15. März 2022 07:00

Personalprüfung zu Anne Spiegel Das richtige „Wording“ gegen das „Blame Game“

Betrachtungen zur heutigen Bundesfamilienministerin

von David Andres

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„Das Blame Game könnte sofort losgehen“, schreibt Anne Spiegel im vergangenen Sommer während der Flut im Ahrtal an ihr Team, „wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre et cetera.“

Diese und viele andere Worte sind aus dem Umfeld der damaligen Umweltministerin von Rheinland-Pfalz dieser Tage an die Öffentlichkeit durchgestochen worden. Die Presse berichtete umfangreich, der „Bild“ war es eine Meldung am rechten Rand der Titelseite wert. Tenor: Die Menschen saufen ab und die zuständige Ministerin kümmert sich nur um die zwei großen I’s – Image und Ideologie.

Erst mal zum Thema Image: Wer angesichts einer akut laufenden Katastrophe überhaupt fürchtet und thematisiert, dass das „Blame Game“, also die öffentliche Schuldzuweisung, ihn treffen könnte, erweist sich bereits als Gegenteil eines Helfers. Echte Helfertypen sorgen sich tatsächlich um die ihnen anvertrauten Menschen, sei dies eine Familie, ein Rudel Kurzgewachsener in der Kindertagesstätte, eine ganze Station voller Patienten oder eben – wie im Falle einer Umweltministerin – die Bevölkerung eines ganzen Landstriches, der gerade in den Fluten versinkt.

Helfer helfen … und können im Nachhinein oder erst auf sehr lange Sicht sehr bösartig werden, wenn ihnen für das tatsächliche Helfen entweder die Anerkennung entzogen wird oder aber der Einfluss, den sie in stiller Vereinbarung als wahre Gegenleistung für ihre Tätigkeit erhalten. Das sind die nicht altruistischen Gründe, weshalb viele Menschen im Ehrenamt oder in miserabel bezahlten Berufen sehr viel Zeit und Energie einsetzen. Sie erhalten im Gegenzug zum einen hohes moralisches Ansehen und zum anderen eben die Macht über Entscheidungen innerhalb eines Verbundes – und sei es auch nur aus dem schlechten Gewissen derer heraus, welche die Drecksarbeit allzugerne delegiert haben.

Wer ein „Wording“ dafür sucht, „rechtzeitig gewarnt“ und alle Daten „immer transparent gemacht“ zu haben, hat sehr wahrscheinlich genau das eben nicht getan oder nur in so geringem Ausmaße wie ein Kind, das sonntagabends hektisch mit den Hausaufgaben beginnt. Wer in das „Wording“ einbauen möchte, „was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre“, nutzt die auch in Bezug auf die Corona-Maßnahmen sehr beliebte Logik des Spruches: „There is no glory in prevention.“ Zwar hat diese Sentenz einen wahren Kern, sie dient aber Politikern eben auch als eine Art Deus-ex-Machina-Ausrede für jede Art von Scheitern und Passivität. Wer zudem in seiner alltäglichen beruflichen Kommunikation Anglizismen aus den Untiefen des Marketings und der PR verwendet, der erweist sich als erstes Analyse-Objekt in dieser neuen Kolumne namens „Personalprüfung“ eben gerade nicht als Helfer, sondern als reiner Karrierist, dem das erfolgreiche Vortäuschen einer Handlung vollkommen ausreicht. Oder, um es mit den Worten eines mir bekannten Händlers für sündhaft teure High-End-Audiotechnik auszudrücken: „Wenn eine Firma so bekannt ist, dass ihr Name sogar denen etwas sagt, die sich gar nicht für das Thema interessieren, dann kann die Firma nichts taugen, weil sie mehr Budget in die Werbung investiert hat als in die Produktentwicklung.“

Anne Spiegel musste sich wegen ihres Hochstapelns bei Hochwasser kürzlich vor einem Untersuchungsausschuss rechtfertigen. Dort wies sie „entschieden zurück“, während der Katastrophe „irgendwann eine andere Priorität“ gehabt zu haben als die der Hilfe für die Menschen. Die zitierten Mails bezüglich ihrer Angst um das Image seien nur „zwei von Tausenden Nachrichten am Tag danach“ gewesen. Erneut ringt sie also um ihr Ansehen als Helferin, das nun einen Knacks bekommen hat, der sich natürlich besonders störend auswirkt, wenn man in der neuen Regierung ausgerechnet die Fürsorgebude überhaupt leitet – das Familienministerium.

Dort hat sie viel vor. Eine „Kindergrundsicherung“, um „mehr Kinder aus der Armut“ zu holen, die Verankerung von „Kinderrechte(n) im Grundgesetz“ sowie ein „modernisiertes Familienrecht“, in dem es möglich werden soll, „rechtlich (auch) jenseits von Liebesbeziehungen füreinander Verantwortung zu übernehmen“. Das „Elterngeld“ soll „vereinfacht (und) digitalisiert“, „pflegenden Angehörigen mehr Zeitsouveränität“ durch „Lohnersatzleistung im Fall pflegebedingter Auszeiten“ verschaff werdn – um nur einige der Ziele zu nennen, die auf der offiziellen Seite des Ministeriums zu lesen sind. Sogar „selbstbestimmtes Leben für ältere Menschen“ und „den Zusammenhalt zwischen den Generationen“ will die Bundesregierung aus dem Spiegel-Ministerium heraus fördern. Die nachträgliche Abmahnung an den WDR aufgrund solcher Aktionen wie dem „Oma ist eine Umweltsau“-Lied von vergangenem Jahr ist sicher schon auf dem Weg. Wir dürfen annehmen, dass das aktuelle Team der Ministerin für den Fall, dass all diese Ziele im Laufe der Amtszeit nicht umgesetzt werden, mehrere „Wordings“ bereits ausgearbeitet hat.

Ach ja, oben war meinerseits ja von zwei I’s die Rede, auf welche die „Bild“ angespielt hat: Image und Ideologie.

Das Thema Ideologie ist kurz abgehandelt mit einem weiteren O-Ton aus den geleakten Team-Chats. Anne Spiegel gab damals, am 14. Juli 2021, eine Pressemitteilung frei, in der es hieß, dass „kein Extremhochwasser“ zu erwarten sei, und gütlicherweise ein paar Tipps für ufernahe Bereiche von Campingplätzen gegeben wurden. Hierzu schrieb Spiegel ihrem Team: „Konnte nur kurz draufschauen“. Und sofort dazu, trotz bloßen Überfliegens: „Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe.“

„Berliner Zeitung“ – „Anne Spiegel sagt aus: ‚Ja, es gab diese SMS‘“

„Berliner Zeitung“ – „Flutkatastrophe: ‚Wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben‘“

„Berliner Zeitung“ – „Flutkatastrophe: ‚Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen‘“

BmfSFJ – „Anne Spiegel ist neue Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“


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