22. Mai 2025 06:00

Eine Definitionsfrage Wie der „Egoismus“-Vorwurf auf ihre Absender zurückfällt

Die wahren Rücksichtslosen

von Olivier Kessler drucken

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Bildquelle: Prazis Images / Shutterstock „Klassischer“ Egoist: Kalt, asozial und rücksichtslos

Wann immer sich jemand für liberale Reformen starkmacht und für weniger Zwangsumverteilung eintritt, so wird ihm rasch und laut entgegengeschleudert, er sei ein Egoist und würde sich „auf Kosten der Schwachen“ bereichern wollen. Die „Egoismus“-Beschuldigung erweist sich als sehr effektiv, um jemanden zu diskreditieren, weil man bei einem „Egoisten“ gemeinhin an einen kaltherzigen, rücksichtslosen und asozialen Menschen denkt, der ausschließlich sein eigenes Wohl im Sinn hat. Ganz gewiss ist ein „Egoist“ nicht am Wohl seiner Mitmenschen interessiert. Er ist daher das Gegenteil von „sozial“.

Doch der Vorwurf lässt Entscheidendes außer Acht. Erstens geht es denjenigen, die für liberale Reformen eintreten, nicht darum, andere zu schädigen oder zu schwächen. Vielmehr möchten sie erreichen, dass individuelle Abwehrrechte nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen gleichermaßen gestärkt werden, weil man der Überzeugung ist, dass dies ethisch geboten ist oder zu besseren Ergebnissen führt. Und die Empirie gibt ihnen recht, zum Beispiel der Index wirtschaftlicher Freiheit, der Jahr für Jahr zum Schluss kommt, dass eine größere wirtschaftliche Freiheit zu höheren Pro-Kopf-Einkommen für alle führt.

Wer für liberale Reformen eintritt, tut dies also nicht nur für sich selbst. Er tut auch allen anderen Menschen etwas Gutes – insbesondere „den Schwachen“. Man könnte also mit Fug und Recht argumentieren, dass liberalen Reformern ein altruistisches Element anhaftet.

Paradox ist auch, dass im heutigen etatistischen Meinungsklima jeder als „Egoist“ gebrandmarkt wird, der selbst über sein hart erarbeitetes Geld verfügen möchte, anstatt es sich vom Wohlfahrtsstaat wegnehmen zu lassen. Wer es jedoch auf das Geld der anderen abgesehen hat, ist natürlich kein Egoist, sondern kann sich damit brüsten, auf der Seite der „Gerechten“ zu stehen.

Der Begriff des „Egoismus“ ist heute sehr negativ geprägt. Dabei ist allerdings oftmals unklar, was damit eigentlich gemeint ist. Denn wie obiges Beispiel gezeigt hat, ist mitnichten immer ein „Egoist“, wer auch als solcher bezeichnet wird. Vielmehr dient der Begriff dazu, jemanden moralisch als minderwertig dastehen zu lassen, obwohl der Beschuldigte oftmals gar keinen Anlass dazu liefert.

Es stellt sich die Frage, wie man den Begriff „Egoismus“ sinnvollerweise verwenden kann, damit nicht alle irgendetwas anderes darunter verstehen und er nicht beliebig wird.

Die Schriftstellerin Ayn Rand vertritt in ihrem Buch „Die Tugend des Egoismus“ die Auffassung, dass Egoismus per definitionem lediglich die Verfolgung eigener Interessen bedeute, woran nichts auszusetzen sei, solange diese Interessenverfolgung nach dem Nichtaggressionsprinzip geschehe (solange man also gegen andere keine Gewalt initiiere). Vielmehr sei ein so verstandener Egoismus notwendig für das eigene Überleben: Wer seine eigenen Interessen nicht verfolge, wer also zum Beispiel nicht genügend Güter erwirtschafte oder produziere, um seinen eigenen Konsumbedarf zu stillen, der sei schlichtweg der Gnade anderer oder dem Tod ausgeliefert, was keine nachhaltige Lebensweise sei.

Auch wenn diese Egoismus-Definition einleuchten mag, so erscheint es doch als hoffnungsloses Unterfangen, den stark negativ geprägten Begriff nun in einen positiven umzudeuten. Den Leuten zu erklären, Egoismus sei wichtig und gut, führt in den meisten Fällen zu starkem Widerspruch. Es wird zum Beispiel entgegnet, dass dies mit dem üblicherweise verwendeten Egoismus-Begriff gar nicht gemeint sei. Vielmehr ginge es darum, dass jemand nur auf sich schaue, dabei rücksichtslos vorgehe und so anderen schade.

