Trans-Hype: Ich, Monika Hausammann
Über die Entheiligung von Werten
von Monika Hausammann (Pausiert)
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Ein seltsamer Titel für eine Kolumne – aber keine Angst: Das wird nicht das hemmungslose Ausleben einer Persönlichkeitsstörung. Es dient bloß der Illustration. Also noch mal: Mein Name ist Monika Hausammann. Ich bin 48 Jahre alt, Schweizerin und lebe als Schriftstellerin und Kolumnistin im Südwesten Frankreichs.
Das ist die kürzeste Version meiner Gegenwarts-Koordinaten. Damit ist aber im Grund noch nicht mehr gesagt, als dass es sich bei mir um eine stoffwechselfähige, organisierte, denkende Einheit handelt. Ich könnte noch anfügen, ich gehöre zu jener Sorte Menschen, die es gerne höflich und harmonisch hätten, dass ich ein begeisterter Einzelgänger sei und dass jeder Versuch, mich diesem seligen Zustand zu entreißen, zur sofortigen Aufsässigkeit meinerseits führe. Aber auch damit wäre noch nicht viel anzufangen. Noch immer wären das Woher und Wohin, das Warum und Wozu nicht geklärt. Ganz zu schweigen von Grund und Gründen, von Denken, Erleben und Glauben. Kein Hinweis auf das Können, das Wollen, das Überwinden, das Scheitern. Nichts. Sie sehen, worauf ich hinauswill: Ich könnte Hunderte von Seiten damit füllen, zu erklären, wer ich bin: in Gedicht- oder Prosaform. Nicht weil ich Monika Hausammann bin, sondern schlicht aus dem Grund, weil ich Mensch und Person bin.
Jeder Einzelne ist ein solcher Kosmos. Einzigartig, unverwechselbar, unersetzlich. Ein Wunder. Der Schweizer Verleger, der einmal zu mir sagte, jedes Leben biete Stoff für mindestens einen Roman, hatte recht. Darüber, was es heißt, er zu sein, kann einer ganze Bücher füllen. Und ich behaupte: Er kann sie füllen, ohne sein Geschlecht und seine Sexualität expressis verbis zu erwähnen. Nicht deshalb, weil Sexualität nicht wichtig ist, sondern weil er mehr ist als eine Art denkender Geschlechts-Apparatur. Viel mehr.
Es ist unbestritten, dass Sexualität mit zum Größten und Stärksten gehört, was der Mensch erleben kann. Obwohl sie im Äußeren vollzogen wird, hat sie das Potenzial, Innerstes zu berühren und uns Menschen, die wir naturgemäß auch in großer Nähe über das Teilen nicht hinauskommen, eine Idee dessen zu geben, was Vereinigung bedeutet. Mit jemanden eins werden. Dass dabei neues Leben entsteht, verdeutlicht und vertieft dies noch. Was aber eine solche Kraft und einen solchen Impact hat, ist Geschenk und Gefährdung zugleich und berührt den tiefsten Verantwortungsbereich des Einzelnen. Das machte Sexualität und mit ihr auch die Institutionen Ehe und Familie über die Jahrhunderte hinweg heilig: gottgegeben und voll des Heils für den, der sie in ihrem Doppelcharakter als Geschenk und Bürde zugleich auf- und annimmt. Und weil sie – wie auch die Freiheit – unlösbar mit Verantwortung verknüpft ist, gehört sie in den Bereich des Privaten.
Dem widerspricht die LGBTQI+-Community: Die Sexualität sei nicht Teil des Menschen – sie ist der Mensch, heißt es. Die Gleichung lautet: Identität gleich Sexualität. Daraus wird das „Recht“ konstruiert, dass jede Form der Sexualität von der Gesellschaft zu akzeptieren sei. Sexualität wird so zum politischen und damit gesellschaftlich relevanten Anliegen. Das ist in meinen Augen aber ein reines Scheinanliegen, dessen Kern und Hauptziel etwas ganz anderes sind: die Reduktion all dessen, was es heißt, Mensch und Person zu sein, auf seine Sexualität und über diesen Umweg die Entprivatisierung des Lebens mit dem Ziel seiner öffentlichen Verhandelbarkeit .Am Ende dieser Entwicklung steht der entprivatisierte, der öffentliche Mensch, dessen Leben auch im Intimsten – dazu gehören nicht „nur“ die Sexualität, Familie und Kinder, sondern auch Krankheit und Tod – gesellschaftliche Verhandlungsmasse ist. Es ist die totale Abwertung menschlichen Lebens unter Schlagworten seiner Aufwertung und seiner Freiheit. Seine Überantwortung an die Öffentlichkeit und seine Einordnung auf einer Stufe weit unter jeder anderen Kreatur, die diesen Planeten bewohnt. Der Umgang mit ungeborenem Leben und die Diskussion über Euthanasie bei alten, kranken und dementen Patienten bezeugen diese Entwicklung, deren Fortführung wir erleben.
Was hier und heute geschieht, ist meiner Meinung nach viel mehr als Dekadenz oder ein Fest der Irrationalität. Es ist die Fortsetzung dessen, was mit der Dogmatisierung der Lehre vom Menschen als Produkt zufälliger Mutationen seinen Anfang genommen hatte; was von den 68ern im Zug der sexuellen Revolution und der Gleichsetzung von Sexualität und Freiheit fortgeführt wurde; und was heute in der Trans-Bewegung eine Art Höhepunkt findet: die Entheiligung des Lebens, die Entheiligung von Ehe und Familie und damit von Werten wie Treue, Loyalität und Ehre. Und schließlich die Entheiligung des Individuums und dessen Reduktion vom Wunder des größtenteils noch unerforschten Ich-Kosmos auf das Niveau einer Salatschleuder: Drin ist nur noch, was andere reintun, reagieren tut er nur noch auf Reize von außen. Kurz: die Abschaffung der Identität unter dem Label der Identitätsfindung.
Wer all dieser Agenda kritiklos gegenübersteht oder sie gar als Befreiung feiert, wer es als Zeichen von Intellektualität oder fortschrittlicher Offenheit versteht, Sexualität auf den Lippen zu führen und zu praktizieren wie eine x-beliebige Tätigkeit, einen Shoppingbummel oder ein Hobby – das berühmte Leninsche „Glas Wasser“ –, der legt Zeugnis davon ab, wie sehr die Kampagne zur Verflachung und Verflüssigung des Menschen bei ihm schon Erfolg hatte. Viel Glück damit! Euer Leben wird euch von einem Kick zum nächsten nudgen, von einem Nervenkitzel zum nächsten. Aber ihr werdet, von der Last der Verantwortung dessen befreit, was es heißt, Mensch und Person zu sein, weder Erfüllung finden noch den Stoff haben, um Bücher zu schreiben. Reiz-Reaktionsmuster als literarischer Gegenstand sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf Dauer kein Renner.
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