den Standpunkt des Kremls zu informieren. Sie sollen sich zufrieden geben mit der Propaganda, die ihnen die über sie herrschenden Machthaber vorsetzen. Selbst denken ist unerwünscht. Sich selbst aus den Mosaiksteinen verschiedenster Spieler auf dem gefährlichen Parkett der Geopolitik ein Bild zu machen, ist unerwünscht. Der angebliche Souverän der Demokratien soll unfähig gemacht werden, sich so umfassend zu informieren, dass er seinen ersten Dienern in der Regierung eine seinen Interessen entsprechende Handlungsanweisung geben kann. Hier sah Putin eine Schwachstelle, diese nutzte er höchst geschickt aus.
Putin sagte im Interview, fast bewundernd und anerkennend im Ton, dass es „unmöglich“ sei, einen Propagandakrieg gegen die USA zu gewinnen, weil die US-Regierung die wichtigsten globalen Medien unter ihrer Kontrolle habe. Diese Aussage war natürlich Teil seiner kalkulierten Stichelei. Hier aber war die von ihm genutzte Schwachstelle in der Front: Eine signifikante und wachsende Minderheit im Westen, die der Propaganda ihrer Seite nicht traut. Die den Verlust der Redefreiheit, der mit der Blockade der russischen Propaganda einhergeht, für einen zu bekämpfenden Skandal hält. Weil er ihrem Wertekanon widerspricht. Dieser Skandal betrifft sie direkt, im Gegensatz zu etwaigen Menschenrechtsverletzungen durch Moskau. Dieselbe Minderheit sieht zudem einen Nutzen in einem Verhandlungsfrieden, wofür ihre Machthaber blind zu sein scheinen.
In Tucker hatte Putin einen Journalisten gefunden, der sich abseits der Hauptstrommedien Reichweite aufgebaut hatte. Der Russe nutzte den Amerikaner als seine Waffe. Und er erzielte einen Volltreffer.
Er zielte auf westliche Skeptiker oder, in der Sprache der hiesigen Sockenpuppen, „Populisten, Nazis und Rechte“, weil er weiß, dass sie inzwischen eine bedeutende politische Kraft sind. Sie gewinnen inzwischen Wahlen oder, wo nicht, bringen sie immerhin die etablierte Politik ernsthaft aus dem Gleichgewicht. Er weiß, dass sie sein Interview nutzen werden, um ihre eigene Seite unter Druck zu setzen, einen Verhandlungsfrieden anzustreben.
Zwei Länder hatte Putin dabei besonders im Visier: Die USA und Deutschland. Deshalb seine Betonung des starken „Nazi“-Faktors in der ukrainischen Politik. Deshalb seine Ausführungen darüber, dass er die CIA für die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline verantwortlich macht. Deshalb seine Betonung, dass die deutsche Politik von „inkompetenten Leuten“ geführt wird. Deshalb die erstaunliche Aussage, dass er nicht wisse, wer in Wirklichkeit die USA führt.
Selbst sein viel kritisierter, weitschweifender Vortrag über die Entstehungsgeschichte Russlands in seiner ersten Antwort dürfte ein Teil dieser Taktik gewesen sein. Der vorrangige Adressat war in diesem Fall zwar das eigene Volk. Aber auch der Westen war angesprochen, wenn auch auf der Metaebene. Im Hinblick auf den Westen ist an diesen Ausführungen völlig unwesentlich, wie wahr diese Ausführungen historisch sind. Das interessiert hier sowieso keinen. Wesentlich für Putin war, dass er zeigte, dass er, im Gegensatz zum nominellen Amtsinhaber im Weißen Haus, sehr wohl noch geistig fit ist. Dass er Geschichten erzählen kann, die intellektuell um Klassen anspruchsvoller sind als etwa die des deutschen Kinderbuchministers und das Gestammel der lebenden Mumie namens Joe Biden. Im Gegensatz zu den USA und Deutschland, so die Botschaft, ist in Russland klar, wer in Wirklichkeit führt. „WYSIWYG“, oder: „What you see is what you get.“
Wie das Schicksal es fügte, kam dem Russen dabei sogar Washington zu Hilfe. Ungefähr zur gleichen Zeit, als Putin mit Tucker plauderte, wurde bekannt, dass der 81-jährige US-Präsident bei einer Befragung nicht sagen konnte, in welchen Jahren er Vizepräsident gewesen war.
Wie sieht dagegen die Propaganda des Westens gegenüber Russland aus? „Setzt euren Diktator ab, dann bringen wir euch geschlechtliche und kulturelle Bereicherung und verhindern fortan Desinformation. Und: Eure Ausbeuter brauchen fortan nicht mehr Russen zu sein.“
Putin mag in diesem Interview auf viele wie ein stereotypisch russisch weitschweifender „Schwurbler“ wirken. Aber eines ist sicher: Er hat die Regeln der modernen Propagandakriegsführung verstanden. Seine Gegenspieler im Westen, wer immer sie sind, wirken dagegen erstaunlich schwach. Geraune über die Wiedereinführung eines Wehrdienstes zeigt, dass sie weiterhin eher eine Ausweitung des Krieges wollen. Warum auch nicht? Ein Krieg würde wunderbar vom Chaos ablenken, den uns ihre Finanz-, Wirtschafts-, Gesundheits- und „Kulturbereicherungs“-Politik beschert. In einem ausgedehnten Krieg könnten die etwaigen Folgen solcher Politik mit Leichtigkeit verrührt werden, so dass die wahren Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.
Die Glaubwürdigkeitskrise der zu Propagandainstrumenten der Mächtigen degradierten Hauptstrommedien setzt sich fort, sie entledigen sich derzeit einer großen Menge Redakteure. Das langsame Sterben dieser Medien in den letzten zwei Jahrzehnten beschleunigt sich zusehends. Es ist daher zu erwarten, dass die Mächtigen, auch im Westen, zunehmend die neuen Medien als Propagandainstrument für sich entdecken. Mal sehen, wie sie auf Putins Husarenstück reagieren.
Eines steht fest: Die Illusion, dass irgendein Medium, alt oder neu, „neutral“ berichten, interviewen oder kommentieren kann, ist für immer mehr Menschen für immer vorbei. Das Gute daran: Immer mehr Menschen sehen sich gezwungen, ihre eigene Meinung zu bilden. Sie sehen sich also gezwungen, so zu handeln, wie es einem echten Souverän gebührt. Das Interview mit Putin war in diesem Prozess ein Meilenstein.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.