Daher kann es sinnvoll sein, die negative Konnotation des Begriffs gar nicht zu bestreiten oder in etwas Positives umkehren zu wollen. Vielmehr kann man auf den negativen Assoziationen aufbauen und die Frage stellen, wer denn genau sich nun rücksichtslos um sich selbst kümmere und dabei anderen schade, wer also tatsächlich egoistisch unterwegs sei und getadelt werden sollte.

Ist der Liberale wirklich ein Egoist, nur weil er verlangt, dass gegen ihn keine Gewalt angewendet werden soll, wenn er selbst keine Gewalt initiiert, und dass niemand ihm sein Eigentum streitig machen dürfe? An dieser Forderung ist zumindest nichts „Rücksichtsloses“ zu erkennen. Ganz im Gegenteil. Er verlangt von seinen Mitmenschen kein aktives Tun, sondern lediglich jene Zurückhaltung, die für eine friedliche und prosperierende Gesellschaft nötig ist. Er verlangt Rücksicht und friedliches Handeln.

Rücksichtslos und schädigend verhalten sich nicht jene, die verlangen, dass das rechtmäßige Eigentum geschützt werden müsse, sondern jene, die Angriffe auf ihre Mitbürger gutheißen oder initiieren. Wer also illiberalen Parteien seine Stimme gibt oder in Volksabstimmungen gutheißt, dass seinen Mitbürgern ihre Besitztümer abgenommen werden, der ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Egoist.

Wer anderen nicht Güter oder Leistungen anbietet, die diese ablehnen können, sondern ihnen ein Übel androht für den Fall, dass sie diese ablehnen, fügt anderen einen Schaden zu und verhält sich rücksichtslos. Er bezieht die Interessen seiner Mitmenschen nicht in die eigenen Handlungen mit ein, sondern verfolgt aggressiv und rücksichtslos seine eigenen Interessen und verletzt damit die Interessen anderer. Wer sich so verhält oder wer diese unethisch-kriminellen Handlungen aktiv befürwortet oder durch konkludentes Handeln implizit gutheißt, ist durch und durch ein Egoist.

Wenn also – um ein Beispiel zu nennen – bestimmte Gruppen den Staat dazu auffordern, unter Androhung oder Anwendung von Buße und Haft für auserwählte Medien Zwangsgebühren einzutreiben, sind sie unmoralisch handelnde Egoisten. Journalisten, die für ein solches zwangsfinanziertes Medium arbeiten, heißen das egoistische Gebaren durch konkludentes Handeln mindestens implizit gut (sie beziehen ihren Lohn aus einem Geldtopf, der sich aus Enteignungsbeute speist) und können daher ebenfalls mit Fug und Recht zur Gattung der Egoisten gezählt werden.

Egoistisch ist es auch, wenn jemand auf Kosten der Gesellschaft lebt und selbst keinen Beitrag zum Wohle anderer leistet (völlige Arbeitsunfähigkeit ohne eigenes Verschulden sei hier selbstverständlich ausgeklammert). So schreibt etwa der Bestsellerautor Robert Greene: „Tatsächlich ist es der Gipfel des Egoismus, nur zu konsumieren, was andere schaffen, und sich selbst in das Schneckenhaus begrenzter Ziele und sofortiger Vergnügen zurückzuziehen.“ Wer mehr konsumiert, als er selbst produziert – oder in anderen Worten: wer mehr Werte vernichtet, als er selbst schafft –, der schadet seinen Mitmenschen.

Er verhält sich rücksichtslos, weil er sich zu sehr der Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse widmet und zu wenig der Befriedigung der Bedürfnisse seiner Mitmenschen. Es ist folglich ironisch, wenn Staatsangestellte, Sozialhilfebezieher oder Funktionäre (die auf Kosten anderer leben – nämlich auf Kosten der Steuerzahler) rechtschaffenen Unternehmern, die im freien Markt nachweislich Werte geschaffen haben, Egoismus unterstellen, wenn diese sich zum Beispiel ein ihnen zustehendes Gehalt auszahlen. Man sollte ihre Verwirrtheit argumentativ postwendend auflösen und die rhetorische Frage nach dem wahren Egoisten aufwerfen.


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