Guter Einkauf: PhonoPhono in Berlin: Hypnose in High End
Wie ein Hi-Fi-Händler zum Gesamtkunstwerk wird
von David Andres
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Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich leide unter regelmäßig auftretendem Spannungskopfschmerz, durch den sich innere wie äußere Spannungen im wahrsten Sinne des Wortes Bahn brechen. Mich belastet der entweder verstandesarme oder zutiefst bösartige Irrsinn des Handelns der weltlenkenden Akteure, die Sorge um die Zukunft angesichts dieses kollektiven Wahns, die persönliche Jonglage der vielen Aufgaben und ökonomischen Herausforderungen. All das verlangt eigentlich nach systematischem präventiven Ausgleich in Form von Sport, Meditation oder langen Spaziergängen. Mache ich alles nicht oder viel zu selten. Stattdessen schaue ich zur Beruhigung einen Kanal auf Youtube, auf dem ein groß gewachsener graumelierter Herr mit Kaffeetasse zwischen einer riesigen Lautsprecherbox und zwei Racks mit High-End-Audio-Equipment sitzt und Sätze sagt wie: „Sie sind sich vermutlich genauso bewusst wie ich selber auch, dass der Aufwand, den ich Ihnen hier gerade vorgestellt habe, nicht nur technisch gewaltig ist, sondern auch finanziell. Wenn Sie Lautsprecher, Elektronik und Plattenspieler sowie einiges Zubehör zusammenzählen, erreichen Sie mühelos eine sechsstellige Summe.“
Der Mann, der diese Tatsache gelassen ausspricht, heißt Peter Lützelberger und betreibt seit rund zwanzig Jahren ein führendes Geschäft für das preislich wie qualitativ wohl tatsächlich höchste Ende in der Audiotechnik. Was er auf Youtube nur sprachlich vorstellen kann, lässt sich jeden Freitag beim „Technikabend“ in der Bergmannstraße 17 in Berlin-Kreuzberg in seinen Räumen persönlich erleben. All die Versprechen atemberaubender Klangerlebnisse, die er in den Produktvorstellungen auf Youtube macht, darf man also jederzeit mit eigenen Ohren überprüfen.
Sich anzuschauen, was und vor allem wie Lützelberger Verstärker, Lautsprecherboxen, Phono-Vorstufen, CD-Player, Streamer und vor allem Plattenspieler von Firmen wie Brinkmann, DeBaer, DeVore, Innuos, Metronome, Nagra oder Rockport vorstellt, die der gemeine Laie so allerhöchstens einmal im Ansatz im Wohnzimmer des sehr coolen Ermittlers Harry Bosch aus der gleichnamigen Serie gesehen hat, ist wie der Gang in eine Parallelwelt. Die sogenannten „Audiophilen“ ernten viel Kritik und werden gerne auch mal als eine Art Sekte betrachtet, die sich selbst und der Kundschaft etwas vormacht, wenn sie glaubt, einen wirklich guten Klang oder gar einen, „den der Künstler so beabsichtigt hat“, nur mit einer Ausstattung erzeugen zu können, bei der sogar die hochabgeschirmten Stromkabel bereits vierstellige Summen kosten. Erzeugt der Stromfluss durch billige Kabel bereits tatsächlich Klangverluste? Lassen sich die Klassik, der Jazz und viele Bereiche der fein produzierten Pop- und Rockmusik tatsächlich nur in ihrer ganzen Fülle entdecken, wenn man die Preise für kleine oder große Eigentumswohnungen auf den Tisch legt? Ich weiß es nicht.
Was ich aber weiß ist, dass dieser konkrete Mann auf diesem konkreten Kanal spricht wie kein anderer. Die Stimme so sanft und präzise wie der Duktus, die Aussagen festens entschlossen. Es gibt keine Zweifel, keine Ironie, nur ein technisches Detail nach dem anderen, zugleich verknüpft mit der Ausrichtung auf den gourmethaften Genuss, mit wohlausgesuchten Platten als Beispielen und anschaulichsten Sprachbildern darüber, wie diese sich auf den jeweils vorgestellten Anlagen machen. Es ist kein Zufall, dass Lützelberger zum gepflegten Hörgenuss auch stets eine gute Tasse Kaffee und eine Mozartkugel empfiehlt. Das Gegenmodell wären eine Kanne schwarzer Wachmacherplörre und ein eilig verzehrter Schokoriegel.
Unabhängig von der Frage, inwiefern die Preis-Leistungs-Relationen audiophiler High-End-Technologie genauso gerechtfertigt sind wie die einer Uhr von A. Lange & Söhne, einer S-Klasse oder eines fünfzig Jahre alten Bowmore Single Malts, vermitteln die Videos von PhonoPhono einige Werte, die tatsächlich so rar und einzigartig sind wie die vorgestellten Kompomenten von Herstellern, deren Qualität man laut Lützelberger daran erkennt, dass niemand von ihnen weiß, der sich nicht ernsthaft für das Thema interessiert, weil echte Könner kein Budget auf Marketing verschwänden. Womit der erste Wert schon genannt ist – Elitismus der angenehmen Sorte, und zwar in dem Sinne, dass man sich niemandem anbiedert, niemanden irgendwo „abholt“, sondern ihn vielmehr zu locken versucht, auf dass er selber kommt. Verbindlichkeit spricht aus den Worten, tiefste Fachkenntnis und Monothematik statt der selbstherrlichen Lautsprecherei, zu jedem Aspekt der Welt vermeintlich was zu sagen zu haben. Passion bis zum Wahnsinn. Und letzten Endes ein unerschütterliches Wohlstandsbewusstsein und trotz Kreuzberg als Firmenstandort nicht das geringste schlechte soziale Gewissen, dass die Welt des Audiophilen eben nicht jeder betreten kann … zumindest nicht zum Kaufen. Zum Probehören schon, auch wenn in dem Altbau mit den Erkerfenstern jeder, der sich auch nur ein wenig asozial aufführen würde, sicherlich schnell wieder vor der Tür stünde.
Der „gute Einkauf“ ist an dieser Stelle somit sicher für die meisten nicht unbedingt ein Besuch in Berlin, um dort tatsächlich ein paar Hundert lila Scheine auf den Tisch zu legen, sondern zunächst einmal nur ein „guter Besuch“ auf diesem überaus obskuren und zugleich so liebenswerten Kanal der einzigartigen High-End-Hypnose, die zumindest gut gegen Spannungskopfschmerzen hilft.
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